Türkischer Staat benutzt Schutzsuchende für Assimilationspolitik

In den letzten Jahren gab es einen hohen Anstieg an Schutzsuchenden, die insbesondere in nordkurdischen Städten angesiedelt wurden. Die Notlage des Schutzsuchenden wird ausgenutzt, um die Bevölkerungsstruktur zu verändern.

Während Schutzsuchende vom türkischen Staat als außenpolitisches Druckmittel gegenüber den europäischen Staaten missbraucht werden, werden sie innenpolitisch zur Veränderung der Zusammensetzung der nordkurdischen Städte im Sinne der AKP-Regierung benutzt. Der türkische Staat bringt zunehmend Schutzsuchende, insbesondere Menschen aus Turkstaaten im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, in nordkurdischen Städten unter.

Diese Politik ist kein Novum. Gerade die Menschen in Wan und Bedlîs (Bitlis) erinnert dieses Vorgehen an die Zeiten des Turkisierungsplans Şark Islahat (Reformplan Ost) aus dem Jahr 1925. Diesen Plan hatten Mustafa Kemal Atatürk und sein Weggefährte Ismet Inönü damals insbesondere in den Regionen Wan, Colemêrg (Hakkari) und Agirî (Ağrı), aber auch in den anderen Städten Kurdistans umgesetzt, indem Türken aus anderen Regionen der Türkei in den kurdischen Gebieten angesiedelt wurden. Ab diesem Zeitpunkt verschärfte der türkische Staat seine Sanktionen gegen die kurdische Bevölkerung. Im gleichen Jahr, in dem mit der Umsetzung des Şark-Islahat-Plans begonnen worden war, trat auch das Gesetz zur Sicherung der öffentlichen Ruhe (Takrir-i Sükün) in Kraft. Damit begann für die Kurden eine Zeit der Massenerschießungen, Vertreibungen, Umsiedlungen, der Zwangssterilisation und der sprachlichen und kulturellen Verbote. Auf diese Weise wurde versucht, die ethnische Struktur der kurdischen Regionen zu zerstören.

Inönü: Deutliche Intention der Vernichtung der kurdischen Kultur und Gesellschaft

In einem Bericht von Ismet Inönü zeigen sich die verbrecherischen Ausmaße des damaligen Vorgehens. In dem Text heißt es: Es muss verhindert werden, dass sich Kurden in den Städten ansiedeln. Um den Einfluss der Kurden in der Region zu verringern, sollen Siedler vom Schwarzen Meer in die Region gebracht werden.

Inönü forderte zum Beispiel in Bezug auf die in Wan angesiedelten Türken vom Schwarzen Meer, dass man diese auf jeden Fall zufriedenstellen müsse. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass noch mehr Siedler vom Schwarzen Meer in die Region kommen. Die in türkische und kurdische Städte geteilten Gebiete sollten im Rahmen öffentlicher Leistungen unterschiedlich behandelt werden. In den Regionen, in denen sich Kurden befanden, sollten noch keine Schulen eröffnet werden und falls doch, dann für die türkische Bevölkerung. Dahinter stand auch die Intention, Orte einzurichten, an denen möglichst schnell Türkisch unterrichtet wurde, um eine Kurdisierung zu verhindern. Gegenüber Frankreich und den anderen Mächten sollten Grenzgebiete wie Mêrdîn (Mardin), Riha (Urfa) und Colemêrg eine gute Verwaltung erhalten. Die Ansiedlung von Kurden in zerstörten armenischen Dörfern sollte verhindert werden. Die Kurden sollten assimiliert werden. Gegen die Anziehungskraft der kurdischen Kultur sollten türkische Zentren errichtet werden.

Inönü betonte, dass man in Dersim intervenieren müsse. Schmuggel müsse unterbunden werden. Es müsse verhindert werden, dass die Kurden eine eigene ökonomische Kraft entwickeln.

Neuer Angriff auf die Bevölkerungsstruktur

Eine dem Jahr 1925 ähnelnde Assimilationspolitik wird heute wieder in den kurdischen Provinzen in Kraft gesetzt. In der letzten Zeit sind Tausende von Schutzsuchenden nach Tetwan (Tatwan) in Bedlîs gebracht worden. Dabei fällt auf, dass vor allem turksprachige Schutzsuchende und Migrant*innen aus Afghanistan, Kirgisien, Turkmenistan und anderen zentralasiatischen Turk-Republiken angesiedelt werden. Diese Menschen werden unter Aufsicht des türkischen Staates in Tetwan und den kurdischen Provinzen untergebracht. Es heißt, dass durch den Transport von Tausenden Migranten in die 100.000-Einwohnerstadt Tetwan die Bevölkerungszusammensetzung aktiv umgestaltet werden soll. Zuvor sind Migranten auch in Elcewaz (Adilcevaz) in Bedlîs angesiedelt worden.

Bewohner von Tetwan berichten, dass insbesondere nach den Wahlen am 24. Juli die Anzahl der Migranten in der Stadt massiv gestiegen sei: „Zuvor gab es praktisch keine Migranten in Tetwan. Es scheint, als würde die Migration bewusst gesteuert. Wir sind jedenfalls davon überzeugt, dass dies bewusst geschieht. Das Ziel ist, die Demografie von Bedlîs zu verändern. Diese Politik ist schon früher versucht worden und ist damals gescheitert.“

Nach dem Militärputsch von 1980 hatte im Jahr 1982 Kenan Evren Kirgisen in der Region angesiedelt. Er verfolgte damit das Ziel einer demografischen Umgestaltung der Gebiete, in denen die Bevölkerung im Rahmen des Zilan-Massakers zu Zehntausenden ermordet worden war. Das kirgisische Dorf ist heute das Dorf, das die meisten regimetreuen Paramilitärs, die sogenannten Dorfschützer, stellt.