Ein Nachruf auf Zekî Şengalî

„Mit Schmerz, Zorn und Trauer gedenke ich all derer, die auf dem Weg in eine neue solidarische Gesellschaft gestorben sind und uns verpflichten, ihren Kampf weiter zu führen“, schreibt Robert Jarowoy in einem Nachruf auf Zekî Şengalî.

Ein lieber Freund und großer Genosse ist vom türkischen Staat hinterrücks und völkerrechtswidrig in der Kurdischen Autonomieregion im Nordirak gezielt durch einen Luftschlag getötet worden. Die türkische Armeeführung und die von Erdoğan gleichgeschaltete türkische Presse jubelt über die erfolgreiche „Neutralisierung" eines „führenden PKK-Terroristen".

Ich habe Zekî Şengalî (Ismail Özden) 1990 kennengelernt. Er war wie ich, meine Lebensgefährtin Beate Reiß, unser gemeinsamer Freund Hüseyin Celebi und viele weitere deutsche und kurdische Freund*innen in der norddeutschen Kurdistan-Solidarität organisatorisch aktiv. 1991 wurde er verhaftet und mit einer fadenscheinigen Anklage im sogenannten zweiten (kleinen) PKK-Prozess mit drei anderen in der norddeutschen Stadt Celle vor Gericht gestellt. Der Prozess dauerte bis in den Sommer 1992. Zekî musste allerdings schon während des Prozesses aus der U-Haft entlassen werden und war dann in Hamburg verantwortlich tätig. Beate und ich waren zu dieser Zeit in der Gewerkschaft aktiv und erörterten mit Zekî, wie wir unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen mit kurdischen Gewerkschaftler*innen zusammenbringen könnten, um sie für die kurdische Frage zu sensibilisieren. Zekî sagte, dass es in den kurdischen Gebieten der Türkei eigentlich kaum eine gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse gebe – außer in der Ölförderstadt Êlih (Batman), wo die Gewerkschaft der Erdölarbeiter Petrol-İş sehr stark sei. Er organisierte dann den Kontakt und wir flogen im Mai 1992 mit 20 Betriebsrät*innen und Gewerkschaftssekretär*innen aus Hamburg dorthin, wo wir eine Woche Gast von Petrol-İş waren und unter anderem Şirnex (Şırnak) nach der ersten Zerstörung durch die türkische Armee besuchten – kurz vor der zweiten, die im August 1992 erfolgte und die Flucht Tausender Einwohner*innen bewirkte, die heute noch in Mexmûr in der Kurdischen Autonomieregion im Nordirak (Südkurdistan) leben.

Aus dieser ersten Delegationsreise in die kurdischen Gebiete in der Türkei entwickelten sich etliche weitere, die mindestens einmal im Jahr stattfanden und unter wechselnden Bedingungen bis heute stattgefunden haben und auch Gegeneinladungen kurdischer Gewerkschafter*innen und Menschenrechtler*innen in einem offiziellen Rahmen nach Hamburg ermöglichten. Nachdem Zekî das alles mit uns zusammen eingeleitet und er seinen Prozess ohne weitere Inhaftierung überstanden hatte, haben wir uns zunächst etwas aus den Augen verloren, weil er als kurdischer Ezide in das ezidische Hauptsiedlungsgebiet im Şengal-Gebirge in der nach Saddam Husseins Sturz entstandenen Autonomieregion ging und dort politisch aktiv war.

Als er 2011 hörte, dass wir auf Einladung der PKK das Qendîl-Gebirge besuchten, begab er sich sofort dorthin, weil man alte Freund*innen nicht vergisst. Das Foto zeigt ihn mit Beate und unserer Freundin Medya, die seit 20 Jahren in den kurdischen Bergen als Ärztin aktiv ist. Wie man unschwer aus dem Foto heraus erkennt, war Zekî ein sehr liebenswerter und liebevoller Mensch. Nicht der Typ des klassischen Kaders bzw. Funktionärs, und auch nicht des militärischen Kommandanten, obwohl er das war. Er trug neben seiner Bescheidenheit die Herzlichkeit, das Verständnis für die Menschen und die Idee und Konzeption einer neuen Gesellschaft in sich, die nicht von kapitalistischen Verwertungsinteressen, Krieg und Unterdrückung geprägt ist. Zekî, dessen Sohn als erster in Deutschland groß gewordener und in die Berge gegangener junger Mann gefallen ist, hat zuletzt vor einem halben Jahr, als er von dem Tod meiner Lebensgefährtin Beate Reiß hörte, aus den kurdischen Bergen heraus zusammen mit anderen alten WeggefährtInnen einen revolutionären Gruß mit einem Trauergebinde in den grün-gelb-roten Farben der Hoffnung und des Lebens gesendet. Nun ist auch er gestorben – getötet von der faschistischen Armee Erdoğans, so, wie zuvor Sakine Cansız und ihre Freundinnen mitten in Paris oder die Bevölkerung Efrîns in Rojava. Unter den Augen und mit Duldung und wohl auch Billigung der NATO-Partner Deutschland und Frankreich.

In größtem Schmerz, größtem Zorn und größter Trauer gedenke ich all derer, die auf dem Weg in eine neue solidarische Gesellschaft gestorben sind und uns verpflichten, ihren Kampf weiter zu führen.