Planspiele der Türkei um Idlib und Efrîn

Die Gruppen und Personen, die sich an dem von der Türkei gegründeten „Syrisches Nationales Heer“ beteiligen, sind keine Unbekannten. Die Mehrheit sind Gruppen der Türkei, die schon dutzendmal ihre Namen gewechselt haben.

Die gegen Efrîn, Nordsyrien und Rojava gerichteten Winkelzüge von Tayyip Erdoğan und der AKP gehen immer weiter. Die Pläne, diedie Türkei zusammen mit Russland und dem Iran zum Angriff auf Efrîn gemacht hatte, sind mit der Nichteinhaltung der Beschlüsse von Astana ins Wasser gefallen. Aufgrund dieses Fehlschlags ging die AKP mit Gründungen der Milizen wie „Syrische Übergangsregierung“ oder "Syrisches Nationales Heer" einen neuen Schritt. Aber wer ist dieses „Nationale Heer“ und diese neue sogenannte Übergansregierung?

Die Entscheidungen von Astana hätten bis zum 25. Dezember umgesetzt werden müssen

Russland, Iran und die Türkei haben nach ihrem Treffen im Dezember 2016 in Moskau unter dem Motto Lösung der Syrienkrise den Astana-Prozess begonnen. Unter der Garantie dieser drei Länder wurden über das Jahr 2017 verteilt acht Treffen in Astana durchgeführt. Das letzte Astana-Treffen fand am 21. Dezember 2017 statt. Auf diesem Treffen wurden einige Entscheidungen getroffen, andere wurden zwischen den Vertretern der drei Garantiemächte Russland, Iran und Türkei getroffen. Einer dieser Beschlüsse war, dass der Anfang Oktober begonnene Einmarsch der Türkei in die nordsyrische Provinz Idlib von den anderen Mächten gebilligt werde, wenn die Türkei ihre Aufgaben dort erledige. Iran und Russland hatten der Türkei ihre Präsenz zugebilligt, weil die Türkei dort Al-Nusra (Al-Qaida) zu bekämpfen vorgab. Schon kurz vor dem Treffen am 21. Dezember hatten die Vertreter Russlands erklärt, die Türkei solle in Idlib „ihre Aufgabe erledigen“. Neben der Bekämpfung von Al-Nusra sollte die Türkei in Idlib an 13 Punkten Beobachterfunktionen übernehmen. Allerdings hatte die Türkei bis zum 21. Dezember keinen einzigen Kampf gegen Al-Nusra geführt. Außerdem wurden von den 13 Beobachtungsposten nur die drei an der Grenze zu Efrîn, mit dem Ziel der Blockade des Kantons und um einen Angriff auf Efrîn vorzubereiten, besetzt. Deshalb war am 21. Dezember in Astana die Entscheidung getroffen worden, dass die Türkei Al-Nusra und auch Ahrar al-Şam und die zu Sultan Murad gehörenden Gruppen aus Idlib abzuziehen oder diese zu bekämpfen habe. Diese Entscheidung hätte bis zum 25. Dezember umgesetzt werden müssen. Russland war der Meinung, dass die Türkei diese Vereinbarung nicht einhalten würde und bereitete mit dem syrischen Militär eine Operation gegen die türkeitreuen Milizen in Idlib vor. Als die Türkei bis zum 25. Dezember 2017 die Vereinbarung nicht eingehalten hatte, begannen Russland und das syrische Militär eine Operation auf Idlib.

Erdoğan reorganisiert die bewaffneten Gruppen im „Nationalen Heer“

Die Türkei hatte schon zuvor neue Pläne geschmiedet. Sie brachte die bewaffneten Gruppen erneut zusammen und bildete unter der Führung von Cevad Ebu Hattap eine „Übergangsregierung“. Sie stellte dieser sogenannten Übergangsregierung ein Gebäude in Antep zur Verfügung. Dies ist nicht die erste Übergangsregierung, die die Türkei mit syrischen „muslimischen“ Gruppen gegründet hatte. Die erste Übergangsregierung trat am 19. März 2013 in Istanbul unter Gassan Hitto zusammen. Gassan Hitto war wie Abdulbasit Seyda, der in der Übergangsregierung sitzende Vertreter der Muslimbruderschaft, Kurde. Die Regierung unter Gassan Hitto wurde schon im September desselben Jahres wieder aufgelöst. Am 14. September 2013 wurde eine neue Übergangsregierung mit dem Namen Ahmet Tumeh an der Spitze gegründet. Ahmed Tumehs Übergangsregierung wurde im Juli 2014 ebenfalls wieder aufgelöst. Tayyip Erdoğan und die AKP hatten von Beginn des Syrienkrieges an mit den Muslimbrüdern, später mit Nusra und dem IS zusammengearbeitet. Sie brachten alle drei Übergangsregierungen, die sie für die Gruppen der Muslimbruderschaft errichtet hatten in ihren Gebäuden unter. Zuletzt stellten sie der aktuellen „Übergangsregierung“ ein Haus in Antep zur Verfügung.

