Vom Militärdienst zur Guerilla

Die beiden HPG-Kämpfer Sipan Wan und Sipan Rizgar erzählen im ANF-Interview, warum sie sich in ihrer Zeit als Wehrpflichtige bei der türkischen Armee der Guerilla angeschlossen haben.

Sipan Wan und Sipan Rizgar sind Guerillakämpfer bei den Volksverteidigungskräften HPG. Sie waren Soldaten der türkischen Armee, als sie den Entschluss fassten, zur Guerilla in die Berge Kurdistans zu gehen. Im ANF-Interview erklären sie ihre Beweggründe.

Sipan Rizgar ist 1989 im nordkurdischen Mûş zur Welt gekommen. Er wuchs in einem Umfeld auf, das von der staatlichen Assimilierungspolitik stark beeinflusst war. „Bei vielen Familien herrschte die Auffassung, dass ein Junge zum Militär gehen muss, um ein Mann zu werden. Diese Ansicht ist den Menschen vom Staat eingeimpft worden. Bei der PKK habe ich viel darüber nachgedacht. Es handelt sich dabei um eine Auswirkung der patriarchalen Denkweise. Den Familien ist gar nicht bewusst, dass sie ihr Kind zum Sklaven des Staates machen. Sie wissen nicht einmal, wofür ihr Kind in den Krieg zieht. Dieses Unwissen birgt viele Gefahren“, erklärt der HPG-Kämpfer.

Erster Unterrichtsinhalt: Kurden sind Terroristen

Sipan Rizgar wurde 2009 zum Militärdienst eingezogen. Da er Kurde war, erlebte er verschiedene Formen des Rassismus. „Aber auch andere Soldaten wurden misshandelt, weil sie bestimmte Dinge ablehnten. Normalerweise werden die Haare und der Bart abrasiert. Wer jedoch seinen Wehrdienst in Kurdistan ableisten sollte, musste es nicht tun. Uns wurde gesagt, wir sollten ‚wie die‘ aussehen, als Tarnung. Beim türkischen Militär wurden wir dazu ausgebildet, Kurden zu töten. Als meine Einheit nach Kurdistan gehen sollte, hieß es: ‚Dort sind alle Terroristen‘. Als ich schließlich zur PKK kam, konnte ich den großen Unterschied zum türkischen Militär sehen. Es gibt vor allem einen ethischen Unterschied. In der PKK gibt es eine gesellschaftliche Ethik. Die gibt es beim Staat nicht.“

Sipan Rizgar erinnert an einen Soldaten, der in Kütahya ermordet wurde: „Da hieß es dann, der Täter sei unbekannt. Auf diese Weise werden jedoch viele Soldaten ermordet, diese Vorfälle werden fast immer vertuscht.“

Viele Wehrpflichtige in der türkischen Armee wüssten gar nicht, wofür sie kämpfen sollen, meint Sipan Rizgar. „Viele Soldaten wollten aus Gewissensgründen nicht kämpfen, weil sie nicht ihre Geschwister, ihr Volk töten oder der Natur Schaden zufügen wollten. Wer sich weigerte, wurde geschlagen, verhaftet und manchmal umgebracht. Wer bestimmte Dinge nur zur Sprache brachte, wurde auf die eine oder andere Weise aus dem Weg geräumt.“

Von seinem Guerillaleben erzählt er: „Als ich zur PKK gekommen bin, habe ich sofort den riesigen Unterschied gesehen. Hier gibt es genossenschaftliche Beziehungen und alles wird geteilt. Du kämpfst hier für dein Volk, kann es etwas von größerem Wert überhaupt geben? Wer für die Menschheit kämpfen will, soll zur PKK kommen.“

„Was haben wir hier verloren?“

Sipan Wan hat seinen Wehrdienst 2009 in Silopî absolviert. Der Guerillakämpfer erzählt von seiner damaligen Zeit: „Viele Soldaten kamen aus ihrem Urlaub nicht mehr zurück. Viele dachten, Kurdistan wäre die Türkei. Sie kamen nach Kurdistan und stellten fest, dass die Menschen nicht türkisch, sondern kurdisch sprachen. Sie erlebten eine ganz andere Kultur und sagten: ‚Hier ist gar nicht die Türkei und diese Menschen sind keine Türken. Was haben wir hier verloren? Wofür sollen wir kämpfen?‘ Viele entwickelten ein Bewusstsein für die Situation und wollten so schnell wie möglich nach Hause. Dabei waren alle mit Sprüchen vom Vaterland und der Nation gekommen. Es fanden viele Auseinandersetzungen statt. Manchmal bedrohten sich die Soldaten gegenseitig mit ihren Waffen.“

Von dem unmenschlichen Umgang beim Militär berichtet Sipan Wan: „Sie sagten zu uns: ‚Wir machen mit euch, was wir wollen, und stellen es dann als Unfall bei der Ausbildung dar‘. Einige Soldaten sind auf diese Weise ums Leben gekommen. Es gab einen sehr rassistischen Umgangston. Einmal schalteten wir einen kurdischen TV-Sender ein und wurden dafür beschimpft und beleidigt. Die kurdischen Kanäle wurden anschließend gelöscht. Einige Soldaten sind einfach verschwunden. Es wurde nie geklärt, wohin sie gebracht wurden und was mit ihnen geschehen ist.“

Am Ende unseres Gesprächs richtet Sipan Wan einen Aufruf an die kurdische Jugend: „In diesem Krieg werden Kurden gegen Kurden aufgehetzt. Den Kurden sollte das endlich bewusst werden. Wir sollten alle für ein freies Leben kämpfen. Wir haben ein Ziel und eine Ideologie. Beim türkischen Militär herrscht Brutalität. Gegen die Guerilla kann keine reguläre Armee gewinnen. In Kurdistan herrscht ein ständiger Ausnahmezustand. Wer dagegen kämpfen will, kann das nur bei der PKK tun. Deshalb sollten sich alle Jugendlichen der PKK anschließen.“