Çiya Kurd: Der Widerstand hat die politische Lage verändert

Bedran Çiya Kurd (TEV-DEM) bewertet die Anwesenheit syrischer Militäreinheiten in Efrîn als Ergebnis eines militärischen Abkommens mit Damaskus.

Bedran Çiya Kurd, Vorstandsmitglied der Demokratischen Gesellschaftsbewegung (TEV-DEM), hat sich gegenüber ANF zur Militärinvasion in Efrîn, der Ankunft syrischer Volksschutzeinheiten und der Position der in Syrien vertretenen Großmächte geäußert.

Beginnen wir dem Widerstand. In Efrîn wird seit 33 Tagen ein historischer Widerstand geleistet. Wie bewerten Sie diesen Widerstand?

Vor 33 Tagen ging der türkische Staat noch davon aus, Efrîn in drei Stunden oder drei Tagen besetzen zu können. Trotz technologischer und zahlenmäßiger Überlegenheit ist er jedoch durch den entschlossenen Widerstand der Bevölkerung und unserer Kampfeinheiten aufgehalten worden. Dieser Widerstand hält seit 33 Tagen an.

Dadurch hat sich vieles geändert. Auch in den feindlichen Reihen hat unser Widerstand zu einer Veränderung geführt. Bereits nach der ersten Woche hat ein Teil der vom türkischen Staat rekrutierten Banden den Kampf aufgegeben. Efrîn ist für sie zu einem Sumpf geworden. Auch die türkische Armee hat große Verluste erlitten. Die Öffentlichkeit in der Türkei hat daher begonnen, die Militäroperation zu hinterfragen.

Im gegnerischen Bündnis sind Risse aufgetaucht. Da sie in militärischer Hinsicht nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen, haben sie sehr barbarische Angriffe gestartet. Dabei werden alle Arten von Waffen eingesetzt. Die Zivilbevölkerung ist mit Chemiewaffen angegriffen worden. Es sind Gesundheitszentren, die Trinkwasserversorgung, historische Stätten und Schulen bombardiert worden. Um die Bevölkerung zur Flucht zu zwingen, ist die lebensnotwendige Infrastruktur zerstört worden. Die Menschen sind mit einem hochgradig faschistischen Vorgehen konfrontiert und leisten dagegen einen großartigen Widerstand.

Sie sagen also, der Widerstand trägt Früchte. Gestern sind einige Einheiten der Volksschutzkräfte, die der syrischen Armee unterstehen, in Efrîn angekommen. Diese Situation wirft viele Fragen auf. Auf welcher Basis sind diese Kräfte nach Efrîn gekommen?

Dazu können wir unserem Volk und der Öffentlichkeit mitteilen, dass die Ankunft dieser Kräfte ein Ergebnis von Verhandlungen zwischen den YPG und dem syrischen Militär ist. Zuvor hatte ja bereits die Autonomieverwaltung von Efrîn die syrische Armee dazu aufgerufen, Syriens Außengrenzen zu schützen. Wir überlassen es den militärischen Kräften, sich zu den Grundsätzen und Details der erfolgten Abmachungen zu äußern. Die Anzahl dieser Kräfte, ihre Mission, die Orte ihrer Stationierung, ihre Aufgaben und so weiter sind alle mit den YPG verhandelt worden. Zu den Details werden sich wie gesagt die YPG äußern.

Wir betrachten es als einen legitimen und positiven Schritt, dass das syrische Militär nach Efrîn gekommen ist, um die Grenzen zu schützen. Efrîn ist ein Teil Syriens. Efrîns Grenzen sind gleichzeitig Syriens Grenzen. Grenzangelegenheiten betreffen das Hoheitsgebiet und müssen daher gemeinsam verteidigt werden. Die Aufgabe, die Besatzung zu verhindern, ist ebenso unsere Aufgabe wie die der syrischen Armee.

Ihr Projekt setzt auf die Einheit Syriens…

Ja. Das Projekt der demokratischen Autonomie und der Föderation Nordsyrien liegt innerhalb Syriens und sieht die Einheit Syriens vor. Es geht nicht um eine Spaltung Syriens oder darum, einen Teil Syriens abzugrenzen. Es gibt viele Themen, über die wir künftig mit Damaskus zu reden haben. Es sind Themen, die in Damaskus verhandelt und beschlossen werden müssen.

Die Anwesenheit dieser Einheiten der syrischen Armee basiert auf einem militärischen Abkommen, nicht auf einem politischen oder verwaltungstechnischen. Politische Themen müssen später über einen Dialog verhandelt werden. Darüber hinaus bleibt der bestehende politische Wille in Efrîn bewahrt und wird auch weiterhin bewahrt bleiben. Es geht schließlich um die Errungenschaften der Bevölkerung, für die ein großer und langer Kampf geführt wurde. Vorrang hat für uns im Moment ein gemeinsamer Kampf gegen die türkische Militärinvasion.