Sie schicken den Präsidenten der Übergangsregierung nach Azaz, um dort die Milizen unter dem Dach des „Nationalen Heers“ zu sammeln. Der Grenzübergang von Azaz wurde an die Übergangsregierung übergeben. Allerdings kam es schon nach zwei Tagen zu Problemen zwischen den 30 bewaffneten Gruppen des gerade zusammengestellten „Nationalen Heers“ über die Gewinne aus dem Grenzübergang.

Daraufhin schloss die türkische Regierung den Grenzübergang Araz für den Handel und eröffnete in Rai/Çobanbey einen innoffiziellen Grenzübergang für die Milizen. Auf diese Weise wurde das Problem zwischen der Übergangsregierung und dem „Nationales Heer“ gelöst. Die stark türkeinahen turkmenischen Milizen wurden in die Region von Rai/Çobanbey verlegt, während die Araber keinen Grenzübergang mehr für den Handel in Azaz hatten.

Dieses Vorgehen stellt nach internationalem Recht eine Straftat dar. Die Besetzung syrischen Bodens durch die Türkei für andere bewaffneten Gruppen und Grenzübergänge zu öffnen und Regierungen in besetzten Gebieten wie Cerablus, Bab oder Marea zu bilden, das ist alles völkerrechtswidrig. Doch dennoch gab es keinerlei internationale Reaktion.

Ein Heer, aus ehemaligen IS, Al-Nusra und Ahrar al-Şam Gruppierungen

Die Gruppen und Personen, die sich an dem von der Türkei gegründeten bewaffneten Gebilde „Syrisches Nationales Heer“ beteiligen, sind keine Unbekannten. Die Mehrheit sind Gruppen der Türkei, die schon dutzendmal ihre Namen gewechselt haben. Sie bezeichnen sich auch alle immer wieder als Freie Syrische Armee (FSA). Die große Mehrheit dieser Gruppen gehört zur Muslimbruderschaft. Andere sind ab 2012 bis heute gegründete und ständig die Namen wechselnde turkmenische Gruppierungen.

Die Personen, welche das „Nationale Heer“ gegründet haben und an dessen Spitze gestellt wurden, gehören nicht nur zum Kader der Muslimbruderschaft. Es handelt sich zusätzlich noch um Personen aus Al-Nusra, dem IS und Personen mit engen Verbindungen zu diesen Gruppen. Diese Beziehungen sind durch Dokumente belegt.

An der Spitze des „Nationalen Heers“ steht Haytham Efeysi aus Dêra Zor. Er war ein ranghoher Offizier des syrischen Militärs, der in die Türkei desertierte. Seit sich Efeysi vom syrischen Militär getrennt hat, lebt er in der Türkei. Es gibt weitere Informationen über Diskussionen, dass der von den QSD in die Türkei desertierte ehemalige Sprecher Talal Silo an die Spitze dieses „Nationalen Heers“ gesetzt werden soll.

Das Heer soll aus drei Kolonnen bestehen. Die erste Kolonne wird vom Verantwortlichen für die türkische Operation „Euphrat Schild“ Fehim Isa kommandiert. Isa war von der Türkei zum Kommandanten von Sultan Murad gemacht worden und nahm an der Besetzung von Cerablus und Bab teil. Isa ist allerdings nur das Aushängeschild. Hinter ihm ziehen MIT-Agenten die Fäden.

Die zweite Kolonne wird von Yaser Abdurrahim, dem militärisch Verantwortlichen von Feylak El Şam kommandiert. Er hat sich ebenfalls in der Türkei niedergelassen. Abdurrahim ist Kader der Muslimbruderschaft. Der Kommandant der dritten Kolonne ist noch nicht bekannt. Es ist auch möglich, dass Talal Silo diese Position einnimmt.

Plünderungen und Entführungen – eine Region wird Seyf Ebubekir überlassen

Man muss sehen, dass die von der AKP und Erdoğan als „Syrisches Nationales Heer“ bezeichnete Gruppe aus genau denselben Gruppen besteht, die zuvor schon auf der Agenda der Türkei agiert haben, nur der Name ändert sich. Seyf Ebubekir Polat hatte Aufgaben im Rahmen von „Euphrat Schild“ erhalten und wurde jetzt ein bisschen in den Hintergrund gestellt. An die Spitze der Gruppe kam Firket Hamza. Er ist verantwortlich für den Handel, Entführungen, extralegale Hinrichtungen, Plünderungen in der Region Exterin, Rai und Azaz. Die Bevölkerung in dieser Region erklärt, dass kein Tag vergehe, an dem er nicht die Menschen dort beraubt, ihre Besitztümer geplündert und zwei oder drei Personen entführt habe. Die Bevölkerung von Marea hat dagegen vor zwei Tagen eine Protestdemonstration durchgeführt. Sie forderten, dass der aus diesen Gruppen bestehende Militär- und Zivilrat ausgetauscht werden soll.

