KCK: Kein freies Êzîdxan ohne Widerstand!

Die KCK macht die USA verantwortlich für die türkischen Luftangriffe auf Şengal. Vom Irak fordert sie eine klare Positionierung. Die Türkei versucht heute, den IS-Genozid an den Ezid:innen zu vollenden, dagegen muss Widerstand geleistet werden.

Der Exekutivrat der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) erklärt angesichts der jüngsten Angriffe des türkischen Staates auf Şengal, dass ein freies Êzîdxan (Land der Ezid:innen) nur denkbar ist, wenn es erkämpft wird. Zudem würdigt die KCK die Verdienste des YBŞ-Kommandanten Seid Hesen, der am Montag bei einem gezielten Drohnenangriff in Şengal ums Leben gekommen ist. Es handele sich um einen geplanten Angriff, für den Kollaborateure aus Şengal die notwendigen nachrichtendienstlichen Informationen geliefert hätten. Da der Luftraum über dem Irak von den USA kontrolliert wird, macht die KCK auch die USA für den Drohnenangriff und die Bombardierung eines Krankenhauses am Dienstag verantwortlich.

In der Erklärung der KCK heißt es:

„Der türkische Staat hat durch seine erneuten Angriffe auf Şengal bewiesen, dass er ein Verbündeter des Islamischen Staates (IS) ist. Seine Kampfflugzeuge haben das Auto bombardiert, in dem sich Seid Hesen befand, der als ezidische Führungspersönlichkeit an vorderster Front gegen die IS-Angriffe gekämpft und damit den Völkermordangriffen des IS ein Ende bereitet hat. Bei diesem Angriff sind Seid Hesen und der Kämpfer Îsa Xwededa von den Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) gefallen. Wir drücken ihren Familien und dem gesamten ezidischen Volk unser Beileid aus. Zugleich glauben wir fest daran, dass sie ihren gemeinsamen Traum – ein freies und autonomes Êzidîxan – Wirklichkeit werden lassen.

Nur einen Tag nach diesem Angriff wurde ein Krankenhaus in Şengal angegriffen. Dabei sind die YBŞ-Kämpfer Hemîd Sadun (Qîran Sîba), Xidir Şeref (Pîr Xidir), Rami al-Salim (Ronî) und Meytem Khidir Khalaf (Serhed Zemar) gemeinsam mit den Ärzt:innen und Pfleger:innen Elî Reşo Xidir, Sedo Îlyas Reşo, Hecî Xidir und Muhlise Sîdar gefallen. Auch ihren Familien und dem gesamten ezidischen Volk drücken wir unser Beileid aus. Zugleich wünschen wir den vier Verwundeten eine schnelle Genesung.

Seid Hesen: Eine ezidische Führungspersönlichkeit

Seid Hesen war eine politische und militärische Führungspersönlichkeit des ezidischen Volkes und glaubte stets fest an die Ideen Rêber Apo [Abdullah Öcalan]. Er fühlte sich Rêber Apo zutiefst verbunden, da dieser den Ezid:innen großen Wert beimisst. Um die Ezid:innen entsprechend der Ideen Rêber Apos zu bilden und zu organisieren, beteiligte er sich in führender Position an der Gründung der TEVDA [Tevgera Azadî û Demokrasi a Ezdîya – Ezidische Bewegung für Freiheit und Demokratie]. Von 2004 bis 2014 war er deren Hauptverantwortlicher und somit Teil der Anstrengungen, das Bewusstsein für Freiheit und Demokratie innerhalb der Ezid:innen zu stärken.

Seid Hesen bewies durch seine Haltung gegenüber dem IS, dass er eine echte ezidische Führungspersönlichkeit war. Er kämpfte an der Seite der zwölf Guerillakämpfer, die durch ihren Widerstand den Völkermordangriffe des IS auf Şengal stoppten. Gemeinsam mit seiner Familie und seinem Stamm spielte er eine führende Rolle dabei, das ezidische Volk zum Verweilen in Şengal zu bewegen. Durch seinen Widerstand gegen die Völkermordangriffe Schulter an Schulter mit der Guerilla bewies er den Überlebenswillen des ezidischen Volkes und wurde somit zu einem modernen Derweş. Hätten nicht ca. 10.000 Ezid:innen trotz der nächtlichen Kälte und der brennenden Hitze tagsüber, trotz der spärlichen Ressourcen auf dem Berg Şengal ausgeharrt, wäre die Heimat der Ezid:innen ohne ihre eigentlichen Besitzer:innen zurückgelassen worden. Dann wäre es den Ezid:innen vielleicht nie wieder gelungen, nach Şengal zurück zu kehren. Deshalb wird Seid Hesen, der als moderner Derweş gemeinsam mit der Guerilla den Völkermord des IS zurückschlug, niemals von den Ezid:innen vergessen werden.“

Die KCK teilt weiter mit, dass auch Seid Hesens Tochter Berivan Şengal im Freiheitskampf gefallen ist. Seid Hesen habe die YBŞ mitbegründet und dadurch die Selbstverteidigung von Êzîdxan ermöglicht: „Seid Hesen trägt also einen großen Anteil daran, dass die Ezid:innen heute über ihre eigenen Selbstverteidigungskräfte verfügen. Eine ähnlich führende Rolle spielte er gemeinsam mit Mam Zekî Şengalî beim Aufbau des Volksrates von Şengal. Er war Teil der Koordination beim Gründungskongress dieses Volksrates. Somit hat er in der ezidischen
Geschichte als Gründer der Selbstverteidigungskräfte und der Selbstverwaltung Şengals einen unsterblichen Platz eingenommen.“

Ein geplanter Anschlag

Zum Hintergrund des tödlichen Drohnenangriffs auf Seid Hesen erklärt die KCK: „Dass dieser Angriff stattfand, während die Ankunft des irakischen Ministerpräsidenten al-Kadhimi erwartet wurde, beweist, dass es sich um einen im Voraus geplanten Angriff handelt. Aufgrund des Drucks der Türkei und der Drohungen der PDK ist am 9. Oktober 2020 ein Abkommen zwischen dem Irak und der PDK unterzeichnet worden. Durch die Angriffe der Türkei soll nun der Willen der Ezid:innen gebrochen werden, um das besagte Abkommen umsetzen zu können und Êzidîxan damit in den gleichen Zustand wie vor dem 3. August 2014, also dem 74. Ferman, zu versetzen.

