Tübingen: Wir sehen eure Verbrechen
Als Reaktion auf die türkischen Angriffe auf Rojava und Südkurdistan und in Solidarität mit der iranischen Frauenrevolution haben mehrere Gruppen in Tübingen protestiert.
Als Reaktion auf die türkischen Angriffe auf Rojava und Südkurdistan und in Solidarität mit der iranischen Frauenrevolution haben mehrere Gruppen in Tübingen protestiert.
Ein breites Bündnis unter Beteiligung von Women Defend Rojava, Gemeinsam Kämpfen, Kurdischer Verein Reutlingen-Tübingen, BiPoC+ Feminismen*, Infostelle Militarisierung e.V., Ende Gelände Tübingen, Interventionistische Linke Tübingen, Tübinger Offenes Antikapitalistisches Klimatreffen und Offenes Treffen gegen Faschismus und Rassismus Tübingen und Region nahmen an der von „Defend Kurdistan“ ausgerufenen Aktionswoche vom 30. November bis 3. Dezember teil und organisierten in der Tübinger Innenstadt eine Kundgebung, um gegen die Kriegsverbrechen des NATO-Partners Türkei und gegen das Regime der Islamischen Republik Iran zu protestieren.
„Die Botschaft ist klar: Einer der wichtigsten politischen als auch wirtschaftlichen Partner des Irans und der Türkei ist die Bundesrepublik Deutschland. Der Krieg beginnt hier, lasst ihn uns auch hier beenden!“, erklärte eine Aktivistin.
Über 70 Menschen nahmen an der Kundgebung am Samstag teil, um auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen und bewaffneten Drohnen in Kurdistan aufmerksam zu machen und den erneuten Völkerrechtsbruch der Türkei zu verurteilen. Die Kundgebung begann mit einer Schweigeminute im Gedenken an die Todesopfer.
Wegen der anhaltenden Kriegsverbrechen der Türkei forderten die Organisator:innen die deutsche Regierung auf, eine Untersuchung durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zu veranlassen und die Angriffe des türkischen Staates auf die selbstverwalteten Gebiete Nord-und Ostsyrien zu verurteilen.
Auch auf die Proteste im Iran bezogen sich die Aktivist:innen. Die Philosophie hinter dem Slogan „Jin Jiyan Azadî" (Frauen Leben Freiheit) stamme aus der kurdischen Frauenbewegung und sei bestimmend für den iranischen Freiheitskampf, hieß es in einer Rede: „Lasst uns gemeinsam laut sein und auch hier das Schweigen brechen, das den Regierungen erlaubt, wegzusehen! Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, die Ideen, auf denen ‚Jin Jiyan Azadî‘ beruht, zu verteidigen.“
Eine Aktivistin des kurdischen Gesellschaftszentrums betonte in einem Redebeitrag die Notwendigkeit, über alle jene zu sprechen, die ermordet wurden, „um uns unserer Verantwortung nochmals bewusst zu werden“. „Lasst uns über die 18.000 Demonstrant:innen sprechen, die in iranischen Gefängnissen systematischer Folter ausgesetzt sind, lasst uns über die inhaftierten Frauen sprechen, die tagtäglich brutaler Gruppenvergewaltigungen ausgesetzt sind. Lasst uns über die Kinder sprechen, die in kurdischen Dörfern durch türkische Panzer überrollt werden. Lasst uns über die 63 Kinder sprechen, die vom iranischen Regime auf offener Straße ermordet wurden, und deren Eltern immer noch mit Sehnsucht darauf warten, dass sie von der Schule nach Hause kommen. Und lasst uns nun einen Blick auf unsere eigene Situation werfen und uns klar werden lassen, dass wir eine große Verantwortung tragen. Denn wir müssen uns bewusst machen, dass wir nur leise sein dürfen, wenn Kinder schlafen, aber nicht, wenn sie mit ihrer leisen Stimme „Jin Jiyan Azadî“ rufen und deswegen vom NATO-Partner Türkei mit Killerdrohnen ermordet oder vom iranischen Regime hingerichtet werden."
