Hausdurchsuchungen wegen YPG-Fahnen in München

In München durchsuchte die Polizei heute die Wohnungen von zwei Aktivisten, weil sie auf Demonstrationen die Fahnen der YPG und YPJ gezeigt haben.

Polizisten haben heute in München Hausdurchsuchungen gegen zwei kurdische Aktivisten durchgeführt. Betroffen von dem Vorgehen der Polizei sind Hzrwan Abdal und der Ko-Vorsitzende des Kurdischen Gesellschaftszentrums in München, Azad Bingöl. Die Polizei begründete die Durchsuchung bei Abdal und Bingöl, der auch Mitglied im Migrationsbeirat ist, mit dem Zeigen von YPG- und YPJ-Fahnen sowie Abbildungen des inhaftierten kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan. Im ANF-Interview hat sich Azad Bingöl zur Durchsuchung seiner Wohnung geäußert.

Azad Bingöl, warum wurde heute deine Wohnung durchsucht, was wird dir vorgeworfen?

Heute wurden um 6.00 Uhr in der Früh Hausdurchsuchungen bei mir und einem weiteren Genossen durchgeführt. Begründet wurde die Durchsuchung mit dem Zeigen von YPG/YPJ-Symbolen und Abbildungen Abdullah Öcalans auf diversen Kundgebungen, die überwiegend während des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Efrîn stattfanden. Wie in ähnlichen Fällen, die aus München bekannt sind, dienen in unseren Fällen auch Facebook-Beiträge als Vorwand für die Ermittlungen. Konkret geht es um einen Artikel, der am 2. März in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist und das Thema der unverhältnismäßigen Repression von Staatsanwaltschaft und Polizei hinsichtlich YPG-Fahnen behandelt. Laut den Behörden sollen wir gegen das Vereinsgesetz verstoßen haben. Hierzu hätte es gar keine Hausdurchsung benötigt, da unsere Personalien als Veranstalter bzw. Anmelder der verschiedenen Veranstaltungen ohnehin bekannt sind. Auch sollte erwähnt werden, dass diese Symbole nach wie vor nicht verboten sind und laut Auflagenbescheid erlaubt waren. Auch laut Verwaltungsgericht sind  YPG/YPJ-Fahnen erlaubt.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Tatvorwürfe in unserem Fall haltlos sind. In den vergangenen Monaten ist es aufgrund von YPG/YPJ-Fahnen und Öcalan-Abbildungen zu einigen Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren und Anklagen gegen Aktivist*innen gekommen, die sich vor allem in der Öffentlichkeit zu ihrer politischen Haltung bekennen.

Von wem wurde die Durchsuchung durchgeführt?

Die Durchsuchung wurde von der Münchener Polizei bzw. von einer gesonderten Abteilung, die in erster Linie gegen politische Aktivist*innen aus kurdischen Organisationen vorgeht und maßgebliche Trägerin der gezielten Kriminalisierung und Repressionen gegen Aktivist*innen ist, durchgeführt.

Alle Polizisten waren mir von Versammlungen und Veranstaltungen bereits bekannt.

Wie lief die Durchsuchung ab, wurden Gegenstände von dir beschlagnahmt, wurdest du festgenommen?

