Das Dorf Riz steht vor endgültiger Vernichtung

Das Dorf Riz in der nordkurdischen Provinz Çewlîg hat eine lange und bewegte Geschichte. Dreimal wurde Dorf niedergebrannt und erneut besiedelt. Nun soll es in einem Stausee verschwinden.

Das Dorf Riz (tr. Harmancık) liegt im Landkreis Dara Hênê (Genç) in der nordkurdischen Provinz Çewlîg (Bingöl) in malerischer Natur. Umgeben von Bergen hat das Dorf eine lange Geschichte als Siedlungsplatz. Riz stammt aus der armenischen Sprache und bedeutet Paradies. Im letzten Jahrhundert war das Dorf jedoch von Schmerz und Leid gezeichnet. 1915 wurde Riz im Rahmen des Armenier-Genozids geräumt, die armenische Bevölkerung wurde deportiert und größtenteils ermordet. Der Name des Dorfs wurde von den Osmanen in Sağgözü geändert. Mit dem Şex-Seîd-Aufstand wurde die zurückgekehrte kurdische Bevölkerung vertrieben und das Dorf ein weiteres Mal niedergebrannt. Doch die Menschen ließen sich nicht abschrecken und kamen wieder. Im Rahmen der Politik der verbrannten Erde der neunziger Jahre wurde das Dorf 1993 vom türkischen Militär erneut niedergebrannt. Im Jahr 2000 kehrten die Vertriebenen wieder zurück und bauten ihren Ort neu auf. Nun soll das Dorf in einem Stausee verschwinden.


Das Dorf verfügt über eine lange Widerstandstradition. Es war eines der Zentren des Şêx-Said-Aufstands und ist für seine Unterstützung der kurdischen Revolution berühmt. Die gesamte Region, die durch das Staudammprojekt unter Wasser gesetzt werden soll, gehört zu den entschlossensten Widerstandsgebieten im Herzen von Nordkurdistan.

Hundert Dörfer sollen verschwinden

Korrespondent:innen von ANF haben in den vergangenen Tagen Dörfer in der vom Staudammprojekt betroffenen Region besucht. An der Straße nach Licê (Lice) liegen die Dörfer Derxust und Dibek. Aufgrund der seit Monaten dort andauernden Militäroperation ist vom Wald nur noch eine verwüstete Landschaft übrig. Die Bäume wurden von den Soldaten mit der Wurzel ausgerissen. Bei der Ankunft im Dorf Riz weht ein warmer Wind. Die Schönheit des Frühlings hat das ganze Gebiet in bunte Farben getaucht. Die Bewohner:innen des Dorfes sprechen den kurdischen Dialekt Kirmancki. Fast jeder in dem Ort beherrscht trotz Assimilationspolitik die Muttersprache perfekt. Die Straße nach Dara Hênê und Licê haben die Dorfbewohner:innen selbst mit eigenen Mitteln gebaut. Vor kurzem erreichte die Menschen die Information, dass in ihrer Region ein Staudamm errichtet werden soll. Wenn dieses Projekt umgesetzt wird, werden über Hundert Dörfer von Çewlîg bis Amed (Diyarbakır) in den Fluten versinken.

Wir wollen keinen Staudamm“

Der Vorsitzende des Vereins für die Bewahrung der Natur und des kulturellen Erbes des Sarim-Beckens, Emin Turhalli, stammt ebenfalls aus Riz. Er kam 1966 als eines von zehn Geschwistern zu Welt. Er erzählt: „Ich und mein Bruder Abdurrahman leben in diesem Dorf. Nach den Berichten unserer Vorfahren lebten zuerst Perser, dann kamen die Armenier in dieser Region, und jetzt sind wir Kurden hier. Wir erinnern uns kaum an die Perser, aber unsere Großeltern sprachen die ganze Zeit über Armenier.“ Er berichtet über die Zerstörung des Dorfs 1915, 1925 und 1993 und sagt: „Die Menschen hier wurden immer wieder vertrieben und das Dorf niedergebrannt. Mit dieser Haltung fährt der Staat fort. Jetzt wollen sie das Dorf für ein Staudammprojekt räumen lassen. Wenn das Projekt umgesetzt wird, wird das Dorf so oder so geräumt. Die Menschen, die hier leben, lieben ihr Dorf und seine Natur. Aber wenn die Natur verschwindet, werden die Dorfbewohner gehen müssen. Die Natur ist unabdingbar, daher akzeptieren wir das Staudammprojekt auf keinen Fall. Das Projekt schadet sowohl dem Ökosystem als auch der Psyche der Menschen."