Eine Aktivistin von BiPoC+ Feminismen* hob hervor, dass die stattfindenden Kämpfe nicht voneinander getrennt betrachtet werden dürfen und man sich trauen sollte, auch den Islamismus zu kritisieren. „Wir sehen, dass die kurdische Parole ‚Jin Jiyan Azadî‘ die Kämpfe der Frauen weltweit vereint. Vereint, um Widerstand zu leisten gegen den Islamismus, egal wo er stattfindet, ob in der Türkei, im Iran, in Afghanistan oder anderswo. Ihr Kampf ist ein Kampf für die Freiheit! Wir dürfen eine gefährliche menschenverachtende Ideologie wie den Islamismus nicht verharmlosen, vor allem weil sie ein globales Problem ist. Eine Verharmlosung stärkt den Islamismus, während sie sich jeglicher Verantwortung entziehen können.“
Eine Aktivistin von Women Defend Rojava und Gemeinsam Kämpfen machte einen kurzen historischen Abriss zu den Giftgaseinsätzen in Kurdistan. Auch wurde die Rolle Deutschlands nochmals hervorgehoben und die Mittäterschaft der jüngsten Angriffe des türkischen Staates verurteilt. Zudem wurde die Wichtigkeit des Zusammenhaltes der Völker Irans betont und als Katalysator der feministischen Revolution genannt. „Die Türkei tötet Zivilist:innen und bombardiert gezielte zivile Infrastrukturen: die Wasser-, Lebensmittel- und Energieversorgung und das Gesundheitssystem werden zerstört. Die deutsche Regierung ruft lediglich zur Zurückhaltung auf, Nancy Faeser bittet den türkischen Innenminister Süleyman Soylu, die Angriffe auf Rojava ‚verhältnismäßig‘ zu halten. Kein einziger klarer Ton einer Verurteilung. Die BRD behandelt die Türkei eindeutig anders als andere Staaten, da die Türkei ein NATO-Mitglied ist und wirtschaftliche Interessen der BRD anscheinend wichtiger sind als Menschenrechte“, so die Aktivistin.
Die Ortsgruppe des Bündnisses Ende Gelände stellte nochmals klar, dass Krieg immer zugleich Ökozid bedeutet. „Die Chemiewaffen vergiften den Boden auf Jahrzehnte. In der Türkei gebaute Dämme und das Abpumpen von Grundwasser gefährden die Versorgung mit Trinkwasser, führen zu Dürren und verhindern die effiziente Nutzung der Wasserenergie. Rojava und andere kurdische Gebiete werden bewusst von wichtiger Infrastruktur abgetrennt und isoliert. So werden die gewaltsamen Angriffe noch destruktiver und die Verteidigung immer schwieriger“, erklärte ein Aktivist von Ende Gelände.
Die interventionistische Linke (iL) machte sichtbar, wie Deutschland und auch die Stadt Tübingen in Kriegen mitmischen und ihre Kassen fühlen: „Egal ob ZF, Rheinmetall oder Heckler&Koch: Was wir brauchen ist ein sofortiger Exportstopp jeglicher Rüstungsgüter und -technologien sowie Chemikalien, die zur Waffenproduktion genutzt werden können; in die Türkei, aber auch in alle anderen autoritären Regime. Es braucht von der Gesellschaft auch eine klare Verurteilung der Angriffe der Türkei in Nordsyrien und Nordirak sowie die Benennung als das, was dieser Krieg ist: ein Verstoß gegen das Völkerrecht."
Auf der Kundgebung wurde auch eine Grußbotschaft aus Rojava abgespielt und im Anschluss, in Solidarität mit der Revolution in Rojava und Iran/Rojhilat, das Lied Cerxa Şoreşê abgespielt, das von Internationalist:innen aus Rojava zum 44. Gründungsjahr der PKK veröffentlicht wurde.