HPG gedenken getöteten Kindern in Dersim

Am Montag starben in Dersim zwei Geschwister bei einer Explosion. Der türkische Staat lancierte, die Kinder seien auf eine „PKK-Mine“ getreten. Die HPG dementieren eine Täterschaft, auch der IHD widerspricht der offiziellen Version.

Die Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG) haben eine Erklärung zum Tod der Geschwister Ayaz (8) und Nupelda (4) Güloğlu abgegeben, die am Montag bei einer Explosion in der nordkurdischen Provinz Dersim ums Leben gekommen sind. Die Explosion hatte sich in Çakılyayla, einem Weiler im Umland des Dorfes Bilgeç im Landkreis Pilûr (Ovacık) ereignet. Der Junge starb noch vor Ort, seine Schwester erlag wenig später in einem Krankenhaus in der benachbarten Provinz Xarpêt (Elazığ) ihren schweren Verletzungen.

Der Rettungswagen hatte das Krankenhaus noch nicht erreicht, da verkündete die türkische Presse bereits, die Explosion sei durch eine von „Mitgliedern der Terrororganisation PKK“ (gemeint ist die kurdische Guerilla) mutwillig gelegte unkonventionelle Mine erzeugt worden. Tuncay Sonel, Gouverneur der Provinz, sprach von „Märtyrern“, der Staat werde den Eltern „ein Dach über dem Kopf“ geben. Zwar hatten Verwandte der Geschwister zunächst geäußert, dass es durchaus sein könnte, dass die Kinder auf einen Sprengsatz getreten sind. Schließlich schlummern im gesamten Land rund eine Million Minen, mindestens 10.000 davon im Boden von Dersim, die schon vor fünf Jahren von türkischen Behörden hätten geräumt werden müssen. Das sieht die Ottawa-Konvention über das Verbot von Antipersonenminen vor, zu der sich die Türkei 2003 mit ihrer Unterschrift verpflichtete. Dieses Ziel wurde von Ankara jedoch nicht erreicht, weshalb die Türkei eine Fristverlängerung für die Minenräumung beantragte und auch zugesprochen bekam. Nach Regierungsangaben sollen alle verminten Gebiete bis zum Jahr 2022 vollständig geräumt sein.

Nupelda (l.) und Ayaz Güloğlu

IHD und Anwaltskammer widersprechen offizieller Version

Die HPG haben eine Täterschaft im Fall um den Tod von Ayaz und Nupelda dementiert, und auch die Anwaltskammer von Dersim sowie der Menschenrechtsverein IHD widersprechen der offiziellen Version. Beide Organisationen hatten in Begleitung von Expert*innen den Explosionsort untersucht. Sie vermuten, dass zurückgelassene Munition der Armee die Detonation verursachte.

Onkel der Kinder: Eine Mine kann es nicht gewesen sein

Das glaubt auch Zeynel Güloğlu, ein Onkel der getöteten Kinder. Gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya Ajansı (MA) erklärte er: „Seit drei Jahren zieht mein Bruder im Frühling gemeinsam mit seiner Familie und seiner Tierherde zu dem Weiler. Zur Explosion ist es nur ein Paar Meter von ihrem Zelt gekommen, das sie dort immer aufschlagen. Wir vermuteten zunächst, dass der Auslöser eine Mine gewesen sei, doch als wir die Körper der Kinder sahen, wurde uns klar, dass es sich um einen anderen explosiven Gegenstand gehandelt haben muss. Bei der Stelle, an der es zu dem Vorfall kam, handelt es sich um einen Gehweg, über den auch die Tierherden ziehen. Bisher hat es dergleichen nicht gegeben. Wir können uns nicht erklären, wie der explodierte Gegenstand dorthin gelangte. Der Staatsanwalt hat uns zur Untersuchung keine Auskunft erteilt und meinte, wir sollten den Bericht abwarten. Dass es an dem Tag eine Tatortbegehung geben wird, wussten wir ohnehin nicht.“

Kein Sprengkrater, Felsbrocken nicht gespalten, Arm des Kindes zerfetzt

Die offizielle Version, wonach eine im Boden verlegte Sprengvorrichtung die Explosion verursacht habe, wirft erhebliche Fragen auf. Der Sprengkrater, der vorhanden sein müsste, existiert nicht, und auch Felsbrocken wurden nicht gespalten. Es sei noch nicht mal ein Kratzer zu finden, erklärte die IHD-Kommission, die neuartige Munition als Explosionsursache vermutet, im Rahmen einer Pressekonferenz. Die Tatsache, dass die Jandarma-Wache Kuşluca in der Nähe liegt, ließe ebenfalls Zweifel aufkommen. Der Vorsitzende der Anwaltskammer von Dersim, Kenan Çetin, wies darauf hin, dass es sich beim Explosionsort zwar nicht um ein Gebiet handelt, das vom Militär als sogenannte „Sondersicherheitszone“ deklariert wurde, sich dennoch Spezialeinheiten der Armee regelmäßig dort aufhalten. „Wir haben mit einigen Dorfbewohnern gesprochen. Sie gaben an, dass es sich aufgrund des bergigen Geländes um einen beliebten und regelmäßig aufgesuchten Aussichtspunkt handelt. Vom Felsbrocken aus, an dem es zur Explosion kam, habe man eine ideale Sicht auf die Region. Bis zu diesem Vorfall sei kein ungewöhnlicher Gegenstand bemerkt worden. Ohnehin kommt eine Mine nicht in Frage. Wenn dem so wäre, hätten die Opfer erhebliche Verletzungen am Fuß. In diesem Fall ist es so, dass dem Jungen der Arm zerfetzt wurde.“

IHD will Minenräumung einklagen

Der IHD wird seinen vollständigen Untersuchungsbericht in den nächsten Tagen veröffentlichen. Außerdem will die Menschenrechtsorganisation die Minenräumung in Dersim durch eine Klage erwirken.

Die HPG haben den Eltern der getöteten Kinder Ayaz und Nupelda ihr Beileid ausgesprochen. In einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung heißt es: „Nach dem Vorfall in Dersim hat der türkische Besatzungsstaat die Meldung lanciert, unsere Kräfte seien für den Tod der beiden Geschwister verantwortlich. Bei dieser Tat handelt es sich um ein Verbrechen, das auf niederträchtige Weise von Spezialkriegseinheiten der Besatzer begangen wurde. Die faschistische Republik der Türkei versucht seit Jahren, diese Gebiete zu entvölkern, und schüchtert die Menschen ein, die auf die Hochalmen ziehen.

Die türkische Besatzungsarmee hat viele Regionen Kurdistans in ein Schlachtfeld verwandelt und strebt danach, eine Legitimation für ihre Massaker zu erwirken, um den Umfang der Besatzung auszuweiten. Dieser kolonialistische Staat, dessen Tradition es ist, schmutzigen Plänen für Dersim nachzueifern, und der an jedem Tag, der vergeht, Massaker am kurdischen Volk verübt, hat in gewohnter Manier die Tatsachen verdreht, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Unser Volk sollte sich dieser Spezialkriegspolitik bewusst sein.

Für jedes Massaker in Kurdistan wird die Freiheitsguerilla in hohem Maß Vergeltung an der türkischen Besatzungsarmee üben. Freunden und Feinden sollte das klar sein. Wir verurteilen diesen Angriff, der sich gegen unser Volk richtend in voller Absicht und mit unmenschlichen Methoden ausgeführt wurde, auf das Schärfste. Der Familie von Ayaz und Nupelda sprechen wir unser Beileid aus.“