Südkurdistan: 50 Prozent wollen weder PDK noch YNK

Mit den Wahlen im Irak sind auf der politischen Bühne Südkurdistans zwei neue Oppositionsparteien erschienen, die Bewegung der neuen Generation und die Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit. Erstere erhielt in Hewlêr und in Silêmanî gute Ergebnisse.

Die Wahlen vom 12. Mai im Irak wurden von einer von Muqtada al-Sadr angeführten Koalition gewonnen. Da die sicheren Wahlergebnisse noch nicht feststehen, ist noch nicht bekannt, wie viele Sitze welche Fraktion im Parlament tatsächlich erhält. Vor den Wahlen galt der von den USA gestützte Abadi als Favorit, jetzt befindet er sich in dritter Reihe.

Die Wahlbeteiligung von 44 Prozent und der Sieg von Sadr bedeuten für den Iran und die USA den Beginn einer neuen Phase. Tatsächlich forderten die feiernden Anhänger Sadrs den Abzug der USA und des Iran aus dem Irak. Auch für Südkurdistan und die Türkei beginnt mit Sadrs Sieg eine neue Entwicklung. Mit der Bekanntgabe der Wahlergebnisse für Südkurdistan setzten Betrugsvorwürfe gegen die PDK und die YNK von allen Seiten ein.

Der Wissenschaftler vom Tahrir Institute for Middle East Policy in Washington Kamal Chomani analysiert, dass etwa 50 Prozent der Kurd*innen vehement gegen den aktuellen Status quo und gegen die aktuellen politischen Eliten seien. Das wichtigste Ergebnis der Wahlen sei demnach, dass die Menschen, die gegen YNK und PDK sind, gar nicht erst wählen gegangen sind. PDK, YNK und Gorran-Bewegung wurden von der Bevölkerung abgestraft und die Bewegung der neuen Generation und die Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit seien als neue Oppositionsparteien hervorgetreten. Die Tageszeitung Özgür Politika führte zu den Wahlen ein Gespräch mit Chomani:

In was für einer Atmosphäre fanden die Wahlen vom 12. Mai statt?

Diese Wahlen waren ein Novum für die Bevölkerung des Iraks, sie fanden nach zwei sehr wichtigen Ereignissen statt, erstens dem Angriff und der Besetzungen durch den IS und zweitens nach dem Misserfolg des Referendums in Kurdistan. Diese beiden Ereignisse haben die Dynamiken sowohl im Irak, als auch in Kurdistan verändert. Das legte die Basis dafür, dass aus den Wahlen neue politische Parteien und neue Koalitionen hervorgingen. Die Niederlage nach dem Referendum und der Sieg über den IS erleichterten die Bildung neuer politischer Parteien.

Nach 2003 basierte die gesamte irakische Politik auf dem Konsens. Im politischen System gab es auf ethnischer und konfessioneller Basis einen Konsens. Kurden, Schiiten, Sunniten haben gemeinsam die Regierungen gebildet. Natürlich gab es auch noch andere Strukturen wie die Turkmenen oder die Christen. Aber wie es auch kam, durch Wahlen wurde im Irak nichts verändert, denn der Premier war Schiit, der Parlamentssprecher Sunnit und der Republikspräsident Kurde. Das war der Konsens. Jetzt sehen wir zum ersten Mal, dass Koalitionen und Parteien auftreten, die sich nicht auf Konfession oder Ethnizität stützen und eine pluralistische Republik wollen. Das ist sowohl für die Kurdische, als auch für die irakische Politik etwas sehr Neues.

Mit welchen Argumenten haben die kurdischen Parteien ihren Wahlkampf geführt?

Die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) befand sich aufgrund des Misserfolgs ihres Referendums in einer Defensivposition. Sie bezeichnete die Menschen, die nicht am Referendum teilgenommen hatten als „Verräter“.

Die Gorran-Bewegung hat die YNK und die PDK für den Misserfolg der letzten 27 Jahre verantwortlich gemacht. Sie hat sich dabei vor allem auf das Unabhängigkeitsreferendum, die Ölpolitik und auf die Unabhängigkeit der Ökonomie von Bagdad konzentriert. Gorran kritisierte, wie die Patriotische Union Kurdistans (YNK) Kerkûk verkauft und wie die PDK Kurdistan und seine Bevölkerung verraten habe und systematische Korruption betreibe.

