Südkurdistan: Die Situation in der Bradost-Region

Das türkische Militär versucht das Gebiet Xakurke mit Hilfe von Aufklärungsflugzeugen und Drohnen unter permanenter Bombardierung zu halten. Die Guerilla verteilt sich in kleinen Teams und schlägt immer wieder aus dem Nichts zu.

Der türkische Staat versucht seit Monaten die Region Xakurke in Südkurdistan zu besetzen. Die Guerilla leistet erbitterten Widerstand dagegen.

Warum Bradost?

Wir beobachten seit einer Weile den Krieg um Xakurke. Das Gebiet Xakurke befindet sich in der Region Bradost im Dreiländereck Türkei, Iran und Irak. Die Region stellt damit einen Ort von strategischer Bedeutung für die drei angrenzenden Nationalstaaten dar. Die Bergkette von Zagros ist seit tausenden von Jahren der Freund der Bevölkerung von Kurdistan und ihr Schutz. Wenn wir kurz über einige Orte berichten, deren Namen immer wieder in den Nachrichten auftauchen, werden die Bedeutung der Region und die Schärfe des Kriegs dort deutlich.

Lêlîkan: Seit zwei Jahren ist der Berggipfel regelmäßig in den Nachrichten. Dort finden schwere Gefechte statt. Dutzende Male wurden alle Soldaten auf dem Gipfel getötet und am nächsten Tag wurde der Gipfel neu besetzt. Der Lêlîkan ist 1800 Meter hoch und etwa 17 Kilometer Luftlinie von Sîdekan entfernt. Vom Şekif-Gipfel, den die Türkei zuletzt am 27. Mai zu besetzen versuchte, ist er 18 Kilometer entfernt. Es handelt sich um eine Art von Zwischenraum zwischen Berg und Ebene. Eine weitere Besonderheit des Lêlîkan ist, dass er vom Iran informell als eigenes Territorium betrachtet wird. Der Iran rechnet die Gebiete bis Sîdekan zu seinem Staatsgebiet. Sîdekan ist eine kleine Gemeinde im Landkreis Diyana. Diyana ist eine Kreisstadt, die zu Hewlêr gehört und eine wichtige Position in der Region einnimmt. In dieser Region fanden im Kampf der Kurden unter der Führung der Barzanis gegen das Baath-Regime insbesondere während des Iran-Irak-Kriegs permanent heftige Gefechte statt. Als Saddam sich nach dem Abkommen 1988 aus der Region zurückzog, soll er gesagt haben: „Ich gehe, aber ich hinterlasse zehntausende meiner Soldaten.“ Diese „Soldaten“ kosten bis heute den Menschen in der Region das Leben, es handelt sich um Landminen.

Der majestätische Berg Şekif bildet die Grenze zwischen Xakurke und Xinerê und sollte am 27. Mai von der türkischen Armee besetzt werden. Zunächst wurde der Berg stundenlang aus Flugzeugen bombardiert, dann kamen die Super-Kobra-Kampfhubschrauber und eskortierten Transporthubschrauber, die türkische Spezialeinheiten absetzten. Der Berg Şekif liegt etwa 35 Kilometer Luftlinie im Nordosten von Sîdekan, ist 3.000 Meter hoch und von den anderen Bergen getrennt. Daher stellt er einen besonders wichtigen strategischen Ort dar, um die Region zu kontrollieren. Der türkische Staat versucht mit der Besetzung der Berges Xakurke einzukreisen und in ein Gebiet zu verwandeln, in dem die Guerilla weder agieren noch existieren kann.

Der Gipfel Şehîd Botan befindet sich im Ermûş-Gebiet etwa 14 Kilometer vom Berg Şekif entfernt und ist 1450 Meter hoch. Es handelt sich um ein Gebiet, in dem die Guerilla ihre 40-jährige Erfahrung in Xakurke nutzen konnte. Deshalb finden dort trotz massiver Einsätze von Aufklärungs- und Kampfflugzeugen permanent Guerillaaktionen statt.

Wie ist die Lage der Guerilla?

Die Guerilla beobachtet Xakurke praktisch aus der Vogelperspektive, überwacht die Situation und schlägt im für sie passenden Moment zu. Sie nutzt ihre überlegene Kenntnis des Geländes für ihre Taktik und ist so in der Lage, an schwer erreichbaren mit Hightech geschützten Orten wie und wann sie will anzugreifen. Sie führt ihren Krieg und hat allgemein die Initiative bei den Kämpfen. Die Mehrheit der Guerillakämpfer*innen ist in den 90er Jahren geboren. Von den Kämpfer*innen, die in normalen Guerillaeinheiten Krieg führen, bis hin zum Kommandanten des Hauptquartiers der Volksverteidigung sind alle Guerillakämpfer*innen hochgradig kriegserfahren. Auf allen Ebenen handelt es sich um eine professionalisierte Guerilla. Das stellt einen großen Vorteil dar. Die Kämpferinnen und Kämpfer kennen die vier Hauptsprachen des Mittleren Ostens Kurdisch, Arabisch, Türkisch und Farsi. Sie werden permanent ideologisch, organisatorisch und militärisch geschult. Sie haben einen klaren Blick auf die Welt und leben und kämpfen bewusst.

Nach Informationen, die wir von Guerillakommandant*innen erhalten haben, kämpfen die Kräfte beider Seiten mittlerweile in „Teamstrukturen“. Die Guerilla verteilt sich in kleinen Teams im Gelände, die türkischen Besatzungstruppen ebenso. Insbesondere in Xakurke versucht sich das türkische Militär mit mindestens zehn sichtbaren Aufklärungsflugzeugen und Drohnen über Wasser zu halten. Die Guerilla verfolgt mit ihren kleinen Teams die Taktik „überall und nirgends“ zu sein. Wenn entschieden wird, eine Aktion durchzuführen, sammeln sich die Einheiten sehr schnell, führen die Aktion durch und teilen sich anschließend wieder auf.

Die Beziehung der Guerilla zur Bevölkerung

Die Bevölkerung betrachtet die Guerilla als Geschwister, eigene Kinder und Genoss*innen. Die südkurdische Regierungspartei PDK, die mit der Türkei kollaboriert, wollte vergangenes Jahr im Lêtan-Tal in Bradost Kontrollpunkte errichten. Die Bevölkerung verhinderte dies und erklärte: „Wir wollen nicht, dass PDK-Sicherheitskräfte Posten bei unserem Dorf errichten. Wir vertrauen der Guerilla. Seit Jahrzenten lebt die Guerilla hier in unserem Gebiet und hat uns nie etwas Schlechtes getan, sie verteidigt unseren Besitz und unsere Ehre.“

Die Guerilla baut allerdings keine direkte Beziehung zu den Dörfern oder der Bevölkerung in ihren Häusern auf. Allerdings können Dorfbewohner*innen, die in Berge gehen, um Heu zu sammeln, Schafe zu weiden, Holz zu beschaffen oder ähnliches freundliche Beziehungen zur Guerilla aufbauen. Das Leben, der Kampf und die Gedanken der Guerilla haben in der Bevölkerung Eindruck hinterlassen. Seit fast 40 Jahren kämpft die PKK in der Region, aber die Beziehung zur Bevölkerung ist auf reines Sympathisantentum beschränkt. Es gibt keine Kommunen oder Räte. Die Bemühungen von politischen Parteien oder Bewegungen wie Newaya Nû, Tevgera Azadî oder RJAK sind unzureichend.