„Das Epos der PKK” – Pionierarbeit der revolutionären Kunst

Das zum 44. Gründungsjubiläum von der Guerillagruppe Awazê Çiya veröffentlichte Werk „Das Epos der PKK“ gibt einen ebenso mitreißenden wie poetischen Einblick in die kurdische Geschichte und die Arbeiterpartei Kurdistans.

Die kurdische Freiheitsbewegung hat zum 44. Gründungsjubiläum der PKK einen neuen Meilenstein der Schöpfungskraft der Guerilla hervorgebracht. Die aus Guerillakämpfer:innen bestehende und für ihre kreativen Musikvideos bekannte Kultur- und Musikgruppe Awazê Çiya hat in zweijähriger Vorbereitung in Zusammenarbeit mit dem Sine Çiya, der Kulturbewegung in Rojava TEV-ÇAND, der Filmkommune Rojava und dem Kulturzentrum Pargîn das Werk Destana PKK (Die Legende der PKK) geschaffen.

Viel mehr als ein Musical

Wie die klassischen Epen des Gilgamesch oder Homers ist das Werk komplett in Reimform mit durchgehendem Versmaß verfasst. Die von der Erzählerin, einer überzeitlichen Frauenverkörperung, lyrisch begleiteten Szenen werden von einem 46-stimmigen Chor in Bass, Alt, Tenor und Sopran und von wechselnden Solos ergänzt. Ein großes Orchester mit Saz, Gitarre, Bass, Cello, Klavier, Geige und vielen anderen Musikinstrumenten gibt der politischen und historischen Widerstandsbotschaft des Films Nachdruck. Text und Musik stammen von Awazê Çiya. So wäre es zu kurz gegriffen, das Werk nur als Musical zu bezeichnen, es handelt sich um eine Synthese aus Musical, Epos, Dokumentation und Nachstellung historischer Begebenheiten, bei der der Bildsymbolik große Bedeutung beigemessen wird. Eindrucksvoll wird beispielsweise gezeigt, wie sich Mazlum Doğan im Gefängniswiderstand opfert und dadurch das durch Tänzer repräsentierte Feuer des Freiheitskampfes anfacht.

Vom Neolithikum nach Rojava – eine unvollendete Geschichte

Das Werk beginnt im Neolithikum, beschreibt die Entstehung von Herrschaft und Patriarchat, aber auch vom Widerstand dagegen. Anschließend fokussiert sich das Stück auf die Teilung Kurdistans, die verschiedenen Widerstandsbewegungen und schließlich auf die PKK. Entscheidende Stationen in der Entwicklung der PKK und ihrer freiheitlichen Ideologie, von der Ermordung von Haki Karer, welche mit der Gründung der PKK 1978 beantwortet wurde, über den Gefängniswiderstand von Amed, den Beginn des bewaffneten Kampfes 1984, den Verrat der PDK und den blutigen 1990er Jahren, dem internationalen Komplott und der Revolution von Rojava werden lyrisch beschrieben und von Liedern begleitet. Dabei spielt die Symbolik eine große Rolle, so kann das, was mit Worten nicht beschrieben werden kann, möglicherweise dennoch erzählt werden.

Die PKK hat viele Farben“

Têkoşîn Cûdî und Seyit Rıza Silbus von Awazê Çiya haben federführend an dem Werk mitgearbeitet. Sie äußerten sich gegenüber ANF über die Gründe, die ungewöhnliche Form und die Entstehung des Projekts.

 

Têkoşîn Cûdî erklärt zum Film: „Mit einem Epos als Musical haben wir versucht, der Öffentlichkeit eine bestimmte Periode der PKK-Geschichte vorzustellen. In unserem Projekt unterstreichen wir, dass das Epos der PKK noch lange nicht zu Ende ist, sondern immer weitergeschrieben wird. Es gab viele Meinungen des Publikums zu dem Werk. Einige hielten es für einen Spielfilm, andere für eine Dokumentation, wieder andere für einen Musikclip. Die PKK hat viele Farben und das drückt sich in dem Werk aus. In dem Epos sind Kino, Theater, Poesie, Lyrik, Tanz, Folklore und Musikclips zu sehen. Alle Bereiche der Kunst werden abgedeckt.“

In zwei Jahren ein farbenfrohes Novum geschaffen“

Têkoşîn Cûdî unterstreicht, dass die Gruppe die Geschichte der PKK in ihrem ganzen historischen Kontext zeigen wollte, und sagt zur Verhältnis von Musik und Bild: „Die Musik wurde den Szenen entsprechend komponiert. Jeder Ton wurde an das Bildmaterial angepasst. Wir haben mit der praktischen Arbeit im Jahr 2020 begonnen und uns zum Ziel gesetzt, sie zum Jahrestag der Gründung der PKK im Jahr 2022 abzuschließen. Es war eine Arbeit, die schon früher angefangen worden war. Die Arbeit an den Texten und der Musik hatte bereits begonnen, war aber noch nicht in die Praxis umgesetzt worden. Mehr als 46 Personen sind Teil des Chors. Es war eine neue Erfahrung und ist ein umfassendes Werk. Es etwas ganz anderes, ein Novum und zwar ein sehr farbenfrohes.“