Die Bewegung der neuen Generation (Nifşê Nû) betonte, dass alle alten Parteien keinen Erfolg gehabt hätten und kritisierte diese als „traditionelle“ Parteien. Sie hob selbst hervor anders zu sein und nicht nur ein politisches, sondern auch ein ökonomisches Programm zu haben. Sie erklärte sich als eine Partei, die nicht nur in Kurdistan arbeite, sondern in allen Regionen des Irak aktiv werde. Deshalb konnte sie in vielen Regionen, in denen PDK, YNK, Gorran, die Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit und die Islamische Partei nicht präsent waren, Kandidat*innen aufstellen.

Die PDK nahm an den Wahlen in Kerkûk nicht Teil. Das gab Gorran, der Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit und der Islamischen Gruppe die Möglichkeit eine Koalition zu bilden. Das stellt eine neue Lage dar.

Der Wahlkampf in Südkurdistan lief unter Beschuldigungen aller Gruppen gegeneinander sehr schmutzig ab. Die Familien der höchsten Führer der PDK und der YNK, die Barzanîs und die Talabanîs, griffen zum ersten Mal direkt in den Wahlkampf ein, um ihre Basis zu überzeugen.

Die Wahlbeteiligung war äußerst gering – Warum war das so?

Die Bevölkerung, sowohl in der Region Kurdistan, als auch im Irak, hat die politischen Eliten und politischen Führer satt. Die Menschen in Kurdistan erleben seit 1991 und die im Irak seit 2003 immer wieder das gleiche. Sie haben genug von dem System und sind zu dem Schluss gekommen, dass Wahlen überhaupt nichts verändern und nur dazu dienen, den ins Parlament Gewählten Geld in die Taschen zu spülen. Selbst die im kurdischen Parlament sehr starken Gorran und die Islamisten konnten nichts machen.

Zum Beispiel am 12. Oktober 2015, als das Gesetz für den Parlamentsvorsitz geändert werden sollte, war Barzanî nicht bereit seinen Sessel zu räumen. Er unterbrach die Rede des Sprechers des Parlaments und verhinderte, dass er das Parlament erreichte. Er ließ dessen Rückkehr nach Hewlêr (Erbil) bis zum Ende seiner Wahlkampagne nicht zu. Daher haben die Menschen ihre Hoffnungen und ihr Vertrauen verloren. Das Volk glaubt in Kurdistan nicht mehr an die repräsentative Demokratie. Denn man kann so viele Stimmen bekommen wie man will, wenn man keine bewaffnete Kraft ist, wenn man nicht über starke Beziehungen zu den USA, dem Iran und der Türkei verfügt, dann wird einem nicht erlaubt, in Kurdistan Erfolg zu haben.

Die PDK hat sich zur Siegerin der Wahlen erklärt. Entspricht das der Realität?

Die PDK hat keinen Sieg errungen, denn sie wird im Parlament Sitze verlieren. Sie hat Kerkûk vollständig verloren. Wie man es auch betrachten möchte, die Pläne der PDK und das Streben ein unabhängiges Kurdistan zu errichten sind vollständig gescheitert. Die Frage ist nicht, wie viele Sitze man gewonnen hat, die Frage ist, wie wird die Bildung der neuen irakischen Regierung gestaltet. In Bezug auf die gewonnenen Sitze und der Stimmen, ja, da hat die PDK die anderen Parteien übertrumpft und die Mehrheit gewonnen. Der Grund dafür ist, das 50 Prozent an der Wahl teilgenommen haben, aber die andere Hälfte ist wütend auf das System und insbesondere auf die PDK und YNK.

Wie bewerten Sie den Stimmanteil der YNK?

Die YNK scheint erfolgreich gewesen zu sein, insbesondere in Kerkûk und Silêmanî (Sulaimaniyya) und in einer gewissen Hinsicht sogar in Hewlêr. Aber die Wahlergebnisse der YNK wirken manipuliert, ob sie das mit einem Hacken des Systems oder mit der Intervention des Irans erreicht haben, bleibt im Dunkeln.

Also wie hat die YNK dieses Ergebnis erreicht?

Es ist wirklich unklar, wie die YNK diese Ergebnisse erzielt hat. Silêmanî ist von großer strategischer Bedeutung für den Iran. Ganz Kurdistan aber insbesondere Kerkûk und Silêmanî sind von größter Bedeutung. Deshalb wird der Iran niemals einer politischen Partei, die nicht unter seiner Kontrolle steht erlauben, dort zu einer Kraft zu werden. Deswegen weisen viele Quellen darauf hin, dass die Wahlergebnisse aufgrund der Intervention des Iran so ausgefallen sind. Wie Sie wissen wurden die Stimmen nicht mit der Hand, sondern elektronisch ausgezählt.