Nach dem ersten Angriff des türkischen Staates forderte der irakische Premierminister die Umsetzung des zwischen Bagdad und Hewlêr vereinbarten Şengal-Abkommens. Zudem bombardierten türkische Kampfflugzeuge ein Krankenhaus in Şengal. All das zeigt deutlich, dass die Selbstverwaltung und die Selbstverteidigungskräfte der Ezid:innen zerschlagen werden sollen, um ein Şengal zu erschaffen, in dem die Ezid:innen einem vollständigen Genozid ausgesetzt werden können. Es ist die Aufgabe des gesamten ezidischen Volkes, all seiner Freund:innen und der gesamten auf Moral und Gerechtigkeit bedachten Menschheit, gegen diese Angriffe Widerstand zu leisten. Ohne diesen Widerstand wird es unmöglich sein, die Freiheit und Selbstverwaltung Êzîdxans zu erreichen. Dafür wird ein gewisser Preis gezahlt werden müssen, doch der Widerstand wird definitiv zu einem autonomen und selbst verwalteten Êzîdxan führen.

Netz des Verrats in Şengal“

Zweifellos wären diese Angriffe nicht ohne gewisse Personen in Şengal möglich gewesen, die kollaborieren und Verrat üben. In Şengal wurde ein Netz des Verrates aufgebaut. Dessen Mitglieder liefern – genauso wie der IS – geheimdienstliche Informationen an den türkischen Staat, der selbst ein Feind der verschiedenen Glaubensgruppen und Identitäten ist. Seid Hesen hegte eine große Wut über die Massaker und die Entführung tausender ezidischer Frauen durch den IS. Auch über Kollaboration und Verrat war er sehr wütend. Deshalb wurde er als eine Führungspersönlichkeit des ezidischen Volkes zum Angriffsziel erklärt. Diese Tatsache verdeutlicht erneut, welch große Wunde die Kollaboration und der Verrat für das kurdische Volk darstellen. Um diese Wunde zu schließen, muss ein freies Êzidîxan aufgebaut werden.

Der Irak muss sich positionieren“

Diese Angriffe, die zeitgleich zur Ankunft al-Kadhimi stattfanden, sind nicht nur ein Angriff auf Şengal und die Ezid:innen. Es sind auch Angriffe auf den Irak und alle Völker des Landes. Der Irak muss daher klar Stellung beziehen. Şengal ist ein Teil des Iraks. Gegen solch einen Angriff nicht Position zu beziehen bedeutet, Şengal einem zweiten IS-Angriff auszusetzen. Deshalb erwarten die Ezid:innen gemeinsam mit allen Völkern und allen auf Moral und Gerechtigkeit bedachten Menschen, dass der Irak klar Stellung gegen die Türkei bezieht.

Der Luftraum wird von den USA kontrolliert“

Auch die USA sind verantwortlich für die jüngsten Angriffe auf Şengal. Die Kontrolle über den Luftraum des Irak liegt in den Händen der USA, auch wenn offiziell der Irak zuständig ist. Daher sind die USA für jeglichen Verlust menschlichen Lebens verantwortlich, der durch Luftangriffe auf Şengal zustande kommt. Zu dem Angriff auf diese Führungspersönlichkeit des ezidischen Volkes zu schweigen, ist gleichbedeutend damit, zu den Angriffen des IS zu schweigen. Denn die Türkei versucht heute das zu Ende zu bringen, was der IS begann.

Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts für Şengal

Die jüngsten Angriffe des türkischen Staates haben erneut bewiesen, wie notwendig die Anerkennung der Autonomie und Selbstverteidigungskräfte der Ezidinnen durch den Irak und internationale Institutionen ist. Nur dadurch können derartige Angriffe in Zukunft verhindert werden. Die Türkei hat sich zu einem Staat von Verbrechern und islamistischer Banden entwickelt. Sie führt Genozid-Angriffe gegen alle anderen Glaubensgruppen und Völker aus, insbesondere gegen die Ezid:innen und Kurd:innen. Diese Angriffe müssen endlich gestoppt werden, um sich nicht mitschuldig zu machen. Die gesamte Menschheit und zahlreiche Staaten haben den Genozid am ezidischen Volk mittlerweile offiziell anerkannt. Deshalb müssen jetzt auch die Autonomie und das Recht auf Selbstverteidigung dieses Volkes anerkannt werden. Nur so können wir als Menschheit unserer Pflicht gerecht werden, gegen die Ermordung tausender Ezid:innen, die Entführung tausender Frauen und den Genozid Haltung zu beziehen.

Wir gedenken voller Dankbarkeit und Respekt Seid Hesen als Führungspersönlichkeit des ezidischen Volkes und allen anderen Gefallenen. Wir versprechen der Familie von Seid Hesen und dem gesamten ezidischen Volk, dass wir sie auch weiterhin auf alle notwendige Art und Weise unterstützen werden.“