Leyla Güven seit 160 Tagen im Hungerstreik

Die HDP-Politikerin Leyla Güven befindet sich seit mittlerweile 160 Tagen für ein Ende der Isolation des in der Türkei inhaftierten Repräsentanten der kurdischen Freiheitsbewegung Abdullah Öcalan im Hungerstreik.

Am 7. November trat die damals noch aufgrund ihrer Kritik an der türkischen Militärinvasion im nordsyrischen Kanton Efrîn inhaftierte HDP-Abgeordnete Leyla Güven im Gefängnis von Amed (Diyarbakir) in einen unbefristeten Hungerstreik. Mit ihrem Protest fordert die 55-jährige Politikerin, die seit 2017 auch Ko-Vorsitzende des zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses DTK (Demokratischer Gesellschaftskongress) ist, einer demokratischen Plattform, die sich 2007 mit der Zielsetzung einer selbstverwalteten, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft gebildet hat, die Aufhebung der Isolation des auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan.

Der 70-Jährige gilt der kurdischen Freiheitsbewegung als legitimer Repräsentant und wurde im Februar 1999 völkerrechtswidrig aus dem kenianischen Nairobi in die Türkei verschleppt. Mit dem Hungerstreik werden Bedingungen für Öcalan gefordert, in denen er als Vorsitzender einer legitimen Befreiungsbewegung leben und arbeiten kann, um so zur Lösung der kurdischen Frage beizutragen.

Inzwischen hat sich der Gesundheitszustand von Leyla Güven dramatisch verschlechtert. Nach über fünf Monaten Nahrungsverweigerung hat sie bereits 20 Kilogramm an Körpergewicht verloren, außerdem verringert sich ihr Hör- und Sehvermögen von Tag zu Tag. Seit Monaten leidet Güven bereits unter massiven Problemen wie Schwindel, extrem niedrigem Blutdruck, Schlafstörungen, Magenkrämpfen, Lichtempfindlichkeit und einem eingeschränkten Geruchsvermögen. Mittlerweile kann sie sich ohne die Hilfe von anderen nicht mehr aufrichten und ist bettlägerig.

Vom Hungerstreik zum Massenprotest

Leyla Güven löste mit ihrem Hungerstreik einen länderübergreifenden Massenprotest aus. Nachdem sich überall in der Türkei und Nordkurdistan organisierte HDP-Mitglieder an der Aktion beteiligten und am 27. November zunächst rund 300 in türkischen Gefängnissen inhaftierte PKK- und PAJK-Gefangenen in einen Hungerstreik traten, beteiligten sich auch in Straßburg, Wales, Genf, Duisburg, Nürnberg, Den Haag, Wien, Toronto und vielen anderen europäischen Städten lebende Kurdinnen und Kurden an der Aktion. Mittlerweile sind es rund 7.000 politische Gefangene, die sich im Hungerstreik befinden und die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung fordern.

Auch viele bekannte Persönlichkeiten traten aus Solidarität mit Leyla Güven und allen anderen Hungerstreikenden in befristete Hungerstreiks. Der Politiker und Internationalist Martin Dolzer, Abgeordneter der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, führte im März zur Unterstützung der Forderungen der Hungerstreikbewegung einen dreitägigen Protest durch, die britische Menschenrechtsanwältin Margaret Owen beteiligt sich bereits seit Dezember etappenweise an der Aktion.

Internationale Solidaritätsbekundungen

Außerdem erklären sich weltweit Menschen mit der kurdischen Politikerin Leyla Güven und ihrem Hungerstreik gegen die Isolation Abdullah Öcalans solidarisch. Zuletzt hat der britische Filmregisseur Ken Loach in einem offenen Brief seine Solidarität mit den kurdischen Hungerstreikenden zum Ausdruck gebracht und sich ihrer Forderung nach einem Ende der Isolation Abdullah Öcalans angeschlossen. Vergangene Woche haben 21 bekannte Persönlichkeiten, unter ihnen die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech und Schauspieler Rolf Becker, in einem gemeinsamen offenen Brief die Bundesregierung dazu aufgefordert, ihren politischen Einfluss auf die Türkei auszuüben und sich für das Ende der Isolation Abdullah Öcalans einzusetzen. Anfang des Jahres hatten bereits 50 Nobelpreisträger das Ende der Isolationshaftbedingungen Öcalans und allen politischen Gefangenen gefordert. Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis erklärte in einem in der New York Times veröffentlichten offenen Brief, die Forderungen der Politikerin Leyla Güven zu unterstützen.

Besucherandrang bei Leyla Güven

Unterdessen erhält Leyla Güven in ihrer Wohnung in der nordkurdischen Metropole Amed täglich Solidaritätsbesuche. Am Montag war es Leila Khaled, führendes Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PLFP), die Leyla Güven besuchte, Anfang März empfing Güven Besuch aus Argentinien: Nora Morales Cortinas, eine der Mütter der Plaza de Mayo, die ähnlich wie die „Samstagsmütter“ in Istanbul unermüdlich nach dem Verbleib ihrer verschwundenen Angehörigen fragen.

Nora Cortinas las Leyla Güven bei ihrem Besuch ein Gedicht vor und erklärte sich solidarisch mit den kurdischen Hungerstreikenden. „Ich habe meinen Sohn in dem Krieg in unserem Land verloren. Sein Leichnam ist immer noch verschwunden. Wie auch Ihr hier setzen wir unseren Kampf für Gerechtigkeit fort“, sagte die argentinische Aktivistin, die nicht zum ersten Mal in Kurdistan war.

Täglich weltweit Protestaktionen gegen Isolation

Weiterhin finden täglich etliche Proteste statt, um schweigend gegen die Ignoranz des seit Monaten andauernden Hungerstreiks gegen die Isolation Abdullah Öcalans zu protestieren. Die Proteste richtet sich gegen die Ignoranz der EU, ihrer Institutionen, Politiker und Medien gegenüber der Hungerstreikbewegung mit ihrer Forderung „Dialog statt Isolation”, die faktisch totgeschwiegen wird.

Insbesondere in Straßburg kommen Kurd*innen und solidarische Menschen seit Monaten mit Mahnwachen und Massenhungerstreiks zusammen, um das Europäische Parlament, den Europarat – und damit das Antifolterkomitee – zum Handeln aufzufordern, Druck auf die Türkei auszuüben. Die Aktionen dort wurden in einer Zeit gestartet, als die unbefristeten Hungerstreiks zunehmend kritischer wurden und sich in den türkischen Gefängnissen immer mehr Menschen aus Protest das Leben genommen haben.

Im Januar hat die Parlamentarierversammlung des Europarats basierend auf einem CPT-Bericht zum Isolationssystem auf Imrali einen Beschlussentwurf angenommen, in dem die Türkei an einzuhaltende Standards erinnert und eine Beendigung der Isolation Öcalans gefordert wird. Die Türkei hält sich nicht an den Beschluss, Sanktionen werden vom Europarat trotzdem in keiner Form umgesetzt.