Im Vergleich zu den vergangenen Wahlen hat Gorran anscheinend Stimmen verloren. Welchen Fehler hat Gorran gemacht?

Gorran hat einige strategische Fehler begangen. Obwohl sie sich nicht gegen das Referendum positioniert und keine klare Haltung zu einem Boykott an den Tag gelegt haben, hat der Generalkoordinator von Gorran, Omar Seyit Ali, erklärt, er habe mit „Ja“ gestimmt, das war der erste Fehler. Der zweite war, dass sie keine Gespräche mit den USA und der EU aufgenommen und so nicht gezeigt haben, dass sie internationale Beziehungen haben und die Diplomatie beherrschen. Sie konnten die Bevölkerung nicht davon überzeugen, dass sie in der Lage sind den Irak zu regieren. Gleichzeitig konnte Gorran auch nicht mit dem Iran eine Einigung auf der Basis eines gemeinsamen Interesses erzielen. Sie konnten keine Beziehungen mit dem Iran aufbauen. Es gibt aber auch einen anderen Grund, warum Gorran den Erfolg vorheriger Wahlen nicht wiederholen konnte; die Wähler, die gegen die PDK und die YNK sind, sind nicht zur Wahl gegangen. Sie sind auch wütend auf Gorran. Deshalb sind sie nicht zur Wahl gegangen und Gorran hat verloren.

Schließlich bleiben noch zwei starke Oppositionsparteien, die Bewegung der neuen Generation und die Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit. Sie haben Stimmen von Gorran genommen. Außerdem war Gorran nicht in der Lage, mit anderen oppositionellen Parteien eine Koalition zu bilden.

Wenn ich an der Stelle von Gorran gewesen wäre, hätte ich mit der Islamischen Gruppe Kurdistan und der Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit eine Koalition gebildet und mich gleichzeitig der PKK nahestehenden Tevgera Azadî angenähert, denn die kurdische Bevölkerung hegt große Sympathien für die PKK.

Ein anderer Punkt ist, dass Gorran zur Verweigerung der Einreise von Yusuf Hamad nach Hewlêr geschwiegen hat, sie haben die Bevölkerung nicht mobilisiert und keine klare Haltung gezeigt. Sie saßen weiter in Silêmanî und reisten nicht in andere Länder, in die USA, die EU oder den Iran um Lobbyarbeit zu machen. Das hat die Bevölkerung verärgert, denn sie wollten, dass Gorran etwas bewegt, dass sie anfangen zu handeln.

Die Überraschung dieser Wahlen ist die Bewegung der neuen Generation. Haben sie Ihrer Meinung nach die gewünschten Ergebnisse erzielen können?

Bei der Bewegung der neuen Generation handelt es sich um eine populistische Partei, sie hatten erwartet Nummer eins zu werden. Das haben sie nicht geschafft, aber dennoch ist dies für Şasuvar Abdulwahid und die Partei ein großer Erfolg. Auch wenn sie nicht das, was sie den Medien gesagt und erwartet haben erreichen konnten, haben sie in Hewlêr und Silêmanî sehr gute Ergebnisse erzielt und auf jeden Fall sechs Sitze gewinnen können. Das ist für sie eine wunderbare Sache. Sie haben mehr Stimmen als  Barham Salih erhalten. Auch von Yekgirtû und Komala Islam und von den traditionellen Parteien sind Wähler gewechselt, dass war für sie sehr gut.

Die PDK und Yekgirtû haben gesagt, die YNK hätte Wahlbetrug begangen. Der Sprecher der YNK Sadi Pire sagte, dass die PDK in Duhok und Hewlêr betrogen hätte. Was sind Ihre Informationen?

Meiner Meinung nach begannen die illegalen Aktivitäten nicht erst mit der Wahl, schon vor den Wahlen wurden Menschen bedroht, Millionen Dollar verteilt, die Regierung und ihre Institutionen benutzt und Peschmerga, Asayisch und Polizei dazu gezwungen, ihnen ihre Stimmen zu geben. Während der Wahlen, kann es sein, dass die Stimmanteile in Silêmanî geändert worden sind, aber nicht nur dort, überall gab es Irregularitäten. In Südkurdistan sind 50 Prozent stark gegen den aktuellen Status quo und die politischen Eliten. Das ist meiner Meinung nach das wichtigste Ergebnis der Wahlen.

