Neue Krise zwischen Hewlêr und Bagdad zeichnet sich ab

Eine Woche ist seit den Wahlen im Irak vergangen und es wurden immer noch keine definitiven Ergebnisse verkündet. Die Einsprüche gegen die Wahlergebnisse, insbesondere in Südkurdistan, häufen sich und schon droht die nächste Krise.

Die Krise aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen im Irak wächst. In Kurdistan widersprechen insbesondere die Gorran-Bewegung, die Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit, Komala Islami, Islami Yekgirtû, die Kommunistische Partei und die Bizutnawa Parteien den Ergebnissen und hatten bereits zuvor eine Erklärung mit sechs Paragraphen veröffentlicht, in der sie die Wiederholung der Wahlen fordern. Da sie mit ihrer Erklärung kein Ergebnis erzielen konnten haben sie sich entschlossen, dass wenn die Stimmen nicht per Hand ausgezählt und die Wahlen nicht wiederholt werden, sie sich an keiner politischen Aktivität im Irak beteiligen werden. Mindestens drei dieser Parteien hatten einige, wenn auch wenige Abgeordnetenmandate errungen. Wenn diese Abgeordneten ihre Sitze im neu zu gründenden Parlament nicht einnehmen, keinen Eid leisten, dann droht in dem ohnehin gespaltenen irakischen Parlament eine neue Pattsituation.

Das irakische Parlament und bisher alle Ministerpräsidenten haben, so gespalten sie auch immer sein mögen, die Kurd*innen im irakischen Parlament als Block behandelt. Die kurdischen Parlamentarier*innen haben ebenso als Block agiert. Aus diesem Grund könnte die Weigerung einiger kurdischer Parteien nicht am Parlament teilzunehmen, für Hewlêr (Erbil) wie auch für Bagdad, zu ernsten Schwierigkeiten führen. Sogar schon die Eröffnung des irakischen Parlaments wird problembehaftet und in Unruhe stattfinden. Ministerpräsident Abadi ist sich dieser Gefahr bewusst und hat in einer Erklärung die irakische hohe Wahlkommission in die Pflicht genommen. Deshalb hat die hohe Wahlkommission etwa 400 Wahlurnen aus Südkurdistan zur händischen Auszählung nach Bagdad gegeben.

Auch die sich selbst gegebene Stimme taucht nicht auf

Es sieht allerdings nicht so aus, als könnte das Problem durch händische Auszählung gelöst werden. Denn es gibt einige sehr deutliche Fälle. So erlebte ein Kandidat der Bewegung Nifşê Nû (Neue Generation) mit Listenplatz 120 in Kerkûk eine skandalöse Situation. Sowohl er als auch seine Angehörigen haben für ihn an der selben Urne abgestimmt, aber aus der Zählung an der Urne ging keine einzige Stimme für ihn hervor. Der Abgeordnete meinte, auch wenn man annehme, seine Ehefrau hätte gegen ihn gestimmt, so könne er zumindest sicher sagen, dass er für sich selbst gestimmt habe. Werden die Richter nun sagen, wenn er gegen die Entscheidung klagt, dass er nicht für sich selbst gestimmt habe? Solche Beispiele zeigen, wie problematisch die Wahlen abgelaufen sind. Die Parteien haben all dies gesammelt und fordern für Südkurdistan, Kerkûk und die umstrittenen Gebiete Neuwahlen. Deshalb erscheint es wenig überzeugend, dass eine Neuauszählung der Stimmen die Probleme lösen könnten. Die Krise des irakischen Parlaments vertieft sich seit den Wahlen von Tag zu Tag. 81 Abgeordnete, die die Ernsthaftigkeit der Situation erkannt haben, haben ein Eiltreffen des Parlaments einberufen. Die Entscheidung, die auf diesem Treffen fällt, wird auf jeden Fall wichtig sein. Sie kann von Neuwahlen bis hin zu einem Konsens zwischen allen Parteien reichen.

