Mahmut Kaya verurteilt und freigelassen

Der kurdische Aktivist Mahmut Kaya ist vor dem OLG Hamburg wegen PKK-Mitgliedschaft zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und aus der Haft entlassen worden.

Der kurdische Aktivist Mahmut Kaya ist wegen Mitgliedschaft in der PKK vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg zu einer Haftstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt worden. Die Strafe wurde für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Nach achtmonatiger Untersuchungshaft konnte Kaya in Begleitung seines Verteidigers Alexander Kienzle den Verhandlungssaal verlassen und wurde von Freunden und Verwandten vor dem Gerichtsgebäude in Empfang genommen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Mahmut Kaya war im Juni 2018 vor dem türkischen Konsulat in Düsseldorf festgenommen worden. Seit Dezember vergangenen Jahres wurde in neun Gerichtsterminen über den Vorwurf der „mitgliedschaftlichen Betätigung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ verhandelt. Der Angeklagte hatte sich in einer ausführlichen Prozesserklärung zur kurdischen Frage geäußert.

Am heutigen letzten Verhandlungstag führte er seinen persönlichen Werdegang an und erklärte: „Ich wurde in einer Provinz in Kurdistan geboren. Im Jahre 1925 hat die Republik Türkei mein Dorf, das aus 100 Häusern bestand, angegriffen und zerstört. Dabei wurden auch Angehörige meiner Familie ermordet. Der türkische Staat betrachtet die Menschen der Region immer noch als Feind und geht feindlich mit ihnen um. Sie werden nicht als Staatsbürger erachtet. Nach dem Militärputsch am 12. September 1980 hat die türkische Armee mehr als 100.000 Menschen der Folter unterzogen. Auch in meinem Dorf hat die Republik Türkei Methoden angewandt, mit denen die Menschenwürde verletzt wurde. Es wurde gefoltert. Die Würde des Menschen ist jedoch unantastbar. Sie darf nicht verletzt werden. Das ist meine feste Überzeugung. Dinge, die sich gegen die Menschenwürde richten, können nicht hingenommen werden. Ich bin daher davon überzeugt, dass der Widerstand des kurdischen Volkes rechtmäßig ist.“

Vor dem Gerichtsgebäude erklärte Mahmut Kaya gegenüber ANF, dass die Angriffe auf Kurdistan andauern. Kurdistan sei weiterhin besetzt, daher werde auch der Widerstand weitergehen.

Im Visier der Konterguerilla

Zu seiner persönlichen Geschichte erklärte Kaya, dass er an seinem Heimatort Çewlîg (Bingöl) Vorsitzender des Disziplinarausschusses der 1990 gegründeten legalen Partei HEP war. In dieser Zeit wurde er selbst zum Angriffsziel des türkischen Staates. 1991 wurde Vedat Aydin, der Provinzverbandsvorsitzende der HEP in Amed (Diyarbakir) von der Konterguerilla ermordet. „Danach wurden Hunderte Mitglieder der HEP Opfer extralegaler Hinrichtungen“, sagte Kaya. „Auch ich war in dieser Zeit Ziel der Konterguerilla. Ich konnte nicht mehr nach Hause gehen und habe jeden Tag bei verschiedenen Freunden übernachtet. Im Winter 1991/92 sind vier maskierte Männer bei mir zu Hause erschienen und wollten mich mitnehmen.“

Kaya musste Çewlîg verlassen und hielt sich eine Zeitlang in Mersin und Istanbul auf, bis er nach Deutschland kam.

Der größte Widerspruch ist der Geschlechterwiderspruch

„Ich glaube, dass es in der heutigen Zeit zwar einen Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital gibt. Es gibt aber einen noch viel größeren Widerspruch zwischen den Geschlechtern“, erklärte Kaya zu seiner Weltanschauung, die Oberstaatsanwalt Schakau anschließend als „stark ideologisch geprägt“ bewertete.