Sie wollen die Lebensgrundlage der Menschen im Wasser versenken“

Turhalli berichtet von etwa 100 Dörfern in der Region, die von der Viehzucht leben. Er sagt: „Bei dem Gebiet, für das das Projekt geplant ist, handelt es sich um eine Region, die sich von Çewlîg bis Amed erstreckt und vom Fluss Sarim bewässert wird. Dieses Becken ist eine Oase für den Obst- und Gemüseanbau in der Region. Dank der landwirtschaftlichen Produktion, die einen wichtigen Teil der Lebensgrundlage der Menschen ausmacht, werden im Projektgebiet Walnüsse, Äpfel, Bohnen, Tabak, Weizen, Gerste, Trauben und viele andere Gemüsesorten, Obst und Getreide angebaut. Das Gebiet ist auch sehr wichtig für Viehzucht und Imkerei. Mit diesem Projekt wird die Lebensgrundlage der Menschen im Wasser versenkt.“

Wir sollen von unserem Land vertrieben werden“

Şerif Uvat (72), stammt ebenfalls aus Riz. Er berichtet: „Als sie in das Dorf kamen, sagten sie, dass sie für die Energieversorgung arbeiteten, aber dann stellte sich heraus, dass sie einen Damm bauen wollen. Sie wollen uns von unserem eigenen Land vertreiben. Wenn wir unser Dorf verlassen müssen, wohin sollen wir denn in unserem Alter gehen? Wie sollen wir überleben? Denkt denn darüber niemand nach?“

Die 65-jährige Asiya Uvat fügt an: „Wir haben hier unser ganzes Leben verbracht. Wir leben von der Viehwirtschaft. Wir können nicht mehr nach Amed gehen und dort zur Miete wohnen. Ich habe neun Kinder und sie alle leben in Amed. Sie haben auch eine Menge Probleme. Mein Ehemann ist krank. Es gibt keine Möglichkeit, dass wir woanders leben. Wir verlassen unser Dorf nicht. Wir wollen nicht, dass hier ein Staudamm gebaut wird.“

Ich will in meinem Dorf leben“

Sadullah Oruk aus Riz berichtet von seiner Krebserkrankung und fährt fort: „Ich kann nirgendwo anders mit dieser Krankheit leben. Es ist die Natur des Dorfes, die mir guttut. Wenn hier ein Staudamm gebaut wird, weiß ich nicht, was wir machen, wohin wir gehen und wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen sollen. Wir leben in unserem eigenen Dorf mit der Natur und wollen nirgendwo anders hin. Wir verdienen fast alle unseren Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft. Ich weiß nicht, was wir tun sollen, wenn wir in die Stadt müssen. Wenn sie hier einen Damm bauen, werden alle Lebewesen ertränkt, unsere Natur wird vernichtet. Frösche, Fische, Schlangen und viele andere Kreaturen leben hier im Tal. Staudämme töten diese Tiere. Ich will keinen Damm hier. Ich möchte in meinem Dorf leben, ich will nicht in die Stadt gehen und dort leiden. Wir wollen nicht, dass hier ein Staudamm gebaut wird.“

Wir leben hier mit der Natur im Einklang“

Murat Uvat ist einer der jungen Menschen im Dorf. Er wuchs im Dorf auf und hat es bisher nicht verlassen. Er sagt: „Wir lieben das Leben hier mit der Natur im Einklang. Wir haben hier Tiere, um die wir uns kümmern. Im Sommer gehen wir schwimmen und Fische fangen. Wir gehen auf die Almen und so verdienen wir ihren Lebensunterhalt. Ich lebe, seit ich mich erinnern kann, in diesem Dorf, und ich möchte nirgendwo anders hingehen. Wir wollen nicht, dass hier ein Staudamm gebaut und unser Dorf überflutet wird.“

Unser Dorf soll nicht ein weiteres Mal geräumt werden“

Der 65-jährige Dorfbewohner Abdullah Uzan hat selbst die Vertreibung von 1993 gut in Erinnerung und bringt seinen Protest mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Wir leben von der Landwirtschaft und der Viehzucht. Alles im Dorf wird überflutet werden. Wir werden unser Dorf nicht mehr verlassen. Wir waren neun bis zehn Jahre weg und sind wieder zurückgekommen. Wir werden unser Dorf nicht räumen. Wir wollen keinen Staudamm hier.”

Das Dorf ist unser Leben“

Kamile Uzan erklärt: „Das Dorf ist unser Leben. Wie sollen wir das verlassen? Wir leben hier vom Anbau von Bohnen und Trauben. Das reicht für uns. Ich habe zwei Kinder, eines arbeitet und das andere studiert. Aber wenn das so weiter geht, können wir es nicht mehr studieren lassen. Es geht uns ökonomisch ohnehin nicht gut, und es wird noch schlimmer, wenn wir in die Stadt gehen. Deshalb wollen wir nicht in die Stadt. Ich liebe das Dorfleben und möchte mein Dorf nicht verlassen.“

Hunderte Dörfer von Çewlîg bis Amed unter Wasser“

Vahap Işıklı von der Hevsel-Schutzplattform sagt, das Regime zerstöre mit den Staudämmen die Natur Kurdistans und warnt, dass die Regierung insbesondere die Pandemie nutzt, um dieses Vorgehen zu beschleunigen. Er führt aus: „Riz hat eine ganz besondere Natur. Sie ähnelt der von Dersim. Mit dem Staudammprojekt werden Hunderte Dörfer von Çewlîg bis Amed untergehen. Die Dörfer der Region leben von Landwirtschaft und Viehzucht. Das Sarim-Becken ist ein Paradies für die Obst- und Gemüseproduktion. Wenn dieses Projekt abgeschlossen wird, müssen die Menschen weg. Alle Menschen, denen die Umwelt wichtig ist, sollten die Stimme der Bäume, des Wassers und der Lebewesen sein und sich gegen diesen Plan stellen. Die Umwelt gehört uns allen, und wir müssen gemeinsam unsere Stimme gegen ihre Zerstörung erheben.“