Prozess gegen Antifaschistin in Hannover

Am Dienstag findet vor dem Amtsgericht Hannover der Prozess gegen eine antifaschistische Passantin statt. Der Vorwurf: Tätlicher Angriff auf eine Vollstreckungsbeamtin. Der Ermittlungsausschuss Hannover ruft zu einer kritischen Prozessbegleitung auf.

Wie der Ermittlungsausschuss Hannover (EA) berichtet, soll am kommenden Dienstag um 10:30 Uhr am Amtsgericht ein Prozess gegen eine Frau aus Hannover wegen des Vorwurfs des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte stattfinden. Eine Polizeibeamtin wirft der Angeklagten vor, sie im Kontext der Gegenproteste zu einer von der AfD angemeldeten Demonstration geschubst zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daher auf Grundlage des Paragraphen 114 StGB und bot eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflage (Zahlung von 300 Euro) an. Das Angebot zur Einstellung lehnte die Angeklagte ab.   

Rückblick: Die AfD hatte am 24. August 2019 eine Demonstration am niedersächsischen Landtag unter dem Motto „Es reicht!“ durchgeführt, die von Gegenprotesten begleitet wurde. Nach der Auflösung der Versammlung an der Goseriede beleidigte der rechte Meinungsmacher Henryk Stöckl eine kopftuchtragende Passantin rassistisch. Gegen ihn wurde in der Folge wegen Volksverhetzung ermittelt.

Die angegriffene Person setzte sich mit deutlichen Worten zur Wehr und fand Unterstützung durch Passant*innen. Die Polizei ging daraufhin gewaltvoll gegen die Frau, mehrere Passant*innen und die Gegendemonstrat*innen vor und nahm mehrere Personen in Gewahrsam. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Angeklagte in Gewahrsam genommen.

Gegendemonstration am 24. August 2019 in Hannover, Foto: Hannover gegen Nazis

Tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte“ ist ein täglicher Angriff auf die Demokratie

Der §114 StGB „tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte“ wurde 2017 kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg im Bundestag durchgesetzt und wurde bereits vielfach als Willkürparagraf kritisiert, der politischen Protest unterbinden soll. Als „tätlichen Angriff“ definiert der Paragraf eine „in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende Einwirkung“. Im Gegensatz zum bereits bestehenden §113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) erfordert der §114 also weder einen tatsächlichen Schaden. Das OLG Hamm geht in seinem Beschluss von Februar 2019 sogar noch weiter und folgert: „Eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters ist nicht erforderlich“.

Diese Rechtsauffassung – und der §114 insgesamt – ist umstritten. Jurist*innen und Aktivist*innen kritisieren die Einführung des Paragrafen immer wieder aufs Schärfste unter anderem die ‚Problematik der faktischen Definitionsmacht der Beamten“.

Der Ermittlungsausschuss Hannover ist eine linke, strömungsübergreifende Rechtshilfegruppe. Auf Demonstrationen bietet der EA unter anderem Telefondienste an, um rechtliche Fragen zu klären und Festgenommene zu unterstützen. Dabei kooperiert die Initiative meistens mit Rechtsanwält*innen. Außerdem macht sie mit Recherchen und Veröffentlichungen auf Überwachung, staatlicher Repression und zugrundeliegenden Gesetzen aufmerksam und organisiert öffentliche Informationsveranstaltungen.

„Was sagt es über das politische System der BRD aus, dass Willkürparagrafen gegen die Zivilgesellschaft eingeführt werden, die Verfolgung gewalttätiger Polizeibeamt*innen aber abgelehnt wird?“ sagt eine Sprecherin des Ermittlungsausschusses Hannover. „Die Einführung des Paragrafen ist das Ergebnis einer politischen Kampagne der AfD-nahen Gewerkschaft der Polizei (GdP), die sich einen noch autoritäreren Staat herbeisehnt. Dass die Willkür der Polizei in diesem Fall nicht die AfD oder den rassistischen Aggressor in ihrer Kundgebung trifft, sondern deren Gegner*innen, ist nur konsequent.“

Der §114 verschiebt das Machtungleichgewicht weiter zu Gunsten der Polizei und hindert Menschen daran an politischen Versammlungen teilzunehmen und ihre demokratischen Grundrechte wahrzunehmen, teilt der Hannoveraner EA weiter mit. „Die Befürchtungen, die Einführung des Paragrafen würde zu willkürlichen Urteilen und überzogen harten Strafen führen, bewahrheiten sich leider, wie z.B. in den Prozessen in Folge der G20-Proteste sowie in dem erstinstanzlichen Urteil gegen die Hambacher Forst Aktivistin, die zuerst zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und dann erst nach Berufung der Verteidigung freigesprochen wurde.“

Umso wichtiger sei jetzt deshalb eine kritische Öffentlichkeit, die die Prozesse begleitet und deutlich macht, dass legitimer Protest nicht kriminalisiert und bestraft werden darf. „Angesichts der Hygiene-Schutz-Bedingungen in der Pandemie, die auch die Öffentlichkeit von Gerichtsprozessen einschränken, ist dieses rechtsstaatliche Prinzip eingeschränkt“, so der EA Hannover. Am 14. Mai wurde durch den Anwalt der angeklagten Frau beantragt, den Prozess auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Bisher erfolgte darauf seitens des Gerichts jedoch keine Reaktion.

Polizeigewalt und Kennzeichnungspflicht

Bürgerrechtler*innen, politische Bewegungen und gesellschaftlich marginalisierte Gruppen fordern seit vielen Jahren eine Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen und unabhängige Untersuchungskommissionen. Denn Gewalt, die von Polizist*innen ausgeht, wird in Deutschland durch den Staat so gut wie nie verfolgt: In einer Studie der Ruhr-Universität Bochum zu Polizeigewalt in Deutschland haben von 3375 Befragten nur 439 angegeben, Anzeige erstattet zu haben. Darüber hinaus bringt die Staatsanwaltschaft dann nur einen Bruchteil der Anzeigen zur Anklage: 2018 waren es knapp zwei Prozent. Betroffene berichten in der Studie unter anderem über Verletzungen der Sinnesorgane, Knochenbrüche und Verlust von Zähnen. Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der GdP, sagte im ZDF dazu: „Wir reden ja heute eher über Gewalt gegen die Polizei. Das ist, glaube ich, das viel größere Problem.“