Das Unmögliche möglich machen

Têkoşîn Cûdî beschreibt das Musical als einen neuen Aufbruch, wie er unter Bedingungen des Krieges kaum für möglich gehalten wurde: „Viele Leute dachten, dass eine solche Arbeit nicht möglich sei, dass die Mittel zu gering und die Professionalität und die Kreativität der Kurd:innen bis zu einem gewissen Punkt hin begrenzt seien. Wir haben diese Arbeit in einem unmöglichen Umfeld, mitten im Krieg gemacht und darin größte Entschlossenheit an den Tag gelegt. Eigentlich ist es ja so, dass besonders unter schwierigen Bedingungen die fruchtbarsten Werke entstehen.“

Die Arbeit an der Musik war nach zwei Jahren abgeschlossen. Cûdî fährt fort: „Manche Arbeiten dauern Jahre, andere sind nach Monaten abgeschlossen. Das PKK-Epos war ein sehr umfassendes Projekt. Ein Projekt dieses Umfangs hätte eigentlich länger dauern müssen, aber dank der Fortführung der Revolution und der großen Anstrengungen der Beteiligten konnte es in kürzerer Zeit abgeschlossen werden.“

Die Revolution erschafft sich immer wieder neu“

Auf die Frage nach weiteren Projekten und Perspektiven von Awazê Çiya antwortet Cûdî: „Die Revolution geht immer weiter. Es ist nicht möglich, über ein ‚nach der Revolution‘ zu sprechen. Die Revolution erschafft sich immer wieder neu, erneuert sich und wird vielfältiger. Menschen, die sich mit Kunst beschäftigen, insbesondere revolutionäre Kunstschaffende, sind nicht auf ein einziges Thema festgelegt, sie beschränken sich nicht und unternehmen kreative Schritte. Als Awazê Çiya haben wir nicht nur Projekte, sondern auch kurzfristige Arbeiten. Neben dem PKK-Epos haben wir Dutzende von Sendungen und Clips veröffentlicht und drei Alben aufgenommen. Die Hauptarbeit war das PKK-Epos, aber wir waren gleichzeitig jeden Tag in andere Projekte involviert. Wir werden mit unseren Werken immer Pionierarbeit für die Kunst der Revolution und des Volkes und den Kampf leisten. Es geht uns darum, die ursprüngliche Form der Kultur und Kunst des Volkes aufzuarbeiten, wiederzubeleben und neu zu schaffen.“

50-jähriger Freiheitsmarsch in kurdischer oraler Tradition wiedergegeben

Cûdîs Mitstreiter Seyit Rıza Silbus hebt hervor, dass im PKK-Epos Musik und Erzählstil im Vordergrund stehen. Warum die Form eines Musicals/Epos gewählt wurde, erklärt er wie folgt: „Musik und Geschichte haben einen wichtigen Platz in der kurdischen Kultur. Es sind sowohl die Geschichten als auch die Musik, die Kurdistan und die kurdische Kultur von der Frühzeit bis in die heutige Zeit getragen haben. Die Ereignisse, die sich in Kurdistan zugetragen haben, sind durch Geschichten und Musik bis heute weitergegeben worden. So wie die kurdische Geschichte und Kultur durch Musik und Geschichten überliefert worden sind, wollten wir die Geschichte der PKK erzählen.“

 

Die PKK kann nicht nur durch ein künstlerisches Werk ausgedrückt werden“

Das PKK-Epos könne aber nicht allein als künstlerisches Werk betrachtet werden, sagt Rıza und führt aus: „Das PKK-Epos bringt die historische Dimension der PKK nur in groben Zügen zum Ausdruck, es wird im Stil einer Biographie oder Choreographie behandelt. Da es sich um einen 50-jährigen Freiheitsmarsch handelt, wäre es schwach, es einfach zu erzählen und so zu verarbeiten, selbst wenn es gefilmt worden wäre. Es wäre nicht richtig zu sagen, dass das Projekt die PKK beschreibt. Es ist richtiger zu sagen, dass wir das in dem Projekt gemacht haben soweit wir es erzählen konnten. Unser Filmprojekt ist abgeschlossen, aber die Geschichte der PKK kann nicht nur durch ein künstlerisches Werk ausgedrückt werden, und es fehlen definitiv Aspekte.“

Die Geschichte der PKK und der Guerilla durch Kunst ausdrücken“

Zu den Bedingungen der Entstehung sagt Seyit Rıza: „Wir haben uns entsprechend der Realität des Krieges organisiert, und in diesem Umfeld ist das Epos entstanden. Wir haben dies in Betracht gezogen und über die Möglichkeit nachgedacht, dass der Krieg mitten ins Projekt hineinbricht und wir es nicht zu Ende bringen könnten, aber wir haben uns entschlossen, das Projekt mit großer Beharrlichkeit und Entschlossenheit durchzuführen.“

Seyit Rıza betont, wie wichtig es sei, die Realität des Lebens des Volkes und der Guerilla für den Kampf für die Revolution durch Musik auszudrücken. Er schließt mit den Worten: „Es ist unser Grundprinzip, die Geschichte der PKK und die Realität der Guerilla, des Kampfes und des Lebens mit Musik und Kunst auszudrücken.“