Nisêbîn-Prozess: Kurdisch gilt als Aussageverweigerung

Am dritten Tag des Prozesses, in dem der Widerstand von Nisêbîn 2015-2016 abgeurteilt werden soll, versuchte das Gericht, die Benutzung kurdischer Sprache zu verhindern.

Der Prozess gegen 50 beim Widerstand gegen Angriffe des türkischen Staates auf die nordkurdische Stadt Nisêbîn (Nusaybin) bei Mêrdîn (Mardin) festgenommene Aktivist*innen ist heute fortgesetzt worden. Nach Personenkontrollen wurde eine alte Frau ohne Grund nicht ins Gericht gelassen. Familien, die sich auf Kurdisch unterhielten, wurden von Polizisten bedroht: „Sprecht Türkisch“. Sie antworteten auf Kurdisch: „Wir sprechen kein Türkisch“. Ein Angehöriger, der beim Betreten des Saales das Victory-Zeichen zeigte, wurde von Spezialeinheiten mit dem Tod bedroht.

Gericht: Kurdisch sprechen wird als Aussageverweigerung gewertet!

Als Dilber Tanrikulu, eine der Angeklagten, darauf hinwies, dass ihr Übersetzer ihre kurdische Verteidigung nicht richtig übersetze, rief der Dolmetscher: „Ich werde dich nicht übersetzen, wir verstehen uns nicht.“ Daraufhin erklärte der vorsitzende Richter, Tanrikulu könne gut Türkisch und müsse ihre Verteidigung auf Türkisch machen. Als Dilber Tanrikulu mitteilte, sich nicht auf Türkisch verteidigen zu wollen, erklärte der Richter, dass dies dann als Aussageverweigerung gewertet werde. Dilber Tanrikulu sagte: „Ich will meine Verteidigung auf Kurdisch vortragen. Ich will nicht von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.“

„Keine Macht wird diesen Widerstand brechen können“

Als nächstes berichtete Ferhat Doğru, dass er, obwohl er nicht einmal eine Waffe in der Hand gehalten habe, von den Soldaten beleidigt, bedroht und auch körperlich gefoltert worden sei. Doğru war in seinem Haus verletzt worden und hatte sich in den Keller geflüchtet. Er erklärte vor Gericht: „Vor der Ausgangssperre war meine Familie nach Midyat gegangen. Ich wollte auch gehen, konnte es jedoch aufgrund des ausgerufenen Verbots nicht. Ich konnte meine Wohnung nicht verlassen. Auf einmal wurde ich durch Kugeln verletzt. Ich wusste nicht, woher sie gekommen waren. (…) Ich erkenne keine der Aussagen an, die ich abgegeben habe. Ich wiederrufe alle Aussagen, die durch Folter und Polizeigewalt entstanden sind. Obwohl ich keine Waffe in die Hand genommen habe, habe ich dort die Realität gesehen. Die Bevölkerung hat eine Selbstverwaltung gefordert und Widerstand geleistet. Sie müssen hier deshalb nicht die Selbstverwaltung oder die Bevölkerung, sondern die faschistische Mentalität und das AKP-Regime verurteilen. Die Kurden leisten seit Jahrhunderten Widerstand gegen die Massaker, denen sie ausgesetzt sind. So ist es auch heute. Niemand hat das Recht, diesen Widerstand nicht anzuerkennen.“

„Wir wurden von der Polizei gefoltert“

Nurullah Akyüz erklärte in seiner Verteidigung: „Die Aussagen über mich sind nicht richtig und haben nichts mit der Realität zu tun. Ich bin während meiner Festnahme verbaler und körperlicher Folter ausgesetzt gewesen. Ich bin damals zum Opfer faschistischer Praktiken geworden. Bei der Folter wurde mein Arm gebrochen und es wurde nicht einmal ein Attest ausgestellt. Ich bin gezwungen worden, die vorherigen Aussagen zu unterschreiben. Ich werde mich jetzt gegen diese Anschuldigungen verteidigen. Ich bin in Idil [Hezex] zur Welt gekommen. Mein Dorf ist niedergebrannt und zerstört worden. Wir mussten deswegen in die Fremde fliehen. Wir kannten damals weder die dortige Kultur noch die Sprache. Ich bin in die Schule gekommen, ohne die Sprache zu kennen. Ich war einer Assimilationspolitik ausgesetzt.

„Herr Öcalan hat den Weg zum Frieden aufgezeigt“

Ich war voller Hoffnung, als der Repräsentant des kurdischen Volkes Abdullah Öcalan einen Waffenstillstand ausrief. Diejenigen, die keine Geschwisterlichkeit der Völker wollen, die den Krieg des Staates wollen, haben 2013 in Paris drei kurdische Frauen ermordet. Mit ihrer Ermordung sollte das Ende des Friedensprozesses herbeigeführt werden. Es gab etliche solche Versuche. Aber der Prozess ging unter großen Anstrengungen weiter. Der von Herrn Abdullah Öcalan geführte Friedensprozess hat gezeigt, dass ein Zusammenleben möglich sein kann. Auch wenn diese Phase der Vergangenheit angehört, ist sie zum Symbol des Friedens und der Geschwisterlichkeit der Völker geworden. Die Türkei hatte in böser Absicht gegen Ende der Phase Waffen eingekauft und Militärbasen errichtet. Dies war nichts anderes als eine Kriegsvorbereitung. Der Staat, der die Errungenschaften des kurdischen Volkes in Rojava nicht ertragen konnte, gab sich damit nicht zufrieden.“