Warum gehen junge Menschen in die Berge?

„Solange wir gespalten sind, werden wir von allen Seiten angegriffen. Die Kurden sind stark und können diesen Angriffen standhalten. Das haben wir beim Angriff des IS gesehen“, erklärt der HDP-Politiker Berdan Öztürk nach einem Südkurdistan-Besuch.

Der HDP-Abgeordnete Berdan Öztürk hat sich gegenüber ANF zu einem mehrtägigen Besuch einer Abordnung seiner Partei in Südkurdistan und aktuellen politischen Fragen geäußert. Öztürk, der zugleich Ko-Vorsitzender der zivilgesellschaftlichen Organisation DTK (Demokratischer Gesellschaftskongress) ist, war mit dem HDP-Vorsitzenden Sezai Temelli und weiteren Abgeordneten bis Anfang vergangener Woche zu politischen Gesprächen in Südkurdistan.

Für das kurdische Volk seien die aktuellen Entwicklungen im Mittleren Osten und in der Türkei von historischer Bedeutung, sagte der kurdische Politiker: „Unser Besuch in Südkurdistan war schon früher geplant, musste aufgrund der Entwicklungen im Norden jedoch verschoben werden. Die gesamte Politik der türkischen Regierung ist darauf ausgerichtet, die Kurden zu vernichten. Mit der sogenannten ‚Operation Kralle‘ wird südkurdisches Territorium besetzt.

Seit 2003 hat der türkische Staat 36 Militärbasen in Südkurdistan errichtet. Die Situation in Rojava ist ähnlich. An der Grenzlinie sind schwere Waffen in Position gebracht worden. In den letzten drei Jahren sind einige Dinge noch klarer geworden. Nicht einmal einen Stein sollen die Kurden nach Ansicht der türkischen Regierung besitzen dürfen. Aus diesem Grund werden sie von allen Seiten aus angegriffen. Efrîn ist besetzt worden. Die Haltung des türkischen Staates zum Unabhängigkeitsreferendum in Südkurdistan vor zwei Jahren ist bekannt. Südkurdistan wurde bedroht und die Grenze wurde geschlossen. Bei der Besatzung von Efrîn und Südkurdistan handelt es sich um dieselbe Politik wie bei der Zwangsverwaltung kurdischer Großstädte. Es geht dabei um die Fortsetzung des Spezialkriegs gegen die Kurden. Über diese Themen ist bei unserem Besuch im Süden gesprochen worden, wir haben unsere Meinung dazu mitgeteilt. Mesut Barzanî, Neçîrvan Barzanî, Mansûr Barzanî und Barham Salih haben uns herzlich empfangen und fanden unseren Besuch sehr wichtig.“

Faschismus oder Demokratie

Die Regierung Südkurdistans beobachte die Entwicklungen im Norden sehr genau, erklärte Öztürk: „Die Repression gegen kurdische Politikerinnen und Politiker in der Türkei hält weiter an. Es sind ungefähr 10.000 HDP-Mitglieder verhaftet worden. Auch der DTK steht unter Druck. Vor zwei Tagen ist ein Vorstandsmitglied festgenommen worden. Es wird alles getan, damit sich die kurdische Gesellschaft nicht organisieren kann. Diese Angriffe werden in Südkurdistan gesehen. Bei unserem Besuch haben wir darüber gesprochen. Die HDP beharrt trotzdem auf einem freien Zusammenleben.

Gegen die faschistische Front müssen wir die demokratische Front stärken. Das gilt nicht nur für die Türkei, sondern für den gesamten Mittleren Osten. Wenn die kurdische Frage gelöst wird, kann die Türkei den Mittleren Osten anführen. Wird sie nicht gelöst, führt die AKP die Türkei in ein finsteres Zeitalter. Alle müssen sich jetzt entscheiden, ob sie den Weg zum Faschismus oder zur Demokratie einschlagen wollen. Die Opposition in der Türkei wird von allen Seiten angegriffen, alle oppositionellen Stimmen sollen zum Schweigen gebracht werden.“

AKP und MHP wollen sich über Krieg an der Macht halten

Die Regierungskoalition der AKP und MHP setze auf Krieg, um sich an der Macht zu halten, betonte Öztürk: „Ohne Krieg, Chaos und Krise in der Türkei würde es keine AKP und MHP mehr geben. Aus diesem Grund stellen die HDP und die kurdischen Organisationen eine große Hoffnung dar. Vorrangige Aufgabe ist es, die Demokratie-Front in der Türkei zu stärken und eine nationale Einheit der vier Teile Kurdistans herzustellen. Die kurdischen Errungenschaften werden massiv angegriffen, daher ist die Einberufung eines kurdischen Nationalkongresses lebensnotwendig. Solange wir gespalten sind, werden wir von allen Seiten angegriffen. Die Kurden sind stark und können diesen Angriffen standhalten. Das haben wir beim Angriff des IS gesehen. Die Kurden müssen nur eine Einheit bilden.“

Die kurdische Identität wird angegriffen

Das sei auch die vorrangige Aufgabe des DTK, erklärte Öztürk: „Die Voraussetzungen dafür sind heute besser als früher. Die Kurden werden überall angefeindet. Eine Einheit der Kurden ist keine Institution, es geht dabei um die Bevölkerung Kurdistans und sie muss unverzüglich hergestellt werden. Die kurdische Identität wird angegriffen. Jede Partei und Organisation muss ihre Eigeninteressen zurückstellen und auf diesen Angriff reagieren. Auch die südkurdische Regierung spricht davon, dass eine Lösung der kurdischen Frage nur über eine nationale Einheit durchsetzbar ist. Insbesondere für den Süden und den Norden gilt, dass das Problem noch hundert Jahre andauert, wenn heute keine Einheit und ein Status erreicht werden. Wir würden damit weitere hundert Jahre verlieren. Unsere Gedanken und die der Regierung Südkurdistans zu einem Nationalkongress sind dieselben. Alle Seiten wollen nichts anderes als eine Einheit.“

Die Regierung der Türkei zerstört die Zukunft

„AKP und MHP verfinstern die Zukunft der Türkei. Seit jeher benutzt der türkische Staat die kurdische Frage, wenn er in Schwierigkeiten steckt“, sagte Öztürk und beendete seinen Beitrag mit den Worten: „AKP und MHP wollen zurzeit das faschistische Regime stärken. Sie haben ihre Legitimität verloren und versuchen sich durch ihren Krieg gegen die Kurden auf den Beinen zu halten. Im Moment greifen sie mit aller Kraft die HDP an. Die HDP ist eine Volkspartei, daher steht ihre Tür allen offen. Wir haben vollstes Verständnis für die Mütter und geben ihnen Recht. Ein schmerzerfüllter Mensch kann alles Mögliche tun. Wichtig ist jedoch, dass die Mütter und die anderen Angehörigen nicht auf die Machenschaften der AKP hereinfallen.

Alle sollten darüber nachdenken, warum junge Menschen in die Berge gehen. Der Grund dafür ist die Kriegspolitik der AKP und MHP. Das Problem kann nur über Frieden gelöst werden. Die AKP/MHP-Regierung befindet sich in ständiger Angriffsposition, damit diese Frage nicht gelöst wird und sie sich an der Macht halten kann. Es ist nicht das Problem der HDP, sondern geht alle Parteien und Politiker etwas an. Es muss im Parlament gelöst werden. Die HDP ist jederzeit bereit dazu.“