Rassistischer Angriff auf Anwalt wegen „Kurdistan“

Weil er während der Hauptversammlung der Rechtsanwaltskammer Adana die Wörter „Kurdistan“ und „Guerilla“ fallen ließ, wurde der Anwalt Şiar Rişvanoğlu von einer Gruppe nationalistischer Anwälte bedroht und beleidigt.

Während seiner Rede auf der Hauptversammlung der Rechtsanwaltskammer Adana ist der Jurist Şiar Rişvanoğlu Opfer einer rassistisch motivierten Attacke geworden. Rişvanoğlu, der Mitglied der mittlerweile per Notstandsdekret geschlossenen linken Anwaltsvereinigung ÇHD (Çağdaş Hukukçular Derneği, deutsch: Verein fortschrittlicher Juristen) ist, hatte die aktuelle Lage im Land angesprochen und dabei Wörter wie „Kurdistan“ und „Guerilla“ fallen lassen, als er von einer Gruppe Anwälten, die sich selbst „nationalistische Juristen“ nennt, bedroht und beleidigt wurde. Rişvanoğlu kritisiert, dass die Rechtsanwaltskammer zu dem Angriff schweige und keine distanzierende Haltung beziehe.

„Du Terrorist, PKK-Mitglied, Kommunist“

Seine Rede auf der 30. Hauptversammlung hatte Şiar Rişvanoğlu mit einem Nachruf auf den im Jahr 2015 von staatlichen Kräften ermordeten Präsidenten der Rechtsanwaltskammer von Amed (Diyarbakir), Tahir Elçi, eingeleitet. Im weiteren Verlauf sagte Rişvanoğlu: „Nach dem Grubenunglück von Soma und den Inhaftierungen der Bauarbeiter des dritten Istanbuler Flughafens fühle ich mich nicht mehr wohl. Ein normales Leben ist einfach nicht mehr möglich. Der Krieg im Land geht weiter. In Kurdistan sterben jeden Tag Mitglieder der Guerilla, Soldaten, Polizisten und die Kinder mittelloser Arbeiter*innen. Beunruhigt euch das nicht?“, fragte der Jurist das Publikum.  

Daraufhin seien mehrere nationalistische Anwälte auf Rişvanoğlu losgegangen, die ihn zudem bedroht hätten. Er sei ein „Terrorist, PKK-Mitglied, Kommunist“, der gefälligst zu sagen habe, wo denn „Kurdistan“ liege. Anderen Anwälten, die schützend dazwischen gegangenen sind, wurden offenbar Stühle hinterhergeworfen. Nach einer Pause habe Rişvanoğlu seine Rede fortsetzen können.

Drohungen unter Polizeiaufsicht

„Danach rief der Gruppenführer dieser nationalistischen Anwälte die Polizei dazu und sagte unter deren Aufsicht: ‚Ich spreche hier an die anwesende Presse und fordere die Staatsanwälte auf, ihren Pflichten nachzukommen. Der Terrorist Şiar Rişvanoğlu hat eine Region unseres Landes, die mit dem Blut unserer Märtyrer getränkt ist, als Kurdistan verherrlicht. Er hat den Terrorismus verherrlicht, indem er Terroristen als Guerilla bezeichnete. Die Generalversammlung muss der Besatzung durch die ÇHD ein Ende setzen. Betrachten Sie dies als offizielle Beschwerde“, so Rişvanoğlu. Es sei das erste Mal, dass man mit solch einer Praxis konfrontiert ist. Hinzu käme, dass seit geraumer Zeit der Druck besonders hoch sei, ein Netzwerk denunzierender Anwälte zu schaffen. Immer wieder sollen Juristen dazu aufgefordert werden, Informationen über regierungskritische Kollegen preiszugeben. „Unter dieser Hegemonie der Bourgeoisie gibt es Bestrebungen, den Teil der Gesellschaft, der sich für Freiheit und Gleichberechtigung einsetzt, physisch zu eliminieren. Dies wird auch an Beispielen wie Roboskî, Cizîr und Sûr deutlich. Kurzfristig sieht es zwar so aus, als gehöre der Sieg ihnen. Doch am Ende des Marathons werden wir es sein, die sich durchgesetzt haben. So wie es auch Rosa Luxemburg zu sagen pflegte: ‚So ist das Leben und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd - trotz alledem‘“.