Mit Kronzeugen gegen gewählte Bürgermeisterin

In Amed hat der Prozess gegen die kurdische Bezirksbürgermeisterin Rojda Nazlıer begonnen. Die Anklage beruht auf Aussagen von Kronzeugen. