Kurdisches Viertel von Aleppo
In Şêxmeqsûd (Scheich Maksud) haben Einheiten der Gesellschaftlichen Verteidigungskräfte (HPC) wohl das Einsickern von Söldnern der Terrororganisation Hayat Tahrir al-Sham (HTS) verhindert. Drei mutmaßliche Mitglieder der Dschihadistenallianz seien am Samstag beim Versuch, in das überwiegend von Kurd:innen bewohnte Stadtviertel im Norden der syrischen Großstadt Aleppo einzudringen, festgesetzt worden, hieß es am Abend.
Eine erste Überprüfung der Handydaten habe direkte Kontakte der Festgenommenen zu HTS ergeben. Die Selbstverteidigungseinheiten der HPC – eine Art Nachbarschaftswache, die unter Kontrolle der Basisräte stehen – sollen bei der Durchsuchung der Verdächtigen auch gefälschte Ausweisdokumente sowie türkisches Geld vorgefunden haben, hieß es weiter. Inzwischen seien sie an die Sicherheitsbehörden der Autonomieverwaltung überstellt worden. Diese werde nun über das weitere Vorgehen entscheiden.
Drei Tage nach dem Start ihres Großangriffs gegen die syrisch-arabische Armee hatten Terroristen von HTS am Samstag Teile von Aleppo überrannt. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad bestätigte, die Kontrolle über große Teile der Millionenstadt an Dschihadisten verloren zu haben. Es sei „terroristischen Organisationen“ gelungen, in weite Teile Aleppos einzudringen, hieß es in einer von der Staatsagentur Sana verbreiteten Mitteilung der syrischen Streitkräfte. Mittlerweile halten HTS-Terroristen auch dutzende strategisch bedeutende Orte im benachbarten Hama sowie Vororte von Idlib besetzt, die zuletzt unter Regime-Kontrolle standen. Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) sind seit Beginn der Terroroffensive mehr als 300 Menschen getötet worden.
Da die in Şêxmeqsûd festgesetzten mutmaßlichen HTS-Mitglieder bis auf ein Messer unbewaffnet waren, gehen die Gesellschaftlichen Verteidigungskräfte davon aus, dass sie zum Auskundschaften der militärischen Lage in dem Viertel sowie im benachbarten Eşrefiyê (Ashrafia) einsickern sollten. Besonders Şêxmeqsûd ist von strategischer Bedeutung, da es als Tor nach Tel Rifat (Tall Rifaat) gilt. Die Stadt im Kanton Efrîn-Şehba wird seit 2022 vom türkischen Staatschef Erdoğan als erstes Ziel für eine weitere Invasion in der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens benannt. Die HTS ist Verbündete der Türkei; gemeinsam beherrschen sie bereits ein Protektorat in der nordwestsyrischen Provinz Idlib und verfolgen Pläne, dieses auf andere Gebiete des Landes auszuweiten.
Parallel zum Vormarsch von HTS auf Aleppo bereitet ein weiterer Dschihadistenverband, die selbsternannte „Syrische Nationalarmee“ (SNA), offenbar einen Großangriff auf Tel Rifat vor. Seit Tagen zieht das von Ankara als Bodentruppe für die Besetzung Nordsyriens aufgestellte Bündnis aus islamistischen Milizen seine Kräfte rund um den Kanton Efrîn-Şehba zusammen und intensiviert seine Angriffe auf die Autonomiegebiete. Am Samstagabend meldeten die HPC im südöstlich von Efrîn-Stadt gelegenen Kreis Şêrawa zwei mutmaßlich von den „Befreiungskräften Efrîns“ (HRE) abgewehrte Angriffe der SNA auf die Dörfer Kilotê (Kalota) und Birc Qasê (Burdsch al-Kas). Dabei sei ein Söldner getötet worden, ein zweiter wurde gefangen genommen. Bei beiden soll es sich um Milizionäre der Hamza-Brigade (Furqat al-Hamza) handeln. Die Miliz ist für zahlreiche Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung in Syrien verantwortlich und wurde im Herbst 2020 auch im aserbaidschanisch-türkischen Angriffskrieg gegen das armenische Berg-Karabach eingesetzt.
Terrororganisation HTS
Das Dschihadistenbündnis HTS ging aus dem syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front hervor und wird von den Vereinten Nationen (UN), den USA und der EU als Terrororganisation gelistet. Dennoch wird die Truppe in westlichen Medien oftmals als „Rebellengruppe“ verharmlost und die Provinz Idlib als „letzte Bastion der bewaffneten Opposition“ beschönigt. Das Framing als „Rebellen“ oder „Aufständische“ spielt auch in der Berichterstattung deutscher Mainstream-Medien eine Rolle.