Zapatistischer Kaffee: „Aroma der Rebellion“ in Êlih

Bis 2016 arbeitete Deniz Tüzün als Schauspieler am Theater in Êlih. Als die AKP kurdische Rathäuser okkupierte, wurde er arbeitslos. Seine Alternative: Das Aroma der Rebellion nach Kurdistan bringen. In neuen Kontexten eröffnen sich eben neue Perspektiven

Eigentlich ist Deniz Tüzün Schauspieler. Vor vier Jahren arbeitete er noch am Stadttheater in Êlih (türk. Batman). Doch als im September 2016 erstmals gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in einem Feldzug gegen die kurdische Kommunalpolitik abgesetzt und durch Regimebeamte aus Ankara ersetzt wurden, geriet auch Êlih unter die Zwangsverwaltung. Kaum im Amt, ließ der damalige Treuhänder zunächst das 2006 von der Stadtverwaltung eingerichtete Yılmaz-Güney-Kino schließen. Danach fielen im städtischen Theater und den vier Volkshäusern, die über ein breites Kulturangebot verfügten, die Riegel ins Schloss.

Wie auch in vielen anderen Ländern rund um den Globus können sich Schauspieler*innen in Kurdistan finanziell oft nur schwer über Wasser halten. Dies gilt im Besonderen für Theaterdarsteller*innen ohne festes Engagement. Eigene Theaterprojekte umsetzen und finanzieren ist noch viel schwieriger, dem war sich Deniz Tüzün bewusst. Über den politischen Rausschmiss dachte er daher nicht weiter nach, in neuen Kontexten eröffnen sich eben neue Perspektiven. Eine Alternative musste ohne viel Zeitverlust her, denn die Familie brauchte sein Einkommen. Da Kaffee schon immer seine Leidenschaft war, konnte Tüzün nun einen lange im Verborgenen gehegten Traum vom eigenen Café verwirklichen: Den Kaffee der Zapatistas – „das Aroma der Rebellion“ – nach Kurdistan bringen.

Deniz Tüzün an der Theke seines Cafés „Zapatista Kahve“

Die Revolution der Zapatistas in Chiapas/Mexiko und der Unabhängigkeitskampf der Kurden haben einige Gemeinsamkeiten. Ähnlich wie die kurdische Bewegung setzen sich auch die indigenen zapatistischen Gemeinden für einen radikalen Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse ein und kämpfen für einen demokratischen Prozess, in dem die Bevölkerung ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt. Beide Gemeinschaften vereint zudem, dass sie eine Gefahr für den Status quo darstellen, weil sie Alternativen anbieten und anwenden, die wirklich funktionieren. Michael Panser (Bager Nûjiyan), ein Internationalist und Guerillakämpfer, der am 14. Dezember 2018 bei einem türkischen Luftangriff in Südkurdistan ums Leben gekommen ist, schrieb einmal: „Ihr Kampf und unsere Kämpfe sind eins, unteilbar, Teil einer globalen Revolution, die in diesem Sinne eine Kulturrevolution ist: der Kampf um eine andere Art zu leben.”

Istanbuler Kaffeekollektiv unterstützt zapatistische Revolution

Die zapatistischen Kaffeekooperativen sind ein wichtiges Instrument, um den Aufbau der indigenen Autonomie in Bezug auf Bildungs- und Gesundheitswesen und die Rechtsprechung – jenseits von Staat, Macht und Gewalt – zu verwirklichen. Dabei folgen sie den Ansätzen der solidarischen Ökonomie und ökologischen Landwirtschaft. Auf seiner Suche nach Wegen, den im Hochland von Chiapas angebauten Kaffee in seine Geburtsstadt Êlih zu bringen, stieß Deniz Tüzün auf ein anarchistisches Kollektiv in Istanbul. Die „Zapatistische Kaffee-Koordination“ kauft ihre Bohnen von der Kooperative Yachil Xojobal Chulchán ab – in fairer und respektvoller Zusammenarbeit. Der Name dieser Kooperative, in der ungefähr 700 Bäuer*innen organisiert sind, bedeutet auf der Sprache der Tzotzil-Maya „Neues Licht am Himmel“. Sie liegt im Caracol Oventik in der Nähe von San Cristobal de las Casas. Dort hatte in den neunziger Jahren der zapatistische Aufstand seinen Anfang genommen.

Wandbild im „Zapatista Kahve“

Mit der selbstorganisierten Weiterverarbeitung und dem Export steigern die zapatistischen Kaffeekooperativen die gemeinschaftlichen Strukturen in ihren Gemeinden. Dadurch wird auch die Basis von sozialen Protesten gestärkt. Das Istanbuler Kaffeekollektiv hat sich der Unterstützung und Förderung des Kampfes um Würde und Gerechtigkeit der Aufständischen in Chiapas verschrieben, der Abnahmepreis des Kaffees liegt über dem Fair-Trade-Niveau. Für den Weiterverkauf an Cafés gilt es allerdings, Prinzipien zu beachten. „Ich konnte die Aktivisten des Kollektivs überzeugen, dass meine Motivation eine gerechtere und solidarische Welt ist. Dass es in meinem Café keine Ausbeutungsverhältnisse und Kinderarbeit geben wird, dass keine kapitalistischen Verhältnisse herrschen werden“, sagt Deniz Tüzün. Erfährt die „Zapatistische Kaffee-Koordination“ von einem Lokal, in dem gegen den Grundsatz „Für die Würde, gegen das Patriarchat und den neoliberalen Kapitalismus“ verstoßen wird, stellt sie zunächst den Kaffeeverkauf ein. Danach wird das Café öffentlich an den Pranger gestellt. Zum Beispiel, wenn der Betreiber Gewalt gegen seine Partnerin ausübt, Mitarbeiter ausbeutet, den Verkauf von zapatistischem Kaffee als Marketingstrategie zur Profitsteigerung wahrnimmt.

Tüzün serviert nur Kaffee

Ob er nicht zögerte, in einer Region, in der Tee ein wichtiger Bestandteil der Kultur ist, nur Kaffee zu verkaufen? „Sicherlich habe ich das“, sagt Deniz Tüzün. „Zwar war es schwierig, die Stadt auf den Geschmack des zapatistischen Aromas zu bringen – trotz der langen Geschichte des Verbrauchs von Kaffee innerhalb der kurdischen Gesellschaft, am Ende hat es aber funktioniert. Anfangs waren unsere Kunden noch etwas verwundert über unsere Kaffeekocher und die Karaffen. Auch waren sie verblüfft, dass wir keine Maschinen verwenden. Jede Sorte Kaffee, die wir anbieten, wird auf ihre eigene traditionelle Art und Weise zubereitet. Den Qehweya Kezwanan, also kurdischen Terebinthen-Kaffee, kochen wir direkt in der Tasse.” Diesen Monat feierte das Café sein dreijähriges Bestehen.

„Zapatista Kahve“ feierte im September sein dreijähriges Bestehen

Das Café „Zapatista Kahve“ von Deniz Tüzün befindet sich im Viertel Gab, direkt im Zentrum von Êlih. Wer dort einen Hauch der Berge von Chiapas genießen möchte, kann sich auch auf eine gut ausgestattete Bibliothek, samtpfotene Gäste und anatolisch-mesopotamische Klänge freuen.