Kundgebung in Hamburg: Selbstbestimmt gegen den Feminizid

In Hamburg hat eine Mahnwache anlässlich des Jahrestages des IS-Massakers in Şengal stattgefunden. Gefordert wurde eine Anerkennung des Angriffs vor sechs Jahren als Femizid und Genozid am ezidischen Volk.

Vor dem Strafjustizgebäude in Hamburg hat eine Mahnwache anlässlich des sechsten Jahrestages des Feminizids und Genozids an den Ezid*innen vom 3. August 2014 in Şengal stattgefunden. Aufgerufen zur der Aktion hatten der Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V. (SMJÊ) sowie das Frauenbündnis gegen Feminizide in Hamburg, der Frauenrat Rojbîn, die feministische Gruppe „Gemeinsam Kämpfen für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ und weitere Organisationen und Einzelpersonen. An der Gedenkkundgebung nahmen auch Überlebende aus Şengal teil. Die drei Töchter einer Familie hatten auf weiße Stirnbänder und ihre T-Shirts das Datum des Angriffs auf Şengal geschrieben: 3. August 2014.

SMJÊ: Immer noch Tausende Frauen und Kinder vermisst

Für den ezidischen Frauenrat SMJÊ sprach Adalet Şare. Sie erinnerte an die tausenden verschleppten Frauen und Kinder, von denen noch immer jegliche Spur fehlt. „Von den 400.000 Ezidinnen und Eziden wurden zehntausende vom IS im Sinjar-Gebirge umzingelt, viele von ihnen starben in der Hitze des Hochsommers aufgrund von Erschöpfung, Wasser und Nahrungsmangel“, erklärte Şare.

Rojbîn: Şengal wurde von der Guerilla verteidigt

Eine Sprecherin des Frauenrates Rojbîn erklärte auf der Kundgebung, dass die Guerilla der YJA-Star und der HPG bereits am 28. Juni 2014 Kräfte zur Verteidigung nach Şengal geschickt hatten. Diese konnten zumindest die Angreifer von den Bergen fernhalten, in die die schutzlose Bevölkerung geflohen war, nachdem die Peschmerga der südkurdischen Regierungspartei PDK ohne Vorwarnung abgezogen war. Eine bedeutende Forderung sei daher die Anerkennung der Widerstandseinheiten Şengals, die sich zur Befreiung und zum Schutz der Region gegründet haben, damit ein solcher Angriff nie wieder geschehen könne.

Özdemir: IS-Frauen versuchen sich zum Opfer zu stilisieren

Cansu Özdemir, Ko-Vorsitzende der Hamburger Linksfraktion, wies auf die gerade laufenden Prozesse gegen zwei IS-Frauen in Hamburg hin. Parallel zu der Kundgebung wurde im Strafjustizgebäude gegen die IS-Rückkehrerin Elina Frizler verhandelt. Sie war 2013 nach Raqqa gereist und konnte im Oktober während der türkischen Invasion in Nordsyrien aus Rojava fliehen. Dabei hatte ihr der Hamburger Journalist Daniel Gözubüyük geholfen, indem er sie telefonisch instruierte. Wie auch Omaima Abdi, eine weitere IS-Rückkehrerin, hatte sie ihre Kinder im Sinne des IS erzogen. „Diese IS-Frauen versuchen sich zum Opfer zu stilisieren, dabei tragen sie eine Mitverantwortung für die unbeschreiblichen Verbrechen des IS“, sagte die Linkspolitikerin Cansu Özdemir.

Nicht die Türkei, der Wiederaufbau von Şengal muss unterstützt werden

Eine Vertreterin des Bündnisses gegen Feminizide wies auf die fehlende internationale Hilfe für den Wiederaufbau in Şengal hin. Stattdessen werde die Türkei politisch als auch wirtschaftlich unter anderem durch die Bundesregierung Deutschland unterstützt.

Aziz Atalay von der Ezidischen Gemeinde Hamburg forderte die Anerkennung des Genozids an den Ezid*innen und erklärte, die Überlebenden erhofften sich eine ezidische Selbstverwaltung der Region Şengal. Im Anschluss sprach Şeyh Berzan vom Mala Ezidiya in Hamburg und dankte dem Frauenrat Rojbîn für die Organisation der Mahnwache.  Er bezeichnete den 3. August als „schwarzen Tag für die Eziden“ und erklärte, dass eigentlich jeder an diesem Tag auf der Straße sein sollte.

Fünf Minuten Schweigen

Der Angriff des IS vor sechs Jahren hatte um elf Uhr begonnen. Von fünf vor 11 bis 11 Uhr wurde daher auch in Hamburg schweigend der Opfer des Massakers gedacht. Im Anschluss ertönte eine Sirene im Gedenken an die Toten von Şengal.

Online-Abendveranstaltung

Am Montagabend um 19.30 Uhr findet noch eine Onlineveranstaltung zum Jahrestag des Genozids statt. Es diskutiert die Hamburger Linksfraktionsvorsitzende Cansu Özdemir mit Sevda Ediz (stellvertretende Vorsitzende von Women for Justice) und Diana Gring (Historikerin in der Gedenkstätte Bergen-Belsen und Traumapädagogin) bei Facebook.