Auch türkeitreue kurdische Milizen sollen Teil des „Nationalen Heers“ sein

In dem „Nationalen Heer“ gibt es auch einen Verantwortlichen, der die türkeitreuen kurdischen Milizen organisieren soll. Die Aufgabe wurde dem Kurden aus Hesekê Ebu Meryem El Heskavi übertragen. Unter ihm dienen unter anderem der als Ustaz Mahmut bekannte Mahmut Hemo, der als Şeyh Mustafa Ğuz bekannte Mustafa Hıdır İlyas und Nebih Musa und Mahmut Xelo aus Şehba. Sie haben zurzeit im „Euphrat Schild“ für die Türkei gesprochen und dafür gesorgt, dass die von der Türkei gesendeten Waffen den IS erreichen.

Ustaz Mahmut also Mahmut Hemo ist neben dieser Aufgabe auch für die Sultan-Murad-Gruppe verantwortlich. Talal Silo hatte erklärt, dass als 2014 der IS Rai angriff, man die Türkei um Waffen gebeten habe. Es seien ihnen drei Lastwagen mit Waffen geschickt worden. Einer hätte sie erreicht, zwei von ihnen seien von Mahmut Hemo dem IS übergeben worden. Deswegen habe er auf einem Treffen mit dem MIT die Verhaftung Hemos gefordert. Während Talal Silo so die Beziehungen von Mahmut Hemo zum IS erklärt, wird auch deutlich, dass die Türkei Hemo genutzt hat, um Waffen an den IS zu senden. Aber nun haben beide wieder von Neuem begonnen, gemeinsam für den türkischen MIT und die AKP zu arbeiten.

Şeyh Mustafa Ğuz stammt aus dem Dorf Ğuz, das zwischen Exterin und Azaz liegt. Er hat in Saudi-Arabien studiert und ist ein Kader der Muslimbruderschaft. Er war lange Zeit bei Nusra. Als 2014 Exterin in die Hände von Nusra fiel wurde er zum Verantwortlichen von Nusra für die Region ernannt.

Dies alles zeigt, dass diejenigen, die das „Nationale Heer“ und die „Syrische Übergangsregierung“ für die Türkei gegründet und in Antep stationiert haben, alte Kader der Muslimbruderschaft sind und jeder von ihnen entweder eine Zeit bei Nusra war oder mit dem IS gearbeitet hat.

Nun kam heraus, dass diese Gruppen von der Türkei einerseits im Rahmen eines neuen Plans gegen Russland und den Iran und andererseits um Efrîn anzugreifen organisiert worden sind. Da nun aufgrund der Operationen des Regimes gegen die Milizen in Idlib eine Desillusionierung stattfindet, versucht man den Angriffsplan auf Efrîn am Leben zu halten, indem man türkische Spezialeinheiten zwischen Rai und Azaz in den Dörfern Havar Kilis, İğde, Kızıl stationiert.

Es ist klargeworden, dass die AKP und das syrische Regime an Angriffsplänen gegen Efrîn arbeiten, und dass es einen Handel zwischen ihnen und Russland und dem Iran über die Kurd*innen gegeben hat. Andererseits hintergingen beide Staaten sich gegenseitig und nutzten die unterschiedlichen Gruppen für die eigensten Interessen.

Auf Angriff vorbereitet

Die Selbstverwaltung von Nordsyrien und ihre militärischen Kräfte sind auf einen Angriff der Türkei und ihren Milizen vorbereitet. Sie haben immer wieder gegenüber der Öffentlichkeit betont, dass ein solcher Angriff für die Türkei mit schweren Verlusten verbunden sein wird.

Die Türkei hat die auf dem Astana-Treffen vereinbarten Bedingungen für einen Angriff nicht erfüllt und daher von Russland und dem Iran keine Erlaubnis erhalten. Es ist auch unwahrscheinlich, dass die Türkei mit ihrer Übergangsregierung und dem „Nationalen Heer“ eine solche Erlaubnis bekommen wird. Es ist nicht verkehrt wenn wir daraus schließen, dass während sie Angriffspläne gegen Efrîn schmieden, die Gruppierungen wie tickende Zeitbomben in ihren Händen explodieren und sie bald aus Idlib und dann aus Cerablus und Bab hinausgeworfen werden.