Diskussionen um Regierungsbildung

Obwohl in den Diskussionen um den weiteren Umgang mit den Wahlen noch kein Ergebnis erzielt worden ist, haben in Bagdad schon die Debatten um die Möglichkeiten der Bildung einer neuen Regierung begonnen. Im Kontext der internationalen und regionalen Machtverhältnisse wurde begonnen über Parteien und Listen zu spekulieren, welche Regierungskoalitionen gebildet werden könnten. In Südkurdistan hatten schon einen Tag vor den Wahlen einige Parteivertreter*innen erklärt, dass die Regierung nicht nach der politischen Mehrheit, sondern in Achtung aller Komponenten der Gesellschaft gebildet werden solle. Diese Erklärungen zeigen, dass im Vorfeld schon ein paar Vorbereitungen getroffen worden waren und dass es bezüglich der Bildung der neuen Regierung einen Plan gibt.

Andererseits hat der US-Sonderbeauftragte für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS), Brett McGurk, zuerst Bagdad und dann Südkurdistan direkt nach den Wahlen besucht und eine Serie von Treffen durchgeführt. Der Zeitpunkt des Besuchs direkt nach den Wahlen, wird als Treffen zu einer Regierungsbildung im Sinne der USA bewertet. Das bedeutet, dass eine Regierung unter der Führung von Abadi gegründet werden sollte.

Kann jedoch dem Präsidenten der drittplazierten Liste die Aufgabe zur Regierungsbildung aufgetragen werden, während es die erst- und zweitplazierte Liste von Sadr (Sairun) und dem Iran nahestehenedem Hadi Amiriri gibt?

Das ist ein weiteres Problem und ernsthaftes Hindernis. Mit solch einer Möglichkeit steht noch vor der Lösung der Wahlkrise bereits die nächste politische Krise ins Haus. Die arabischen Medien sprachen von einem Besuches des Kommandanten der iranischen Kräfte Qassem Soleimani in Südkurdistan in dieser Phase. Soleimani ist Kommandeur der al-Quds-Einheit, einer Division der Iranischen Revolutionsgarde, die Spezialeinsätze außerhalb des Iran durchführen. Auch wenn es sich um Behauptungen handelt, so liegt es dennoch im Bereich des Wahrscheinlichen.

Die USA und der Iran

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Besuche stattgefunden haben, ist ziemlich hoch. Das Bedürfnis des Irans eine ihm nahestehende Regierung im Irak zu bilden, ist mindestens genauso groß wie das der USA. Ob nun eine USA-nahe oder eine Iran-nahe Regierung gebildet wird, die Interventionen dieser Kräfte werden neue Probleme hervorrufen. Mit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen hat die Spannung zwischen den beiden Mächten eine gefährliche Dimension erreicht. Daher wird eine Regierung, die einer der beiden Seiten nahe steht, wenig Erfolgsaussichten haben, sie wird wohl in kurzer Zeit zusammenbrechen.

Erklärungen von PDK-Vertreter können die Krise noch vertiefen

Während diese Krise erklärte Hawraman aus der Führung der südkurdischen PDK, dass der irakische Republikspräsident ein Kurde sein werde, aber nicht aus der YNK kommen müsse. Diese Erklärung spitzt das Klima vor den Wahlen in Südkurdistan im September zu, da es eigentlich ein Einverständnis zwischen der PDK und der YNK gibt, dass der irakische Republikspräsident von der YNK sein soll, während der Regionalpräsident von Kurdistan zur PDK gehören müsse. Ohne Zweifel wird die YNK der PDK weder die Republikspräsidentschaft noch die Regionalpräsidentschaft der PDK überlassen wollen. Daher trägt diese Erklärung das Potential, den kalten Krieg zwischen PDK und YNK auf eine neue Stufe zu heben.

Wo man auch hinschaut vertiefen sich die Probleme. Auch die Namen, die in den Erklärungen benannt werden, deuten in diese Richtung. Sowohl für den Irak, als auch für Südkurdistan wurde das Tor zu einer neuen Krisenzeit aufgestoßen.