Zahl der Abschiebungen in die Türkei steigt

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Initiative von Clara Anne Bünger hervorgeht, sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 206 Personen in die Türkei abgeschoben worden.

Bereits 206 Personen wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 aus Deutschland in die Türkei abgeschoben. Diese Zahl geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine mündliche Frage der fluchtpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Clara Anne Bünger, hervor. Bünger hatte angesichts eines Berichts des Magazins Monitor erneut die Initiative ergriffen. Das Magazin hatte den Fall des ehemaligen türkischen Polizisten H. K. recherchiert, dessen Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt worden war. Das Urteil, das er dem Bundesamt vorlegte, nachdem er wegen gülenistischen Aktivitäten zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, wurde vom BAMF als „Totalfälschung“ eingestuft und der Antragsteller abgeschoben. Bei Ankunft am Flughafen in Istanbul wurde H. K. umgehend festgenommen und inhaftiert. Gefragt nach diesem Fall war die Bundesregierung nicht einmal bereit, Fehler einzuräumen.

Fehlendes Fehlerbewusstsein der Bundesregierung macht fassungslos“

Bünger kommentiert: „Es macht fassungslos, wie abgebrüht die Bundesregierung auf diese offenkundige Fehlentscheidung des BAMF reagiert. Sie legt überhaupt kein Fehlerbewusstsein an den Tag, was aber die Voraussetzung dafür wäre, an der hoch problematischen Entscheidungspraxis etwas zu ändern. Es kann doch nicht sein, dass Oppositionelle direkt an Erdogans Verfolgungsbehörden ausgeliefert werden und man dies bei der Bundesregierung mit einem Achselzucken zur Kenntnis nimmt.“

Abschiebungen nehmen zu

Die Aufschlüsselung der Bundesländer zeigt, dass NRW (39) Bayern (37), Baden-Württemberg (29) und Hessen mit 28 Abschiebungen in den ersten fünf Monaten des Jahres vorne liegen. Aber auch Bundesländer wie Berlin haben fünf Personen in die Türkei abschieben lassen. Die aktuelle Zahl von 206 Abschiebungen in die Türkei deutet auf einen Anstieg hin. Auf das Jahr hochgerechnet wäre bei fortgesetztem Trend mit 490 Abschiebungen zu rechnen. Zum Vergleich: 2021 wurden 361 Personen in die Türkei abgeschoben, 2020 waren es 318, 2019 waren es 429 Personen.

Erfüllungsgehilfen von Erdoğans Unterdrückungspolitik“

Bünger kommentiert: „Dass der Anstieg bei den Abschiebungen in die Türkei sich weiter fortsetzt, ist höchst besorgniserregend. Wir wissen aus der Praxis, dass von diesen Abschiebungen immer wieder Menschen betroffen sind, denen in der Türkei willkürliche Haft, Folter und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen drohen. Abschiebungen in die Türkei müssen gestoppt werden! Bund und Länder dürfen sich nicht länger zu Erfüllungsgehilfen von Erdogans Unterdrückungspolitik machen.“

Bundesregierung nach Festnahme nicht in der Lage, vor Ort zu recherchieren

Auch die Frage, ob die Schaffung einer Recherchestelle zur Bewertung von in türkeibezogenen Asylverfahren vorgelegten Unterlagen geplant sei, bleibt unbeantwortet. Dies fordern Rechtsanwält:innen, da Überprüfungen von Dokumenten von türkeistämmigen Asylsuchenden nicht mehr vorgenommen werden können, seitdem der Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft in Ankara, Yilmaz S., in der Türkei festgenommen wurde. Der im September 2019 festgenommene Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft und ein weiterer Anwalt in Ankara wurde wegen Spionage angeklagt, aber freigesprochen.

Die beiden Vertrauensanwälte haben im Auftrag des BAMF in Deutschland gestellte Asylgesuche türkischer Staatsangehöriger überprüft. Bei ihrer Festnahme sind Hunderte vertrauliche Akten in die Hände des türkischen Geheimdienstes MIT gelangt. Der Hannoveraner Rechtsanwalt Dündar Kelloglu hatte nach der Festnahme dazu erklärt: „Die türkischen Behörden sind also vermutlich im Besitz der Daten aller prominenten, in Deutschland Hilfe suchenden Flüchtlinge ab 2016. Für die Flüchtlinge ist damit aus einer abstrakten eine konkrete Gefahr geworden. Keiner dieser Menschen darf mehr abgeschoben werden.‘‘

Eine der Betroffenen war die kurdische Politikerin Leyla Birlik. Die ehemalige Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) war 2019 vom Bundesinnenministerium darüber informiert worden, dass ihre Akte vom MIT beschlagnahmt worden ist und sie dadurch gefährdet sei.