Kaya führte weiter aus: „Die Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus Frauen. Aufgrund der patriarchalen Denkweise leiden Frauen am meisten. Sie erleben sowohl zu Hause als auch auf der Arbeit sexuelle Erniedrigung, werden vergewaltigt und erleiden psychische Folter. Das ist ein Normalzustand geworden. Der tägliche Mord an Frauen hat sich zu einer Realität entwickelt. Frauen, die dieselbe Arbeit wie Männer verrichten, bekommen nicht denselben Lohn. Deshalb muss zunächst die Befreiung der Frau im Vordergrund stehen. Ich glaube, dass die Familie ein kleines Institut des Staats ist. Eine Frau, die heiratet, überträgt dann einen Teil ihrer Freiheit auf den Mann. Ein gemeinsames Leben ist möglich, aber im Ergebnis darf nicht die Frau Eigentum des Mannes sein, der Mann nicht Eigentum der Frau. Niemand gehört irgendjemandem. Niemand ist niemandes Eigentum.“

Kaya warnte vor der Gefahr des religiösen Fanatismus und des Nationalismus, der von Personen wie dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan verkörpert wird, und ging weiter auf die Repression in der Türkei ein, die eine legale politische Arbeit für Kurden unmöglich mache.

„Freiwillig und aus Überzeugung im Dienst der PKK“

Nach dem Angeklagten hatte Oberstaatsanwalt Schakau das Wort und stellte fest, die Beweisaufnahme habe ergeben, dass Kaya 2013 bis 2014 als „hauptamtlicher Kader der PKK im PKK-Gebiet Bremen organisatorisch, personell, finanziell und propagandistisch verantwortlich“ gewesen sei. Auch der Umstand, dass zum Tatzeitraum von der PKK ein einseitiger Waffenstillstand erklärt worden sei und die PKK gegen die Terrormiliz Islamischer Staat kämpfe, ändere nichts an der Tatsache, dass die PKK eine terroristische Vereinigung sei. Der Angeklagte habe sich „freiwillig und aus Überzeugung in den Dienst der PKK gestellt“.

Als strafmildernd bewertete Schakau, dass die „Tat“ fünf bis sechs Jahre zurückliege. Das Verfahren sei bereits im März 2015 bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg eingegangen, habe aber aufgrund hoher Arbeitsbelastung nicht umgehend verfolgt werden können. Tatsächlich wurde der Haftbefehl gegen Mahmut Kaya erst am 21. März 2018 ausgestellt, dem kurdischen Neujahrsfest.

Anschließend forderte der Oberstaatsanwalt ein Jahr und fünf Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Dem Angeklagten müsse allerdings klar sein, dass er sich auch in „Unterorganisationen der PKK“ nicht in verantwortlicher Stellung betätigen dürfe. Auch „unterhalb der Stellung eines Gebietsleiters“ könne eine Einzelverfolgungsermächtigung ergehen.

Graubereich politischer Betätigung

Rechtsanwalt Alexander Kienzle ging in seinem Abschlussplädoyer auf den von der PKK erklärten Waffenstillstand und die Repression gegen die Opposition in der Türkei zu den Kommunalwahlen im vorgeworfenen Tatzeitraum ein. Die PKK sei zudem ab 2014 rechtswidrig auf der europäischen Terrorliste geführt worden. Mahmut Kaya habe in seiner Prozesserklärung selbst darauf hingewiesen, dass Straftaten konkret und klar definiert sein müssten und er wisse, dass in Deutschland bestimmtes politisches Engagement je nach dahinter angenommener Gesinnung strafbar sei. Hierbei handele es sich jedoch um einen „Graubereich politischer Betätigung, die ausschließlich wegen gehaltener Kontakte zu anderen Personen strafbar wird“, so Rechtsanwalt Kienzle. Grundsätzlich sei sein Mandant freizusprechen.

Richterin äußert Verständnis für die Beweggründe

Nach einer Verhandlungspause wurde von der vorsitzenden Richterin des Staatsschutzsenats das Urteil verkündet. Mit dem Strafmaß von einem Jahr und fünf Monaten schloss sich der Senat der Forderung der Generalstaatsanwaltschaft an. Zur Begründung führte Richterin Taeubner aus, der Senat könne die Ziele und Beweggründe Mahmut Kayas verstehen und sein Engagement sogar gutheißen, aber der Rechtsstaat könne die Mittel der PKK nicht akzeptieren. Die „Volksgruppe“, der Kaya angehöre, werde in der Türkei unterdrückt, dennoch liege ein Widerstandsrecht nicht vor und das Kombattantenprivileg nach dem Völkerrecht greife in diesem Fall nicht. Das Gericht gehe davon aus, dass sich Kaya weiter „für die kurdische Sache“ engagieren werde, aber dies dürfe nur auf legale Weise geschehen.

Die Urteilsvollstreckung wurde für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Für diesen Zeitraum wurde die Weisung erteilt, dass Mahmut Kaya jeden Wohn- und Aufenthaltsortswechsel beim Gericht anzeigen muss.