Gießen: Stoppt den Krieg! Frieden für Efrîn!

Auf einer Podiumsdiskussion in Gießen diskutierten Hülya Gabriel und Prof. Dr. Gerhard Trabert mit über hundert Interessierten über die aktuelle Situation in Nordsyrien.

Das Gießener Bündnis für Frieden in Efrîn veranstaltete eine Podiumsdiskussion in den Räumen der Alevitischen Gemeinde. Als Referent*innen eingeladen waren Hülya Gabriel, Mitbegründerin der Bethnarin Frauen Union Schweiz und Co-Präsidentin der European Syriac Union, sowie Prof. Dr. Gerhard Trabert, Arzt für Allgemein- und Notfallmedizin und Vorsitzender des Vereins „Armut und Gesundheit“.

Zunächst führte Hülya Gabriel die Anwesenden in die Geschichte der Suryoye ein. Zu ihnen zählen Chaldäer, Assyrer, Aramäer und andere christliche Volksgruppen im Mittleren Osten. Durch Massaker und Genozide, unter anderem Seyfo (1915) im Osmanischen Reich, sind sie heute nur noch eine Minderheit. In Syrien gründeten die Suryoye zusammen mit Kurden, Arabern, Eziden und andere Minderheiten die Demokratische Föderation Nordsyrien (Rojava). In einem gemeinsamen Gesellschaftsvertrag wurden demokratische Strukturen und die Gleichberechtigung aller Völker festgeschrieben.

Efrîn, einer der Kantone von Rojava, war bisher eine der sichersten Regionen in Syrien. Hunderttausende Binnenflüchtlinge wurden aufgenommen. Die Türkei sieht sich gefährdet, weil dort die Völker, die sie jahrhundertelang bekämpft hat, eine Föderation bilden. Auch durch die Nähe zum Mittelmeer ist Efrîn geostrategisch sehr wichtig. In den eroberten Gebieten siedeln sich die dschihadistischen Milizen an, der Islamische Staat (IS) wird wieder gestärkt.

Gerhard Trabert legte den Schwerpunkt seines Vortrags auf die medizinische Versorgung in Nordsyrien. Mit beeindruckenden und sehr bewegenden Bildern schilderte er die dortige Situation. Die Krankenhäuser wurden vom IS als Militärbasen genutzt, nach der Niederlage geplündert und systematisch zerstört. Fast die gesamte Infrastruktur ist nicht mehr vorhanden, die Versorgung mit Trinkwasser, Lebensmitteln und Medikamenten äußerst schwierig, teilweise sogar unmöglich. Hier spricht Prof. Trabert von den „stillen Toten“, von denen die Öffentlichkeit kaum etwas hört. Es sind die chronisch Kranken, die keine Arzneimittel haben, die Menschen, die keine Dialyse bekommen können, Diabetiker, denen das Insulin fehlt. Ein kleiner Infekt wird zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung, wenn es keine Antibiotika gibt. Die vielen Kinder mit Mittelmeeranämie, die keine Bluttransfusionen erhalten oder die Medikamente zum Abbau des überschüssigen Eisens nicht bekommen, werden sterben, so Trabert.

Prof. Trabert berichtete von weiteren erschütternden Erlebnissen. Ein Foto zeigt ein Kino im Freien, in dem Kinder gezwungen wurden, sich Hinrichtungen anzusehen. Ein vom IS gefangen genommener Arzt musste mitansehen, wie sein Kollege vor seinen Augen getötet wurde. Eine Untersuchung besagt, dass 80 Prozent aller Kinder in Syrien miterleben mussten, wie ein naher Angehöriger gestorben ist. Nicht nur die Bevölkerung, auch die Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und anderen Helfer haben unter dem Terror gelitten, oft sind sie traumatisiert. Auch darüber spricht hier niemand.

Auf der Veranstaltung wurde deutlich, dass der türkische Staatspräsident Erdoğan gelogen hat, als er behauptete, die Zivilbevölkerung in Efrîn werde geschützt. Die Wasser- und Stromversorgung wurde bewusst zerstört, Schulen, Krankenhäuser und zivile Einrichtungen wurden bombardiert. „Aber zu diesen Kriegsverbrechen wird geschwiegen“, erklärte Rainer Grabowski vom Gießener Bündnis für Frieden in Efrîn, „Die Türkei als NATO-Partner handelt völkerrechtswidrig und tötet Zivilisten. Deutsche Waffen sind im Einsatz. Trotz Fernsehen, Internet und anderen Medien schaut die Welt bei diesem Genozid und Massaker nur zu, niemand hört die Stimmen dieser Völker. Es ist sehr wichtig, dass sich immer mehr Menschen öffentlich dagegen wenden und protestieren. Die Menschenrechte, die Humanität sind die Grundlage für die gemeinsame Solidarität. Der Krieg muss gestoppt werden!“