„Das ezidische Volk sollte keine Hoffnung in den Irak setzen“

Der PADÊ-Politiker Hesen Hecî erklärt angesichts der angespannten Lage im ezidischen Siedlungsgebiet Şengal, dass die irakische Regierung die Entscheidungen ausländischer Mächte umsetzt und ihr eigenes Volk nicht schützen kann.

Hesen Hecî ist Politbüromitglied der ezidischen Partei PADÊ (Partiya Azadî û Demokrasiyê ya Êzidiyan / Ezidische Freiheits- und Demokratiepartei) und hat sich gegenüber ANF zu der angespannten Lage in Şengal und der Schwäche der irakischen Regierung geäußert.

Der ezidische Politiker weist auf die Präsenz ausländischer Mächte im Irak hin und erklärt: „Im Irak gibt es viele Kräfte. Sie treffen die Entscheidungen und die irakische Regierung führt sie aus. Die Regierung hat keine Macht. Hinter den Kurden, den Arabern, den Schiiten und den Sunniten im Irak stehen jeweils andere Staaten. Aus diesem Grund haben 2003 und 2014 Massaker in Şengal stattgefunden. Wir haben immer wieder versucht, uns im Irak Gehör zu verschaffen. Wir haben auch an die UN und an Menschenrechtsinstitutionen appelliert. Keine dieser Einrichtungen hat Şengal bisher einen ernsthaften Besuch abgestattet. Şengal ist nicht auf der Agenda im Irak. Die Regierung sieht sich nicht dafür verantwortlich, wie eine Lösung für die ezidische Bevölkerung gefunden werden kann.“

Wie sollten die Menschen in Şengal der irakischen Regierung vertrauen?“

Stattdessen gebe es internationale Pläne für Şengal, an denen die USA, die Türkei und arabische Staaten aus Eigeninteresse beteiligt seien, erklärt Hecî weiter: „Der Grund dafür ist die Erfolglosigkeit der irakischen Politik. Der Irak kann seine Bevölkerung und sein Territorium nicht schützen, wie sollten die Menschen in Şengal der Regierung vertrauen? Seit dem IS-Genozid sind fast acht Jahre vergangen, aber die Spuren sind immer noch überall zu sehen. Weder die UN noch Menschenrechtsorganisationen haben ihre Verantwortung erfüllt. Alle arbeiten nur im eigenen Interessen. Im Irak werden nicht nur die Rechte der Eziden verletzt, sondern auch der turkmenischen, christlichen und anderen Bevölkerungsgruppen. Ihre Rechte sind durch die Verfassung geschützt, aber die Praxis sieht anders aus.“

Hecî sagt, dass die Bevölkerung von Şengal ihre Rechte konsequent einfordern muss: „Auch die neue Regierung arbeitet nicht für das Volk und insbesondere nicht für die Ezidinnen und Eziden. Wenn wir unsere Rechte nicht einfordern und nicht für Şengal kämpfen, interessiert sich niemand dafür. Das Massaker in Şengal war letztendlich ein internationales Komplott, das vom Irak und inneren Kräften unterstützt wurde. Dafür müssten alle vor einem internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden.“

Der Feind profitiert von der Schwäche des ezidischen Volkes“

Die Zeit der Massaker in Şengal sei noch nicht vorbei, so der PADÊ-Politiker: „Die Eziden leben hier seit Tausenden Jahren. Mit den Plänen für Şengal soll das ezidische Volk geschwächt werden. Der Feind will verhindern, dass Şengal stärker wird und eine gesellschaftliche, militärische und politische Einheit entsteht. Das liegt auch an unserer Unzulänglichkeit. Die Gegenseite profitiert von der Schwäche des ezidischen Volkes. Wir dürfen uns nicht auf die feindlichen Machenschaften einlassen und müssen gegen diese schmutzige Politik kämpfen. Heute wollen alle über Şengal bestimmen und benutzen das ezidische Volk für ihre Politik. Unser Volk hat jedoch ein Recht auf Selbstbestimmung und dafür setzen wir uns ein. Alle politisch Verantwortlichen im Irak arbeiten nur für ihre eigene Religion, Stämme und Interessen. Alle wollen den größten Anteil an der Regierung haben und vier weitere Jahre an der Macht bleiben. Das Volk ist ihnen gleichgültig. Die Gesellschaft wäre stärker, wenn sie eine Einheit bilden und dieselben Forderungen stellen würde.

Alles, was wir wollen, ist ein selbstbestimmtes Leben mit unserer Identität und unserem Glauben in Şengal. Wir haben niemals einen eigenen Staat gefordert. Wir wollen Frieden und ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Völker.“

Hesen Hecî weist darauf hin, dass eine Statue des 2020 durch einen türkischen Luftangriff gefallenen YBŞ-Kommandanten Zerdeşt Şengalî von irakischen Militärs niedergerissen wurde, und fragt: „Warum lässt der Irak kein Denkmal für Zerdeşt Şengalî in Şengal zu? Er hat für sein Land und seine Würde gekämpft und ist gefallen.“

Şengal ist zu einem Militärgebiet geworden“

Zuletzt geht Hecî auf Personen ein, die sich in den Medien als Repräsentanten des ezidischen Volkes darstellen: „Gewisse Personen geben in den Medien Erklärungen ab, die Şengal schaden. Sie wollen Chaos in der Region aufkommen lassen. Sie sind jedoch nicht die Vertreter Şengals und des ezidischen Volkes. Für die Eziden können nur diejenigen sprechen, die ihnen dienen. Diese Personen dienen anderen und wollen Konflikte in Şengal schüren. Das ist nicht zu akzeptieren. Şengal ist heute zu einem Militärgebiet geworden. Bestimmte Parteien wollen keinen Frieden in der Region. Wir unterstützen keine Kriegshandlungen und werden nicht zulassen, dass die Ruhe in Şengal zerstört wird.“