In einigen Medien ist die Rede von bestimmten Bedingungen in diesem Abkommen.

Es stimmt nicht, dass die YPG die Waffen niederlegen werden oder Efrîn dem Regime übergeben wird. Es gibt nicht einmal eine solche Diskussion. Es geht darum, einen Genozid und eine Besatzung zu verhindern. Etwas anderes steht nicht zur Diskussion.

Also ist angesichts der Drohungen des türkischen Staates, einen Teil des syrischen Territoriums einzunehmen und einen Genozid an dem kurdischen Volk zu verüben, eine gewisse Gemeinsamkeit entstanden?

Nach einem 33-tägigen Widerstand hat das syrische Regime eingesehen, dass der türkische Staat und die mit ihm gemeinsam vorgehenden terroristischen Gruppen eine große Gefahr für das Hoheitsgebiet Syriens darstellen. Jeder weiß, dass es sich um eine Besatzungsoperation handelt und der türkische Staat eroberte Gebiete nicht wieder aufgeben wird. Die Existenz des türkischen Staates und der von ihm rekrutierten Banden in Syrien ist nicht im Interesse Damaskus‘, niemand in Syrien hat einen Vorteil davon. Es liegt ein schmutziger Plan vor. Erdoğan sagt, er wolle dreieinhalb Millionen Flüchtlinge in Efrîn ansiedeln. Das bedeutet, dass er die demographische Struktur ändern will. Diesen Plan können Damaskus und weitere Kreise erkennen. Erdoğans Milizen in Efrîn anzusiedeln, bedeutet, die Regionen Idlib und das Gebiet zwischen Bab, Cerablus und Azaz miteinander zu verbinden. Dadurch wird auch bedroht, was Damaskus in den letzten ein, zwei Jahren erreicht hat. Und weil Damaskus diese Gefahr sieht, will es den Plan des türkischen Staates verhindern.

In Syrien gibt es mit Russland, den USA und dem Iran drei einflussreiche Mächte. Was sagen diese Kräfte Ihrer Meinung nach zu den syrischen Militäreinheiten, die nach Efrîn gekommen sind?

Viele Kräfte sind davon nicht begeistert, zum Beispiel Russland. Russland hat eigene Pläne, die es mit dem türkischen Staat koordiniert. Eines der Ziele Russlands ist es, die Türkei auf seiner Seite zu halten und von der NATO zu lösen. Russland weiß auch, dass der türkische Staat eine negative Rolle bei der Ausbreitung der Sowjets gespielt hat. Russland will die Türkei an seine Seite ziehen und den Einfluss im Balkan und im Mittleren Osten erhöhen. Außerdem gibt es bestimmte Handelsabkommen. Wir denken jedoch, dass es nicht so laufen wird, wie Russland es vorsieht. Der türkische Staat verfolgt eine osmanische Gesinnung, die zu Konflikten mit Russland führen wird.

Die USA hingegen verschließen gänzlich ihre Augen vor der türkischen Operation. Zwischen den USA und Russland gibt es ein Abkommen darüber, wer in welchen Gebieten Syriens das Sagen hat. Die USA kümmern sich nicht darum, was Russland westlich des Euphrats tut, und umgekehrt kümmert sich auch Russland nicht darum, was die USA östlich des Euphrat machen.

Die Sprecherin des US-Außenministeriums hat gestern behauptet, nicht zu wissen, was in Efrîn vorgehe. Das ist lächerlich. Sie wissen alles. Wir haben knapp zehn Gespräche mit den USA und der Koalition über Efrîn geführt. Es kam zu keinen Ergebnissen. Das ist ein Kritikpunkt. Diese Politik sollten sie überdenken. Schließlich geht es um den gemeinsamen Kampf gegen den IS. Die Einteilung der Kurden in östlich und westlich des Euphrat ist falsch. Die Herangehensweise, dass die einen leben sollen und die anderen massakriert werden können, schadet auch ihren eigenen Interessen in der Region.

Der Iran zeigt eher eine ablehnende Haltung zu der türkischen Militäroperation. Es sind sogar Widersprüche zwischen dem Iran und Russland bei diesem Thema erkennbar. Das syrische Regime und der Iran sind sich darin einig.

Wie wird es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Ich gehe davon aus, dass sich die Gleichgewichte in der Region ändern werden. Der Widerstand von Efrîn hat neue diplomatische und politische Schritte eingeleitet. Die Solidaritätsbekundungen mit Efrîn sollten fortgesetzt werden. Sie haben eine große Bedeutung. Bisher liegt die Initiative in den Händen der Widerstand leistenden Menschen.

Das auf Kurdisch geführte Interview ist unter folgendem Video abrufbar: