Erdoğan legt „Aktionsplan für Menschenrechte“ vor

Erdoğan will die Menschenrechtslage in der Türkei verbessern. Der schlechte Witz kam nur wenige Wochen vor dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel, bei dem die Staats- und Regierungschefs einen Fahrplan für die künftigen Beziehungen mit Ankara aufstellen wollen.

Gut drei Wochen vor Beratungen der Europäischen Union (EU) über die Beziehungen zur Türkei hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, die Menschenrechtslage in seinem Land verbessern zu wollen. Angestrebt werde in einem „Aktionsplan” unter anderem die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei, sagte Erdoğan am Dienstag im Präsidentenpalast in Ankara. Damit solle auch der Weg zu einer neuen Verfassung geebnet werden, die bis zum hundertjährigen Bestehen der türkischen Republik im Jahr 2023 verabschiedet werden soll, fügte Erdoğan hinzu.

Neun Hauptziele

Der neun Hauptzielen folgend knapp 400 Einzelmaßnahmen umfassende Plan beinhalte demnach auch die Achtung der Unschuldsvermutung vor Gericht und eine Verkürzung der Untersuchungshaft durch schnellere Gerichtsverfahren. „Niemand sollte aufgrund seiner Meinung seiner Freiheit beraubt werden”, sagte der AKP-Chef, der in den vergangenen Jahren unzählige Andersdenkende unter konstruierten Terrorvorwürfen verhaften ließ, Absetzungen kurdischer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit deren Meinungsäußerungen begründete und auch selbst gegen tausende Menschen wegen mutmaßlicher Präsidentenbeleidigung im Netz juristisch vorging. Zuletzt hatte auch der Druck auf die Demokratische Partei der Völker (HDP) wieder stark zugenommen. Erdoğan beschuldigt Parteimitglieder immer wieder, gemeinsame Sache mit „Terroristen” zu machen. Die Immunität von mehreren HDP-Abgeordneten soll aufgehoben werden. Entsprechende Anträge sind bereits an den parlamentarischen Gerechtigkeitsausschuss in der türkischen Nationalversammlung überwiesen worden.

Illegale Nacktdurchsuchungen de facto eingeräumt

Man habe die Gesetze und deren Umsetzung in Augenschein genommen und wolle erforderliche Maßnahmen ergreifen. „Entsprechend unserer Entschlossenheit, Körperdurchsuchungen und Leibesvisitationen so durchzuführen, dass die Menschenwürde nicht beeinträchtigt wird, werden wir das Personal der Strafverfolgungs- und Justizbehörden weiterhin regelmäßig schulen”, sagte Erdoğan weiter. Das klang ganz nach einem Geständnis, dass in türkischen Polizeiwachen und Haftanstalten eben doch erniedrigende Nacktdurchsuchungen stattfinden, kommentierte der HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu.

Bemühungen für Visaliberalisierung mit der EU

Sein Land wolle auch Bemühungen beschleunigen, die das Thema Visaliberalisierung mit der EU betreffen, führte Erdoğan weiter aus. Die Ankündigungen des Präsidenten stießen mit Blick auf die zu Tausenden inhaftierten politischen Gefangenen und dem repressiven Umgang der AKP/MHP-Regierung mit der HDP, kritischen Medien und der Zivilgesellschaft auf scharfe Kritik. Erdoğan habe genau die Themen aufgelistet, bei denen die Türkei wegen seiner AKP Rückschritte gemacht hat, hieß es aus der Opposition. Menschenrechtsorganisationen bezeichneten das Vorhaben als „Schönfärberei“. Echte Reformen würden seine Macht einschränken.

Anwalt Ok: Alle politischen Gefangenen freilassen

Der bekannte Menschenrechtsanwalt Veysel Ok, der unter anderem den inhaftierten Ex-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş vertritt, schrieb auf Twitter, im Bezug auf Menschenrechte sei der beste Anfang, Urteile des EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenreche) umzusetzen und alle politischen Gefangenen freizulassen. Außerdem sollten die zu „Zehntausenden” gestellten Anzeigen wegen Präsidentenbeleidigung zurückgezogen werden. Die EU will bei einem Gipfel am 25. und 26. März erneut über die Beziehungen zur Türkei beraten.