Scharfe Kritik an Türkei auf NATO-Treffen

Berichte von der Videokonferenz der NATO-Außenminister sprechen von heftigen Konfrontationen zwischen den USA und der Türkei.

Das Eis, auf dem sich das Erdoğan-Regime bewegt, wird zunehmend dünner, dies ist deutlich am Ablauf der virtuellen Sitzung der NATO-Außenminister zu beobachten. Der noch amtierende US-Außenminister Mike Pompeo griff die Türkei auf der Videokonferenz scharf an und beschuldigte Ankara, Spannungen mit den NATO-Staaten im Mittelmeer geschürt und dem Kreml durch den Kauf des S-400-Raketenabwehrsystems, „ein Geschenk gemacht zu haben“. Auffällig ist, dass offensichtlich die Trump-Administration vor ihrem Abtritt sich noch von Erdoğan abzuwenden scheint und offene Kritik äußert, von der das Weiße Haus zuvor nichts wissen wollte. Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Joe Biden könnte sich die Lage für das Erdoğan-Regime kurzfristig weiter verschlechtern.

Türkei reagiert mit Schimpftirade

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu reagierte wie gewohnt mit Gegenbeschuldigungen und warf Pompeo vor, europäische Verbündete anzurufen und sie aufzufordern, sich gegen die Türkei zu verbünden, sich in regionalen Konflikten blind auf die Seite Griechenlands zu stellen und sich zu weigern, Ankara in den USA hergestellte Patriot-Flugabwehrsysteme zu verkaufen.

Türkisches Regime geriert sich als „Kämpfer gegen den IS“

Regelrecht bizarr wurde es, als Çavuşoğlu den USA nicht nur in gewohnter Manier vorwarf, „kurdische terroristische Organisationen“ in Syrien zu unterstützen, sondern sich im gleichen Atemzug dazu erdreistete zu behaupten, dies sei geschehen, „während die Türkei gegen den Islamischen Staat kämpfte“. Diese Bemerkung dürfte große Verwunderung hervorgerufen haben, ist es doch nicht mehr zu widerlegen, dass die Türkei zu den Hauptunterstützern des IS gehörte. Çavuşoğlu verwies schließlich noch auf den Krieg in Arzach (Bergkarabach) und warf den USA vor, Armenien unterstützt zu haben. Die Türkei hatte mit Soldaten und Dschihadisten aus Syrien Aserbaidschan bei der Eroberung und Besetzung der vorwiegend armenischen Region Arzach geholfen. Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn erklärte im Anschluss an das Treffen, er empfinde „Trauer“ wegen der Entsendung von Söldnern aus Syrien nach „Bergkarabach“ durch einen „Bündnispartnerstaat“.

Frankreich: „Türkei ahmt aggressiven Interventionismus Russlands nach“

Die heftigen Auseinandersetzungen bestätigten Teilnehmer*innen der verschiedenen Delegationen auch gegenüber der Washingtoner Zeitung Politico, die über gute Kontakte in die US-amerikanische Administration verfügt. Demnach unterstützten mehrere Mitgliedsstaaten Pompeo. Unter den Kritikern befand sich der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian, der das Verhalten Ankaras anprangerte und sagte, ein Zusammenhalt innerhalb des Bündnisses wäre unmöglich zu erreichen, wenn die Türkei Russlands aggressiven Interventionismus nachahmen würde.

Türkei in der NATO isoliert

Am Ende des Treffens war klar, dass die Türkei unter den 30 Mitgliedern des Bündnisses praktisch isoliert ist. Die erneute Forderung Çavuşoğlus an die NATO, diese solle selbst eine Rolle im libyschen Bürgerkrieg übernehmen, wurde von den anderen Verbündeten mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass die Türkei den Konflikt zu verschärfe, indem sie Waffen und Söldner zur Unterstützung der Nationalen Einheitsregierung in Tripolis schickte.

Nachdem Çavuşoğlu Pompeo und den USA vorgeworfen hatte, eine maximalistische Position zugunsten Griechenlands in Bezug auf Konflikte im östlichen Mittelmeer einzunehmen, erwiderte der griechische Außenminister Nikos Dendias, wenn die griechische Position maximalistisch sei, „so ist das Völkerrecht“.

Regime in Ankara auf deutsche Appeasementpolitik angewiesen

Ein EU-Beamter sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Ankara hat in der EU nicht mehr viel Unterstützung, da die Türken seit der Annahme der Doppelstrategie im Oktober kein positives Verhalten mehr angenommen haben.“ Daher ist die Türkei mehr denn je auf die deutsche Appeasementpolitik angewiesen. Nach Angaben von NATO-Diplomaten hat Çavuşoğlu eine ambivalente Position gegenüber Deutschland auf dem Treffen an den Tag gelegt. Er lobte Berlin dafür, dass es als „ehrlicher Vermittler“ bei dem Versuch, die Konflikte im Mittelmeer zu lösen, handele, warf aber gleichzeitig der Bundesregierung „Piraterie“ vor, weil die deutsche Marine versucht hatte, ein mutmaßlich illegal mit Waffen beladenes türkisches Schiff auf dem Weg nach Libyen zu kontrollieren. Gerade diese Äußerung macht die prekäre Situation der Türkei deutlich. Die türkische Regierung setzt vieles daran, sich gut mit ihrem traditionellen Verbündeten Deutschland zu stellen. Die Waffentransporte an das Muslimbruderregime in Libyen sind allerdings offensichtlich von so großer strategischer Bedeutung, dass es die Türkei hier dennoch auf einen Konflikt ankommen lassen muss.

Deutschland verhindert Sanktionen

Viele Staaten fordern mittlerweile Sanktionen gegen das Erdoğan-Regime. Bisher waren Sanktionen vom amtierenden US-Präsidenten Donald Trump blockiert worden. Mit der Amtsübernahme durch Joe Biden wird jedoch ein Wechsel dieser Politik erwartet. Kanada hat bereits die Ausfuhr von Elektronikprodukten, die in Drohnen eingesetzt werden können, in die Türkei eingestellt. Die EU-Mitglieder werden auf einem Gipfeltreffen am 10. Dezember entscheiden, ob sie den Prozess der Sanktionierung gegen die Türkei wegen Verletzung griechischer Gewässer bei der Suche nach Gas oder wegen des Verstoßes gegen das UN-Waffenembargo gegenüber Libyen einleiten. Trotz gewisser Verstimmungen agiert die Bundesregierung weiter als enge Alliierte Ankaras. So führt Deutschland die Blockade von EU-Sanktionen gegenüber Ankara an. Quellen aus der EU berichten jedoch gegenüber AFP, dass die Bundesregierung mit ihrer Haltung gegen Sanktionen gegenüber Ankara immer mehr isoliert dastehe und im Moment vor allem noch das rechtsextrem regierte Polen an der Seite habe.