NATO: Genervt von Erdoğan

„Der Möchtegern-Friedensstifter in Ankara wittert in der Diskussion um die anstehende NATO-Erweiterung die Chance für den ganz großen Auftritt und zieht wieder einmal die kurdische Karte“, kommentiert Sarya Taro die altbewährte Taktik Erdoğans.

Finnland und Schweden fühlen sich von Russland bedroht und wollen möglichst schnell unter den Hut der NATO schlüpfen. Die anderen NATO-Staaten reagieren erwartungsgemäß erfreut und möchten alles zügig über die Bühne bringen. So der Plan.

Doch dann kommt Recep Tayyip Erdoğan und meldet Bedenken an. Bekannt für sein Taktieren zwischen Russland und der NATO sah der Westen in ihm schon den Vermittler im Ukraine-Krieg und hütete sich noch mehr als sonst, die türkischen Angriffskriege im Nordirak und Nordostsyrien zu kommentieren oder gar zu verurteilen.

Der Möchtegern-Friedensstifter in Ankara wittert in der Diskussion um die anstehende NATO-Erweiterung die Chance für den ganz großen Auftritt und zieht wieder einmal die kurdische Karte. Er lässt verlauten, zur Aufnahme der beiden Nordländer habe er „keine positive Meinung“. Seine Begründung: Die neuen Beitrittskandidaten seien „Gasthäuser für Terrororganisationen“ – gemeint ist natürlich die PKK.

Die türkischen Einwände sorgen zunächst für Irritationen innerhalb des NATO-Bündnisses. Neuaufnahmen müssen schließlich einstimmig beschlossen und von allen NATO-Mitgliedern ratifiziert werden. Entsprechend genervt reagieren die anderen Staatschefs.

Über die Beweggründe des türkischen Präsidenten wird jetzt viel spekuliert. Noch nicht vergessen ist das diplomatische Gerumpel, als die schwedische Augenministerin Ann Linde eine Delegation des Demokratischen Syrienrats (MSD) in Stockholm empfing oder der schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist mit dem QSD-Kommandanten Mazlum Abdi sprach. Stockholm pflege Beziehungen mit „Terroristen”, echauffierte man sich damals in Ankara.

Auch die US-amerikanische Unterstützung der YPG/YPJ ist ein hinlänglich bekanntes Ärgernis für Erdoğan, ebenso wie die von einigen Staaten gegen die Türkei verhängten Rüstungsexportbeschränkungen. Vor allem die F-35-Kampfjets hätte er gern gekauft, was ihm die USA nach der Anschaffung der russischen S-400 durch die Türkei verweigerten.

Vor allem aber blickt Erdoğan auf die Wahlen im nächsten Jahr. Durch die desaströse Finanzpolitik ist die Türkei wirtschaftlich am Ende. Der AKP droht ein massiver Verlust an Wählerstimmen. Die Angriffskriege in Südkurdistan und Nordostsyrien bringen statt schneller Erfolge viele tote Soldaten. Erdoğan muss daher dringend im Inland Punkte sammeln. Die Gelegenheit, die gesamte NATO zu blockieren und für weltweite Schlagzeilen zu sorgen, lässt er sich nicht entgehen. Schließlich hat er mit Erpressungen schon gute Erfahrungen gemacht. Und letztlich kalkuliert er, dass Putin die Diskussionen um die NATO-Ost-Erweiterung genau verfolgen und das türkische Manöver wohlwollend zur Kenntnis nehmen wird.

Beim Treffen der NATO-Außenminister am Wochenende deutete sich dann schon wieder Entspannung an. Die schwedische Außenministerin Ann Linde gab sich zuversichtlich, „das Problem mit der Türkei zu lösen“, alles beruhe auf einem Missverständnis und man werde den Dialog mit der Türkei fortsetzen. Auch Mevlüt Çavuşoğlu war bemüht, die Wogen zu glätten und sprach von der türkischen „Politik der offenen Tür”. Viel Lärm um nichts also?

Man darf jetzt gespannt sein, wie viel es sich die NATO kosten lässt, Erdoğan zur Zustimmung für den Beitritt der Nordländer zu bewegen. Den Kurd:innen dort sei empfohlen, sich schon mal auf Razzien, Abschiebungen usw. vorzubereiten – man kennt dies aus Deutschland.