Türkei: Misshandlungen und Pushbacks gegen Schutzsuchende aus Afghanistan

Wie die Menschenrechtsorganisation HRW berichtet, kommt es an der türkischen Grenze zwischen Nord- und Ostkurdistan zu systematischen, von Gewalt begleiteten Massenzurückweisungen von Schutzsuchenden aus Afghanistan.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Berichte von Schutzsuchenden aus Afghanistan gesammelt und kommt zu erschütternden Ergebnissen über das türkische Grenzregime zwischen Nord- und Ostkurdistan. In dem Bericht ist die Rede von systematischen illegalen Pushbacks, also Zurückweisungen von Asylsuchenden an oder hinter der Grenze, aber auch schwerster physischer Gewalt durch türkische Soldaten, die sogar zu Knochenbrüchen führte.

Türkische Soldaten schießen auf Schutzsuchende

Human Rights Watch sprach mit mehreren Afghan:innen über ihre Erfahrungen. Alle waren kurz vor oder nach dem 15. August aus Afghanistan geflohen, als die Taliban die Kontrolle über Kabul übernahmen.

Sie sagten, sie seien durch Pakistan und Iran gereist. Iranische Schlepper hätten sie mitten in der Nacht an die türkische Grenze im Hochgebirge gebracht und ihnen gesagt, sie sollten die Grenze überqueren. Daraufhin hätten türkische Soldaten damit begonnen, über ihre Köpfe hinweg das Feuer zu eröffnen. Es sei außerdem zu schweren Misshandlungen gekommen.

Während es einem der Schutzsuchenden beim ersten Versuch gelang, in der Türkei zu bleiben, und einer zurück in den Iran abgeschoben wurde, gaben die vier anderen an, dass türkische Soldaten sie bis zu dreimal zurückschickten, bevor es ihnen gelang, in der Türkei zu bleiben.

Bis auf die Unterhosen ausgezogen und über die Grenze getrieben

Eine Frau berichtet: „Nachdem sie uns festgenommen hatten, konfiszierten sie unsere Telefone, unser Geld, unsere Lebensmittel und alles, was wir bei uns trugen, und verbrannten all unsere Sachen in einem großen Feuer. Ich nehme an, dass sie das taten, um die Botschaft zu vermitteln, dass wir nicht mehr versuchen sollten, die Grenze zu überqueren.“ Ein Mann berichtet, sie hätten die Männer seiner Gruppe bis auf die Unterhose ausgezogen und die Kleidung und alle ihre Habseligkeiten verbrannt. Danach wurden sie von Soldaten über die Grenze gejagt.

Soldaten brechen Arme und Beine

Ein Mann berichtet von Schlägen mit dem Gewehrkolben. Dabei wurden mehreren Männern aus seiner Gruppe Hände, Arme und Beine gebrochen. Er erzählt: „Es dauerte zehn Tage, bis die Schmerzen nachließen, aber für meinen Freund war es noch schlimmer. Er musste unseren Schmuggler bitten, ihn zu einem Arzt im Iran zu bringen, der ihn wegen eines gebrochenen Arms und Beins behandelte.“

Ein anderer Mann sagte: „Als ich das zweite Mal die Grenze zur Türkei überquerte, sah ich, wie die türkischen Soldaten die Menschen, die mit mir die Grenze überquerten, so sehr schlugen, dass sie blutüberströmt waren und große Wunden am Kopf hatten. Sie schlugen mich etwa 20 Minuten lang mit ihren Gewehrkolben und Stöcken und ließen mich in meinem Blut zurück.“

Drei weitere Afghan:innen berichteten, dass sie zwar selbst nicht ernsthaft geschlagen worden seien, aber gesehen hätten, wie Soldaten brutal, auch mit schweren Schläuchen, auf andere einschlugen. Eine Frau erinnert sich: „Da war ein sehr großer Soldat, der sein Gesicht verbarg. Er war wie ein Wahnsinniger, schlug wild mit einem Stock auf meinen Bruder ein und schrie: ‚Warum bist du hierher gekommen?‘“

Familien werden getrennt

Eine Frau berichtete, dass bei ihrem dritten Versuch mit ihren beiden Kindern, ihrem Bruder, seiner Frau und ihrem Kind in die Türkei zu gelangen, türkische Soldaten ihren Bruder und seine Frau festnahmen und des Landes verwiesen, während das Kind bei ihr blieb. Ein Mann berichtet, ein Mann aus seiner Gruppe sei mit ihm in den Iran zurückgeschickt worden, während seine Frau und seine Kinder in ein Haftzentrum in der Türkei gebracht worden seien. Er sagte, die Polizei habe ihn in einer Stadt 180 Kilometer westlich der Grenze verhaftet und in ein Flüchtlingslager gebracht, das als Haftanstalt genutzt wurde, wo seine Gruppe mit etwa 135 Personen zusammengesperrt wurde.

Illegale Abschiebung direkt aus Einwanderungsbehörde

Während die meisten Befragten angaben, dass sie in der Nähe der Grenze zwangsweise zurückgewiesen wurden, sagte einer, dass er und acht seiner Verwandten abgeschoben wurden nachdem sie sich zu einer örtlichen Einwanderungsbehörde in der Türkei begeben hatten.

Er gab an, dass sie das Büro aufsuchten, weil sie krank waren und in ein Krankenhaus gebracht werden mussten: „Als wir dort ankamen, nahmen uns die Behörden fest und schalteten unsere Telefone aus, so dass der Rest unserer Familie keine Ahnung hatte, was mit uns geschah. Sie hielten uns zwei Nächte und einen Tag lang fest und gaben uns nur zweimal etwas zu essen ... nach der zweiten Nacht setzten sie uns mit etwa 100 anderen Menschen in Busse und fuhren uns zur Grenze. Ein Soldat an der Grenze sagte uns: ‚Hier ist die Grenze. Kommt nicht zurück. Wenn ihr das tut, werden wir euch schlagen.‘“

HRW: „Türkei kein sicheres Drittland“

Die Menschenrechtsorganisation HRW fordert angesichts der Berichte: „Die EU-Mitgliedstaaten sollten die Türkei nicht als sicheren Drittstaat für afghanische Asylbewerber betrachten und alle Abschiebungen und Zwangsrückführungen afghanischer Staatsangehöriger aussetzen, auch in Drittländer wie die Türkei, in denen ihre Rechte nicht respektiert würden. Sie sollten auch sicherstellen, dass Afghanen, die über die Türkei in die EU einreisen, Zugang zu fairen und effizienten Asylverfahren haben.“

Die EU stützt das Grenzregime in der Türkei, da die Türkei die vorderste Linie ihrer Abschottungspolitik darstellt. So wurden auch eine Mauer an der Ostgrenze zur Türkei, sowie viele Panzerfahrzeuge zur Grenzüberwachung auch aus Mitteln der „EU-Beitrittshilfen“ finanziert.