Wie bewerten Sie die Wahlergebnisse in Kerkûk?

Kerkûk ist ein Ort, an dem die YNK seit Jahren stark war. Außerdem war die Beteiligung der arabischen, turkmenischen und anderen Bevölkerung nicht so hoch, wie die Kurdische und diejenigen, die Abstimmten, unterstützten die YNK. Deswegen konnten sie eine gute Anzahl an Sitzen erringen. Ein anderer Punkt ist, dass die PDK aufgrund ihres Boykotts keinen einzigen Sitz gewann. In Kerkûk gibt es nun eine Koalition zwischen Gorran, Barham Salih und der Islamischen Gruppe Kurdistan, auf diese Weise konnten sie Sitze erringen, das ist für Kerkûk etwas Neues.

Der Iran hat den Kandidaten der USA, Abadi unterstützt. Aber Sadr hat einen Überraschungserfolg erzielt. Was passiert jetzt?

Das Ergebnis war auf jeden Fall eine Überraschung. Jeder hat erwartet, dass al-Nasr von Abadi und Hadi al-Amiri mit seiner Al-Fatah-Partei an der Spitze der iranischen Milizen gewinnen würde. Aber so ist es nicht gekommen, die von Sadr angeführte Koalition hat ihren Sieg durch 55 Sitze gewonnen. Die Sadr-Koalition hat al-Nasr und al-Fatah hinter sich gelassen. Diese Ergebnisse sind interessant. Denn jeder hat erwartet, dass die Wahlen durch die Gruppen zwischen den USA und dem Iran entschieden werden. Aber die irakische Bevölkerung hat weder den Iran noch die USA akzeptiert. Muqtada-al-Sadr ist gegen den iranischen Einfluss im Irak. Daher gingen die Anhänger al-Sadrs nach den Ergebnissen auf die Straße und forderten den Abzug des Iran aus dem Irak. Die Sadr-Gruppe ist ziemlich pragmatisch und sie bereitet vor, alle politischen Parteien zusammenzubringen. Es gibt eine nationale, aber keine konfessionelle Agenda. Darüber hinaus hat sie auch el-Merceiyye unterstützt und dass sind Anhänger Sistanis. Sistani hatte offiziell erklärt, er werde keine politische Partei unterstützen, aber unter der Hand unterstützte er Sadr. Nach der Verkündigung der Ergebnisse hatte Sadr erklärt, er wolle gemeinsam mit wenig korrupten Parteien, in denen der Einfluss des Iran gering ist, eine Regierung bilden. Das ist ein interessanter Aufruf. Der Aufruf schloss manche sunnitische über fortschrittliche kurdische Kräfte bis hin zu Abadi viele Gruppen mit ein. Al-Fatah und Maliki stehen unter dem Einfluss des Iran und werden bei der Bildung einer neuen Regierung außen vorgehalten werden. Tatsächlich hat Saudi Arabien sofort verkündet, dass sie diesen Aufruf unterstützten. Mächtige sunnitische Führer wie Xelife Xencer von der El-Qarar-Liste schauen wohlwollend auf diese Idee Sadrs. Wenn es diese Koalition geben sollte, dann wird es eine Regierung jenseits von konfessionellen und ethnischen Grenzen sein. Das wäre ein wichtiger neuer Schritt für die irakische Politik. Sadr wird der Führer der neu gebildeten Regierung sein. Ich kann sagen, dass einige Parteien aus Südkurdistan Teil dieser Koalition sein werden.

Wird es eine neue Kurdenpolitik von Bagdad geben?

Ich denke, dass Bagdad einen neuen Plan für die Kurden haben wird. Diese neuen Pläne werden erfolgreich sein, denn die kurdischen Parteien sind gespalten, sie haben das Referendum verloren, sie haben Land verloren und es gibt großen internationalen Druck auf die Region Kurdistan. In diesem Zusammenhang gibt es auch den Druck auf Bagdad einen klaren Plan für die Kurden zu entwickeln.

Zuvor war die Republikspräsidentschaft und das Amt des Generalstabschefs immer Kurden gegeben worden. Wird das so weitergehen?

