Karayılan: Unser Ziel ist der Bruch des türkischen Kolonialismus

Murat Karayılan (PKK) hat sich in einer Videobotschaft zum aktuellen Kriegsgeschehen in den Medya-Verteidigungsgebieten geäußert. Eine von dem Oberkommandierenden des zentralen HPG-Hauptquartiers präsentierte Lagekarte liefert wichtige Informationen.

In einer Videobotschaft anlässlich der Versammlung des Nationalkongress Kurdistan (KNK) zum Ausbau der kurdischen Einheit gegen Angriffe des türkischen Staates hat sich Murat Karayılan, Mitglied im Exekutivkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), zum aktuellen Kriegsgeschehen in den Medya-Verteidigungsgebieten geäußert. Karayılan zeigte die militärische Situation in den Regionen Avaşîn, Zap und Metîna anhand einer Lagekarte mit wesentlichen Positionen der eigenen Kräfte und türkischer Truppen auf und hob hervor, dass es sich bei der aktuellen Invasion nicht um eine „gewöhnliche Besatzungsoperation” handele. Vielmehr gehe es um neo-imperiale Gebietsansprüche Ankaras im Sinne der Umsetzung des Misak-ı Milli (Nationalpakt) – ein Anfang der 1920er Jahre im Osmanischen Parlament entworfener Plan, der ein türkisches Staatsgebiet inklusive Thrakien, Rojava (Nordsyrien) und Südkurdistan (Nordirak) vorsieht. Den Vertrag von Lausanne, der 1923 die Grenzen der Türkei festlegte, stellt die Regierung von Staatspräsident Erdoğan in Frage. Erdoğans magische Zahl ist die 2023 – hundert Jahre nach Gründung der Republik soll der Grenzverlauf umgestaltet worden sein.

Syrische Söldner im Einsatz

Neben Soldaten beteiligen sich laut Karayılan auch aus Syrien abgezogene islamistische Söldner an der mit intensiven Bombardierungen einhergehenden Invasion in Südkurdistan. Es sei auch kein Zufall, dass der Angriff in der Nacht zum 24. April – dem Jahrestag des Genozids an den Armenier:innen startete. Die Botschaft sei klar; die Geschichte solle sich wiederholen. Der türkische Staat wähle stets symbolträchtige Tage, um „Botschaften an seine Gegner“ zu vermitteln. „Aber wir waren vorbereitet“, so Karayılan. „Seit einiger Zeit durchläuft die Guerilla als Verteidigungskraft eine Umstrukturierungsphase, um eine Modernisierung voranzutreiben. Wir konzentrieren uns darauf, den Feind als willensstarke, mutige, intelligente, geschickte und professionelle Kraft, die am Boden im Vorteil ist und feindliche Technik ins Leere laufen lässt, zu besiegen. Das ist das Ziel, nach dem wir streben. In diesem Sinne leisten unsere Kräfte seit über zwanzig Tagen einen äußerst wichtigen Widerstand. Vielerorts befindet sich der Feind noch immer an der Position vom ersten Tag der Operation, er kann nicht vordringen. An wiederum anderen Punkten konnten sich die Besatzer zwar ein paar wenige Kilometer bewegen, aber der Krieg dort dauert an.”

Rote Markierungen: türkische Truppen, gelbe Markierungen: Guerilla

In Metîna befinden sich nach Angaben von Karayılan türkische Besatzungstruppen vor dem Tepê Zendûra. Einige Punkte in Gipfelnähe seien besetzt, die Kämpfe gingen in aller Intensität weiter. „Unsere Freund:innen befinden sich nach wie vor auf dem Zendûra und versuchen seit 20 Tagen, die Besatzer zu vertreiben. Bisher ist dies noch nicht gelungen. In der Zap-Region versucht der Feind, sich an zwei Fronten vorzuarbeiten: In dem Gebiet, das wir Klein-Cîlo nennen, sowie an der Bêdewê-Festung. Da der Widerstand andauert, ist ein Vorstoßen für die Besatzer noch nicht möglich.“  

Intensivste Kämpfe in Avaşîn

Der „umfassendste Krieg“ finde aktuell in Avaşîn statt. Die türkische Armee sei dort in zwei Korps geteilt: in Mamreşo mit dem Korps aus dem nordkurdischen Şemzînan (tr. Şemdinli), in Mervanos mit dem Korps aus Gever (Yüksekova). „Dazwischen verläuft der Fluss Avaşîn. Momentan versucht der Feind, unsere Freund:innen an dem Punkt, wo der Avaşîn in den Basya mündet, einzukesseln. Für dieses Ziel hat es in Mamreşo einen schweren Krieg gegeben. Der türkische Staat hat dort chemische Waffen eingesetzt. Unsere Weggefährt:innen haben unter der Führung von Serhat Giravî ein wahrhaftiges Heldengedicht geschrieben. Der Mut der Freiheitsguerilla Kurdistans, die gebrachten Opfer während dieses Krieges sind wirklich auf einem sehr hohen Niveau. Die Söhne und Töchter des kurdischen Volkes zeigen einen großen Willen auf dem Schlachtfeld. Das Şikeft von Mamreşo ist vom Feind eingenommen worden, die Kämpfe gehen aber weiter. Der Krieg an dieser Front konzentriert sich auf die Region Aris-Faris. Auch in Mervanos dauert der Widerstand an. Der Feind will Aris-Faris und Mervanos vollständig einnehmen, um auf diese Weise einen Belagerungsring um unsere Freund:innen in den Regionen zwischen beiden Gebieten und dem Norden zu ziehen. Dies zeigt, dass es in den kommenden Tagen heftige Kämpfe in diesem Dreieck geben wird. Die Guerilla in der dortigen Region wird sich nicht zurückziehen, auch wenn sie eingekesselt wird. Unsere Kräfte sind fest entschlossen, zu kämpfen.“

Haltung gegenüber dem türkischen Kolonialismus demonstrieren

Mit Blick auf die Lagekarte sei deutlich, dass der Guerillawiderstand der letzten drei Wochen äußerst erfolgreich gewesen sei, führte Karayılan weiter aus. „Es ist ein großartiges Ergebnis, das den Erfolg der Guerilla vor Augen führt. In dieser Hinsicht vertrauen wir auf uns selbst. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, wie wichtig die Solidarität mit der Guerilla ist. Kommt ihr Unterstützung zu, wird sie in jedem Fall den türkischen Kolonialismus zerschlagen. Das sollte allen klar sein. Ohne Hilfe wird es möglicherweise Verzögerungen geben, aber unser Ziel ist es immer noch, den türkischen Kolonialismus zu brechen. Das ist die Basis des Guerillawiderstands. Deshalb sagen wir: ‚Wenn wir als Kurdinnen und Kurden einen Status einfordern wollen, müssen wir unsere Haltung gegenüber dem türkischen Kolonialismus demonstrieren.’ Solange wir dies nicht tun, wird der türkische Kolonialismus nicht enden, sondern alle Errungenschaften des kurdischen Volkes ins Visier nehmen. Für uns geht es um Sein oder Nichtsein des kurdischen Volkes, wir halten wir eine kollektive Strategie [gegen die türkischen Angriffe] für äußerst belangvoll. In diesem Sinne wünschen wir den Delegierten und dem KNK-Vorstand viel Erfolg.”