Corona in Nordsyrien: Hilfsorganisationen appellieren an WHO

Hilfsorganisationen in Nord- und Ostsyrien wenden sich in einem dringenden Appell an die WHO, UNICEF und das Rote Kreuz und fordern Unterstützung im Kampf gegen Corona. Insbesondere in Camps in Regimenähe droht die Lage außer Kontrolle zu geraten.

In einem dringenden Appell wenden sich die kurdische Rothalbmondorganisation Heyva Sor a Kurd und die Menschenrechtsorganisation Efrîn an die Weltgesundheitsorganisation (WHO), UNICEF sowie das internationale Komitee vom Roten Kreuz und fordern Unterstützung für Nord- und Ostsyrien im Kampf gegen Corona. Die Autonomiegebiete hatten die Pandemie dank frühzeitiger Kontaktbeschränkungen zunächst gut im Griff und konnten sich monatelang erfolgreich abschotten - weitgehend geschlossene Grenzen und strikte Quarantäneauflagen hielten das Virus fern. Doch nun macht ein mysteriöser Ausbruch der Region zu schaffen, täglich steigen die Fallzahlen der Personen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Die Lage droht außer Kontrolle zu geraten, insbesondere in Regionen, die an Regimegebiete grenzen.

Darauf macht auch Heyva Sor a Kurd aufmerksam. Die plötzliche Ausbreitung des Virus sei äußerst besorgniserregend, es werde befürchtet, dass die Infektionswelle auch die Camps mit Vertriebenen erfasst. „Dramatisch könnte es im Kanton Şehba werden, der einem strikten Embargo der syrischen Regierung in Damaskus unterliegt“, warnte Fadila Hassan am Montag im Camp Serdem. Das Lager beherbergt tausende Vertriebene aus Efrîn, in vier weiteren Camps leben ebenfalls ehemalige Bewohner*innen aus der von der Türkei besetzten Region. Der einzige Weg in Şehba „nach draußen“ führt somit durch das Tor nach Aleppo. Um die Versorgung der Menschen in dem Kanton zu gewährleisten, ist die Fahrt ins Regimegebiet unumgänglich. „In Aleppo gibt es aber bereits eine Vielzahl von Corona-Infizierten. Nach Fahrten dorthin wird das Virus hier eingeschleppt. Allein seit Anfang August haben sich Dutzende Menschen in Şehba mit Corona angesteckt“, sagte Hassan. Bevor es zu einer menschlichen Tragödie kommt, müssten internationale Organisationen handeln. Das einst florierende Gesundheitssystem Syriens ist nach über neun Jahren Krieg vollständig zusammengebrochen. Aus alleiniger Kraft werde das Land die Krise nicht in den Griff bekommen, so Hassan.

Corona-Zahlen in Nordostsyrien

Die Anzahl der Infektionen im gesamten Autonomiegebiet in Nord- und Ostsyrien hat sich inzwischen auf 119 erhöht. Wie das Gesundheitskomitee am Montag mitteilte, seien in den vergangenen 24 Stunden 18 neue Fälle festgestellt worden. Jeweils zwei davon in Hesekê und Deir ez-Zor, neun in Qamişlo, drei in Kobanê und in Raqqa sowie Rimêlan jeweils ein Fall. Laut dem Komitee-Vorsitzenden Ciwan Mistefa sind fünf mit dem Coronavirus infizierte Menschen seit Ausbruch der Pandemie in Nord- und Ostsyrien gestorben.

Gesundheitssystem Syriens einst relativ gut

Bis 2011 galt Syrien als ein Land mit einer relativ guten Gesundheitsversorgung. Staatliche Krankenhäuser waren mehrheitlich kostenlos und das System der Polikliniken garantierte mehr oder weniger eine landesweite Abdeckung. Polio, Tuberkulose und Leishmaniose waren unter Kontrolle oder sogar ausgerottet. Die Versorgung von Krebs- und Herzkranken war im Vergleich zu den Nachbarländern vorbildlich – und vor allem für die Mehrheit der Bevölkerung auch erreichbar. Mittlerweile gibt es in Regimegegenden kaum noch funktionsfähige Gesundheitseinrichtungen. Im Kanton Şehba schafft der kurdische Rote Halbmond medizinische Abhilfe, die Möglichkeiten der Organisation sind allerdings äußerst begrenzt.