KCK weist Brandstiftungsvorwürfe zurück

Seit Tagen fressen sich verheerende Feuerstürme durch Wälder in der Türkei, doch die Regierung demonstriert mit Verschwörungstheorien ihre Unfähigkeit, adäquat auf den Notstand zu reagieren. Stattdessen wird auf ein altes Feindbild gesetzt: die Kurden.

Seit Tagen wüten Brände in den Wäldern in der Türkei, von der Ägäisküste im Westen bis zur Südküste. Bisher starben neun Menschen als Folge der Waldbrände, über hundert wurden verletzt. Zehntausende Hektar Wald sind zerstört, ebenso große landwirtschaftliche Flächen. Auch zahlreiche Tiere konnten nicht vor den Flammen gerettet werden. Expertinnen und Experten sehen die Ursache der verheerenden Feuerstürme im Klimawandel, aber auch in völlig unzureichendem Brandschutz und in der Fahrlässigkeit von Menschen.

KCK: Wälder sind der zentrale Bereich natürlichen Lebens

Auf der Suche nach Sündenböcken wurden allerdings wie so oft Kurdinnen und Kurden sowie die kurdische Arbeiterpartei PKK ausgemacht. Dass die extrem hohen Temperaturen auch in Ländern wie Griechenland und Italien zu großen Waldbränden führen, wird ausgeblendet. Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) als Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung weist eine Verantwortung für die Waldbrände in der Türkei entschieden zurück. In einer Stellungnahme des KCK-Exekutivrates heißt es: „Wälder stellen einen grundlegenden Teil des ökologischen Gleichgewichts dar und sind zugleich die Lunge allen Lebens auf dieser Erde. Sie sind der zentrale Bereich natürlichen Lebens. Aus diesem Grund sind die aktuellen Waldbrände nicht nur für die direkt betroffenen Länder, sondern für die gesamte Menschheit und alle anderen Lebewesen eine Katastrophe. Als ein Volk, das diesen Schmerz am stärksten erfährt, wünschen wir den Völkern der Türkei, dass die aktuelle Situation bald überwunden wird. Wir teilen ihren Schmerz und ihre Trauer.”

Jagd auf Kurden als vermeintliche Brandstifter

Nach dem Ausbruch der Waldbrände in der Türkei wurde stark kritisiert, dass erst viel zu spät eingegriffen wurde. In der Öffentlichkeit hat sich mittlerweile die Meinung verbreitet, die Brände seien aus Profitinteresse gelegt worden. „Zugleich haben gewisse Feinde des kurdischen Volkes und Kreise, die Konflikte zwischen den Völkern schüren möchten, provokative Erklärungen verbreitet und behauptet, die Waldbrände seien von Kurdinnen und Kurden gelegt worden. Es wurde sogar von ihnen behauptet, die PKK sei für die Feuer verantwortlich. Auf diese Weise stacheln sie die vom Chauvinismus vergifteten Gemeinschaften im Land dazu an, Kurd:innen anzugreifen. Das hat bereits dazu geführt, dass in einigen Orten Jagd auf kurdischstämmige Menschen gemacht wurde, um diese zu lynchen und zu töten”, hält die KCK fest.

Derartige Behauptungen würden von Kräften, die für den „Spezialkrieg gegen die kurdische Bevölkerung und die demokratischen Kräfte” verantwortlich sind, verbreitet, um weitere Angriffe auf Kurdinnen und Kurden zu provozieren. Die sich unlängst zugetragenen antikurdischen Lynchangriffe und Massaker hätten das gleiche Ziel wie die aktuellen Angriffe. „Die Willenskraft der kurdischen Gesellschaft soll gebrochen werden, um sie von ihrer Identität abzubringen und es ihr unmöglich zu machen, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen”, so die KCK.

Das wahre Gesicht der AKP/MHP-Regierung sei heute vollständig „entblößt” und ihre Unterstützung innerhalb der Gesellschaft auf ein neues Tief gesunken. Insbesondere die von der Regierung hervorgerufene gesellschaftliche Polarisierung und ihre grundsätzliche Feindlichkeit gegenüber der Demokratie und Freiheit hätten die Unzufriedenheit der Menschen verstärkt. „Der Ausbruch der Waldbrände und die zu spät eingeleiteten Löschversuche haben in der Bevölkerung zu einer Explosion der Wut geführt. Um diese Wut des Volkes vom eigentlichen Ziel abzulenken, versuchen die faschistische AKP und MHP und ihre Spezialkriegsinstitutionen nun, die Kurdinnen und Kurden und die PKK für die Waldbrände verantwortlich zu machen. Auf diese Weise will sich die AKP/MHP-Regierung vor der Entrüstung der Bevölkerung retten. Das stellt eine äußerst unmoralische und schmutzige Politik dar. Doch unser Volk und die allgemeine Öffentlichkeit glauben dieser Propaganda nicht.”