Ich denke, Bagdad wird in dieser Hinsicht einige Änderungen vornehmen. Kurdische Parteien werden Teil der Regierung sein, aber welche das sein wird, und wie der Status der Kurden in Bagdad sein wird, ist unklar. Wenn die Kurden an der irakischen Regierung als ein vereinter Block teilnehmen dann macht das sechzig Sitze. Es kann solche Einflüsse geben, aber wenn die YNK und andere irakische Parteien eine Koalition bilden, dann wird die PDK in Bagdad zu einer Oppositionspartei werden können. Andererseits kann auch die PDK mit manchen politischen Parteien eine Einigung in Bagdad erzielen. Es wird eine Mehrheitsregierung geben und so kann auch die YNK und die anderen Parteien außen vor bleiben. Aber das wahrscheinlichste Szenario ist, dass PDK und YNK gemeinsam vorgehen. Sie haben außerdem genug Sitze, um eine politische Partei oder Koalition in Bagdad zur Zusammenarbeit zu bewegen. Dann wird eines der politischen Ämter des Iraks, entweder der Ministerpräsident oder der Republikspräsident oder der Parlamentssprecher wieder ein Kurde sein, wahrscheinlich wird es der Republikspräsident sein.

Der Stimmverlust der islamistischen Parteien in Südkurdistan ist auffällig. Wie ist dies zu bewerten?

Ja die islamistischen Parteien haben große Einbußen erlebt. Dafür gibt es natürlich viele Gründe. Auch wenn die kurdische Gesellschaft konservativ ist, auch wenn sie religiös ist, so ist sie doch nicht islamistisch. Die islamistischen Parteien waren früher stark, da es keine Oppositionspartei gab. Jetzt gibt es aber viele Oppositionsparteien und unter ihnen auch Islamisten. So kommt ein Teil der Führung der Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit aus dem islamistischen Lager. Außerdem haben die Islamische Union Kurdistan und Yekgirtû die Regionalpolitik der PDK und Erdoğan in der Türkei massiv unterstützt, das Volk hat sie dafür bestraft und ihnen keine Stimmen gegeben.

Wie werden sich die irakisch-türkischen Beziehungen nach den Wahlen entwickeln? Wird eine gemeinsame Operation gegen Qendîl möglich?

Die Region Kurdistan stellt keine so profitable Region mehr für die Türkei dar. Für sie ist das irakische Öl profitabler und die türkischen Exporte nach Bagdad und in die anderen Regionen des Iraks nehmen zu. Ich denke daher, dass sich Ankara und Bagdad weiter annähern werden. Allerdings wird dies aufgrund der Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran noch nicht so deutlich sein.

Der Iran wird einen türkischen Angriff auf Qendîl niemals unterstützen. Denn ein Angriff auf Qendîl durch die Türkei kann niemals ohne die Erlaubnis der USA und des Irans erfolgen. Vorher war der Irak sehr mit den Wahlen beschäftigt und Abadi wollte für sich keine Probleme schaffen. Aber jetzt ist das anders. Wenn der Irak eine nicht auf Konfession und Ethnizität basierende, erfolgreiche Regierung auf nationaler Grundlage schafft, kann die Türkei nicht wie früher in die Politik des Iraks hineinwirken,

Ich denke, das Hauptziel des türkischen Staates bei der Besetzung von Bradost ist es, die Verbindung zwischen Qendîl, Rojava und Nordkurdistan abzuschneiden. Sie können damit bis zu einem gewissen Grad Erfolg haben, insbesondere nach der Besetzung von Bradost … Aber das wird nur kurzfristig sein, denn der Irak wird dies nicht akzeptieren. Außerdem wird die PKK dem sehr stark entgegnen. Für die PDK war es immer sehr wichtig, gute Beziehungen zur Türkei zu waren und diese zu schützen. Diese Beziehungen richteten sich immer sowohl gegen Südkurdistan als auch gegen die kurdische Bevölkerung von Rojava und Nordkurdistan. Ich glaube nicht, dass diese Beziehungen in Zukunft so fortgesetzt werden und erfolgreich sind. So sehr die PDK die Türkei in Kurdistan halten möchte, glaube ich dennoch nicht, dass das noch lange so geht. Daher wird die Lage nach den Wahlen ganz anders sein als vorher. Vor den Wahlen war der Irak mit dem IS beschäftigt, er war aufgrund des Referendums mit den Problemen zwischen Hewlêr und Bagdad beschäftigt und versuchte die konfessionellen Auseinandersetzungen zu beenden. Zudem bemühte er sich darum die Binnenvertriebenen wieder anzusiedeln. Aber nach den Wahlen wird eine gestärkte irakische Regierung den Interventionen der Türkei in die irakische Politik Einhalt gebieten.

YENI ÖZGÜR POLITIKA