Türkeitreue „SNA“ rückt auf Tel Rifat vor

Nach dem Ausbruch der schwersten Kämpfe in Syrien seit mehreren Jahren sind nun auch kurdische Siedlungsgebiete akut bedroht von Angriffen dschihadistischer Gruppen, die mit der Türkei kooperieren.

Von Ankara aufgebauter Proxyinvasionskorps

Nach dem Ausbruch der schwersten Kämpfe in Syrien seit mehreren Jahren sind nun auch kurdische Siedlungsgebiete akut bedroht von Angriffen dschihadistischer Gruppen, die mit der Türkei kooperieren. Während die Terrorgruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), der syrische Al-Qaida-Ableger – früher bekannt als Al-Nusra-Front – seit Mittwoch auf Aleppo vorrückt und sich Gefechte mit Regierungstruppen liefert, bereitet der von der Türkei aufgebaute Proxyinvasionskorps „Syrische Nationalarmee“ (SNA) derzeit offenbar einen Großangriff auf Tel Rifat im selbstverwalteten Kanton Efrîn-Şehba vor. Die türkische Armee bombardiert die Region bereits aus der Luft und vom Boden aus, berichtete das in Berlin ansässige Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit (Civaka Azad) am Freitag mit Verweis auf Quellen vor Ort. Zudem soll die Türkei die Grenze zu Nordwestsyrien geöffnet haben, über die Nachschub an dschihadistischen Söldnern nach Syrien gelange.

In Tel Rifat leben tausende kurdische Geflüchtete, die 2018 nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auf Efrîn (Afrin) fliehen mussten. Seitdem kontrollieren die sogenannte SNA – ein Bündnis verschiedener islamistischer Organisationen, darunter ehemaliger Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) –  und die türkische Armee die Region. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass durch die Angriffe der SNA die Geflüchteten aus Efrîn erneut vertrieben werden könnten.

In Efrîn kam es im Zuge der türkischen Besatzung bereits zu ethnischen Säuberungen an der kurdischen Bevölkerung. Mittlerweile hat die Türkei in der Region die Mehrheit der Kurd:innen vertrieben und arabischstämmige Menschen angesiedelt, sodass die kurdische Bevölkerung nur noch eine Minderheit ausmacht. Systematische Menschenrechtsverletzungen wie Entführungen, Vertreibungen, Folter und sexuelle Gewalt unter der Herrschaft islamistischer Milizen sind heute Alltag in der einst sichersten Region Syriens. Mit der Einnahme Tel Rifats würde den Menschen dort ein ähnliches Schicksal drohen. 2022 war Tel Rifat vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als erstes Ziel für eine neuerliche Invasion in Nordsyrien benannt worden. 

Auch die kurdische Bevölkerung in Aleppo, die vor allem in den Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê lebt, ist durch den Vormarsch des Al-Qaida-Ablegers HTS bedroht. Diese Gruppe hat bereits in der Vergangenheit immer wieder Gebiete der kurdischen Selbstverwaltung angegriffen. Unterdessen berichtete die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) am Freitag, dass die Zahl der Toten infolge der Kämpfe zwischen HTS und Regimetruppen auf über 200 angestiegen ist. Unter ihnen seien auch mindestens 20 Zivilpersonen, darunter vier Studenten, die heute bei einem Angriff von HTS auf ein Studentenwohnheim in Aleppo getötet wurden. Russische Kampfflugzeuge unterstützen die syrische Armee mit Luftangriffen gegen Ziele der Terrorgruppe. In sozialen Netzwerken kursieren darüber hinaus Videos, die einen russischen Luftangriff auf ein SNA-Hauptquartier in der knapp zehn Kilometer östlich von Tel Rifat gelegenen Kleinstadt Marea (ku. Marê) zeigen sollen.