Augenzeugin berichtet von Massaker in Sêwreg

Am 15. Juni wurden im Kreis Sêwreg (Siverek, Provinz Riha/Urfa) sechs Personen getötet. Zunächst hieß es, es sei um Landstreitigkeiten gegangen, Augenzeug*innen erheben schwere Anschuldigungen gegen Sicherheitskräfte.

Bei einer bewaffneten Auseinandersetzung in einem mutmaßlichen Konflikt um Landbesitz zwischen zwei miteinander verwandten Familien sind in der nordkurdischen Provinz Riha in Sêwreg am 15. Juni sechs Menschen ums Leben gekommen, fünf Personen wurden verletzt. Dilan İzol ist eine der Überlebenden des Massakers. Ihre Familie wurde vor ihren Augen umgebracht. Sie berichtet, bei den Geschehnissen habe es sich nicht um bewaffnete Streitigkeiten, sondern um ein geplantes Massaker gehandelt. Ihre Mutter Zozan İzol, ihr Vater Hakkı İzol, ihre Tante Meral İzol und ihr Onkel Musa Serhat İzol seien demnach von ihrem Verwandten, von den Brüdern des ehemaligen AKP-Abgeordneten Zülfikar Izol getötet und ihre Leichen mit Knüppeln und Steinen geschändet worden. Die 24-jährige Dilan Izol überlebte mit ihren fünf Geschwistern. Sie spricht nun zum ersten Mal über ihre Erlebnisse. Sie berichtet gegenüber ANF, dass bei dem Massaker Zozan İzol (41), Hakkı İzol (55), Meral İzol (41) und sein Sohn Musa Serhat İzol (22) erschossen wurden, während Mehmet Metin İzol und Yusuf Rojha schwer verletzt wurden. Nach dem Massaker flohen die Täter im Fahrzeug und überfuhren zwei der Redaktion namentlich unbekannte Studierende, die ebenfalls verstarben.

Erst wurden sie erschossen, dann schlugen sie auf ihre leblosen Körper ein“

Dilan Izol fordert Gerechtigkeit für ihre ermordete Familie. Sie befand sich während des Massakers zu Hause und nahm die Tat mit der Handykamera auf. „Es war gegen 8.30 Uhr morgens“, berichtet sie, „sie kamen zuerst mit dem Traktor vor das Haus meines Onkels. Es waren zwei Personen. Sie liefen um das Haus herum und machten Kameraaufnahmen und schrien Beschimpfungen. Sie riefen: ‚Wartet fünf Minuten, wir kommen zurück, dann sehr ihr, was wir machen‘ und gingen weg. Fünf Minuten später kam der gleiche Traktor und vier Autos. Sie versperrten den Weg zum Haus. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Tante, meine Cousins, mein Vater und meine Mutter schon vor das Haus gekommen. Sie dachten, es gehe nur um ein Wortgefecht und blieben dort stehen. Es waren zwölf Personen, die aus den Autos ausstiegen und das Feuer eröffneten. Sie schossen auf alle, nicht einfach so, sondern um zu töten. Mein Vater und meine Mutter wurden am Kopf, meine Tante im Herz und im Rücken getroffen. Den Sohn meines Onkels töteten sie, indem sie seinen Kopf mit Steinen und Knüppeln zertrümmerten. Als ob das nicht gereicht hätte, schlugen sie mit Knüppeln und Steinen auf die leblosen Körper ein. Meine Schwestern und ich waren zu diesem Zeitpunkt zu Hause, und wir waren gezwungen, die Geschehnisse vom Fenster aus zu verfolgen. Wir nahmen die Geschehnisse mit der Handykamera auf.“

Wir wurden bedroht“

Dilan Izol berichtet, dass es sich bei den Tätern um die Brüder und Neffen ihres Verwandten und ehemaligen AKP-Abgeordneten Zülfikar Izol handelte. Sie erzählt, dass es seit 17 Jahren zwischen den Familien einen Streit um Land gibt. Wegen des gleichen Streits war 2003 ihr Onkel Mehmet Ali İzol in der Nacht vor seiner Hochzeit umgebracht worden. Aber dieses Verbrechen wurde vertuscht, sagt sie. „Der ehemalige Abgeordnete der AKP für Riha, Zülfikar İzol, ist der Sohn des Onkels meines Vaters. Zu dieser Zeit wurde versucht, die Ermordung meines Onkels Mehmet Ali İzol meinem Vater in die Schuhe zu schieben. Zülfikar Izol nutzte diese Situation und bot an das Land ihm zu übertragen, und wenn er freigesprochen würde, dann bekäme er das Land zurück. Mein Vater glaubte, er würde das Land nach einer Weile wieder zurückbekommen. Aber stattdessen haben uns die Brüder von Zülfikar İzol, Cihan İzol, Bülent İzol, Medeni İzol, Servet İzol und Cemal İzol zusammen mit Zülfikar İzol Dutzende Male bedroht und von uns verlangt, dass wir unser Land verlassen. Sie wollten, dass wir alles stehen und liegen lassen und das Dorf verlassen, aber wir haben das nicht akzeptiert. Schließlich haben sie dieses Massaker verübt. Acht uns unbekannte Personen haben zusammen mit den Brüdern Cemal, Bülent, Cihan und sein Sohn Ferman İzol meinen Vater, meine Mutter, meine Tante und ihren Sohn ermordet.“

Mein Cousin wurde inhaftiert, obwohl er verletzt war“

Dilan İzol berichtet, dass die Opfer, ihre schwerverletzten Cousins Mehmet Metin İzol und Yusuf Rojhat Izol inhaftiert worden sind. Der 15-jährige Yusuf Rojhat İzol befindet sich trotz Schussverletzung am Kopf und am Bein in Haft. Es sei von den Angreifern nur Cihan İzol inhaftiert worden, über das Schicksal der anderen, weiß die Überlebende nicht Bescheid.

Einen Tag vor dem Angriff kam der Kommandant zu uns nach Hause“

Dilan İzol berichtet, dass keiner ihnen geholfen habe und dass sie die Leichen ihrer Familienangehörigen mit eigenen Händen begraben habe. Sie erzählt, die Jandarma sei erst eine Stunde nach der Tat erschienen, und der Krankenwagen sei überhaupt nicht gekommen. Sie mussten die Verletzten an die Straße bringen und dort Autos anhalten, damit sie ins Krankenhaus gebracht werden konnten. Izol weist darauf hin, dass das Massaker bereits vorher geplant worden sei. Einen Tag vor dem Massaker sei der neue Kommandant des Jandarmastützpunkts Çaylarbaşı zu ihnen gekommen und habe viele Fragen gestellt. İzol schließt mit den Worten: „Sicherheitskräfte und Staat, alle stecken da mit drin. Wir wollen nicht, dass dieses Massaker vertuscht wird. Wir sind jetzt Waisen. Wir wollen, dass die Täter bestraft werden und unsere Stimme hörbar wird.“