Es wurden alle Gegenstände, die in irgendeiner Weise mit der kurdischen Freiheitsbewegung zu tun haben, beschlagnahmt. Dazu gehören Flugblätter, die wir beispielsweise in der Öffentlichkeit zu Themen wie der Freiheit Abdullah Öcalans, der Forderung zur Aufhebung des PKK-Verbots, dem Mord an Halim Dener, den Morden an den drei kurdischen Frauen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez und dem Kampf der YPG/YPJ gegen den IS verteilt haben. Alle Flugblätter und Postkarten wurden gezählt und abgepackt, als sei es eine Straftat, in ihrem Besitz zu sein. Zeitschriften und Zeitungen, unter anderem die in Europa erscheinende Tagezeitung Yeni Özgür Politika und Politika Azad, deren Ausgaben man an jedem Bahnhof kaufen kann, sowie diverse T-Shirts und Kleidungsstücke wie Schals oder Westen mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan”, die wir auf unseren angemeldeten Veranstaltungen trugen, wurden ebenfalls beschlagnahmt. Selbst ein Mosaikstein mit einer Abbildungen des bekannten kurdischen Filmemachers und Schauspielers Yılmaz Güney, der 1984 im Pariser Exil verstorben ist, wurde unter dem Vorwand „PKK-Bezug” beschlagnahmt. Das bloße Berühren dieses Steins meinerseits wurde von der Polizei zum Anlass genommen, mich ohne Vorwarnung wegzuschubsen, während ich lediglich erklärte, um wen es sich dabei handelt. Selbst eine von meiner kleinen Schwester angefertigte Geburtstagskarte, auf der u.a. ein Sticker der YPG klebte, wurde abfotografiert, in eine gesonderte Tüte gesteckt und wie eine Trophäe als Beweismittel mitgenommen. Ein Ordner, in dem die Personalien von Schüler*innen der ehemaligen Folklore-Tanzgruppe unseres Vereins abgeheftet waren, wurden im Ermittlungsverfahren gegen mich ebenfalls mitgenommen. Erlaubte Fahnen, mein Mobiltelefon sowie ein paar defekte Handys, Laptops und sämtlichen Speichermedien wurden auch beschlagnahmt. Die Räume meiner Familienangehörigen wurde ebenfalls durchsucht, obwohl es hierfür keinen Beschluss und Anlass gab. Ich wurde zwar im Anschluss nicht festgenommen, jedoch durfte ich mich während der stundenlangen Durchsuchung weder frei bewegen noch Kurdisch sprechen. Jeder Versuch, mich mit meiner Familie zu verständigen, wurde auf Anhieb unterbunden. Keiner der beschlagnahmten Gegenstände steht im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen mich. Auf Nachfrage wurde dies auch nicht geleugnet, im Gegenteil. Nach mehrmaligem Einspruch meinerseits ist dies von den Polizisten sogar bestätigt worden. Der Durchsuchungsbeschluss erlaube ihnen, sämtliche für sie relevant erscheinende Gegenstände mitzunehmen.

Wie bewertest du die Hausdurchsuchung, was will der Staatsschutz damit erreichen?

Diese Hausdurchsuchungen sind natürlich nur ein Bruchteil der jahrzehntelangen deutschen Kriminalisierungspolitik gegen kurdische Aktivist*innen hierzulande. Es ist nicht meine erste Erfahrung mit der staatlichen Kriminalisierung. Mehrmals wurde ich angeklagt und in einigen Fällen freigesprochen, weil es sich um haltlose Tatvorwürfe handelte. Dies wurde vom Staatsschutz offensichtlich zum Anlass genommen, weitere Ermittlungen aufzunehmen. Vor allem Aktivist*innen, die der Öffentlichkeit bekannt sind bzw. in den kurdischen Strukturen aktiv sind, sollen mit den Repressionen eingeschüchtert werden und so als Beispiel für andere Aktivit*innen gelten. Dieses Vorgehen dient primär zur Durchleutung der Strukturen von kurdischen und linken Aktivist*innen.

Diese Kriminisalierungspolitik ergänzt sich natürlich mit der Kriegsunterstützung der Bundesregierung an die Türkei, wie zuletzt in Efrîn. Der Irrtum der Behörden hierzulande liegt jedoch dabei, dass wir weiterhin kritisch sind und unseren politischen Kampf aktiv und entschlossen fortsetzen werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Phase der Kriminalisierung gegen kurdische bzw. solidarische Menschen als dunkles Kapitel in die Geschichte eingehen wird.

Vielleicht kommt es dazu, dass uns die Justiz zeitnah verurteilt. Die Geschichte jedoch wird die Kriegstreiber und ihre Handlanger verurteilen. Diese Gewissheit gibt mir Kraft, weiter zu machen, deshalb gilt mein Appell allen Betroffenen, sich zu organisieren und sich nicht einschüchtern zu lassen.