Regierungsflotte, Kampflugjets und Paläste, aber keine einsatzfähigen Löschflugzeuge

Die Türkei verfügt über eine Regierungsflotte von 13 Flugzeugen für den Präsidenten, illegale Prunkpaläste in Naturschutzgebieten, die mitunter über 1001 Zimmer verfügen, hunderte Kampfflugzeuge, aber nicht über einsatzfähige eigene Löschflugzeuge. Um von dieser Debatte abzulenken, greifen regierungstreue Medien Verschwörungserzählungen über angebliche Sabotageakte von „Terroristen“ aus den Reihen von AKP und MHP auf. Die KCK unterstreicht: „Denn die Regierung sieht wie immer die einzige Chance, ihre Macht aufrechtzuerhalten, in der Polarisierung der Gesellschaft, der Kurdenfeindlichkeit und dem Krieg. Derartige Katastrophen sind das Ergebnis der staatlichen Politik. Doch die türkische Regierung versucht diese Wahrheit zu verschleiern, indem sie falsche Nachrichten verbreitet. Die Angriffe auf Kurdinnen und Kurden resultieren aus dieser rassistisch-faschistischen Mentalität. Dennoch wird auf Regierungsebene versucht, sie als gewöhnliche Streitigkeiten darzustellen und dadurch zu normalisieren und zu legitimieren. Die in Konya ermordete kurdische Familie Dedeoğulları war bereits im Mai angegriffen und fast gelyncht worden. Die Angreifer bezeichneten sich damals als Nationalisten und drohten, die Familie auszulöschen. Trotz derartiger Aussagen sind die Angreifer nicht oder nur vorübergehend verhaftet worden. Vorkehrungen, die Familie zu schützen, wurden nicht getroffen.”

Die KCK bezeichnet Meldungen, wonach die Waldbrände von Kurd:innen oder der PKK gelegt worden seien, als „Lügen” und eine „Erfindung im Rahmen des Spezialkriegs”. Mithilfe dieser haltlosen Beschuldigungen würde versucht, die „unökologischen Maßnahmen der Regierung und deren damit verbundene Verbrechen” zu verschleiern. „Zugleich möchte die AKP/MHP-Regierung verhindern, dass die Völker der Türkei und der Kampf des kurdischen Volkes für Demokratie und Freiheit zueinander finden. Der türkische Staat sieht in der Verbindung des kurdischen Volkes und der Völker der Türkei sein eigenes Ende. Deshalb versucht er heute mithilfe verschiedener Provokationen, die Ereignisse vom 6. und 7. September 1955* in aktualisierter Form an den Kurdinnen und Kurden zu wiederholen. Damals waren Nichtmuslime in der Türkei enteignet und später aus dem Land vertrieben worden”, erklärt die KCK.

Dass die Waldbrände am Mittelmeer und der Ägäis als Mittel für Angriffe gegen das kurdische Volk und die demokratischen Kräfte eingesetzt werden, verdeutliche, dass die aktuelle Regierung zu einer großen Last für die Völker der Türkei geworden ist, hält die KCK fest. „Die Partner und Anhänger dieser faschistischen Regierung haben sich gegenüber den Völkern der Türkei zu einer Gemeinschaft von Schuldigen entwickelt. Wir warnen faschistische Kreise, die versuchen, Kurdinnen und Kurden und die PKK für die in der Türkei ausgebrochenen bzw. zu Profitzwecken bewusst gelegten Waldbrände verantwortlich zu machen und dadurch die Gesellschaften gegeneinander aufzuhetzen. Wir begreifen es als schweres Verbrechen, die faschistischen Banden gegen unser Volk aufzuwiegeln, und werden dies nicht ungesühnt geschehen lassen.”

Wir begreifen die Erde als unsere gemeinsame Heimat

Weiter heißt es in der Erklärung: „Unser Volk und unsere Freiheitsbewegung begreifen die Erde, auf der wir leben, als unsere gemeinsame Heimat. Wir wünschen uns ein freundschaftliches, freies und demokratisches Leben in diesem gemeinschaftlichen Lebensraum. Alle, die Kurdistan und die Türkei nicht als gemeinsame Heimat betrachten und Verbrechen an ihr und ihren Menschen begehen, werden mit Sicherheit von den Völkern zur Rechenschaft gezogen.

Wir rufen alle Völker der Türkei und die demokratischen Kräfte dazu auf, Schulter an Schulter mit dem kurdischen Volk gegen die faschistischen Kräfte und Angreifer zu kämpfen, die die Kurdinnen und Kurden als ihre Feinde betrachten und zu Angriffszielen erklären. Wir rufen sie auch dazu auf, der AKP/MHP-Regierung ein Ende zu bereiten und eine demokratische Türkei und ein freies Kurdistan aufzubauen.”

*Der Pogrom gegen die Nichtmuslime Istanbuls im September 1955 gehört zu einem der dunkelsten Kapitel der türkischen Zeitgeschichte. Er begann als eine anti-griechische Kundgebung türkischer Nationalisten am 6. September und artete binnen weniger Stunden in einen Zerstörungsfeldzug gegen die griechische Bevölkerung Istanbuls aus, dem auch andere Nichtmuslime wie Armenier und Juden zum Opfer fielen. Mit Eisenstangen, Hacken und Knüppeln bewaffnet zog ein nationalistisch fanatisierter Mob in jene Bezirke Istanbuls, in denen Griechen, Juden und Armenier lebten und ihre Geschäfte betrieben. In Beyoğlu/Taksim (Pera), in der heute beliebten touristischen Einkaufsmeile im Herzen Istanbuls,warfen johlende Banden in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1955 die Schaufensterscheiben der Geschäfte und Kaufhäuser mit Steinen ein, demolierten Autos, verprügelten Griechen und Angehörige anderer nichtmuslimischer Bevölkerungsgruppen. In den folgenden zwei Tagen zogen Nationalisten plündernd und brandschatzend durch die Stadtviertel Ortaköy, Balıklı, Samatya und Fener sowie auf die Prinzeninseln im Marmarameer, Gebiete mit hohem nichtmuslimischen Bevölkerungsanteil, zerstörten ihr Eigentum, quälten und drangsalierten dessen Besitzer und vergewaltigten Frauen. Friedhöfe, Kirchen und Synagogen blieben von der Zerstörungswut nicht verschont, mehrere Geistliche wurden getötet. Danach kamen die Plünderer und ließen mitgehen, was nicht niet- und nagelfest war.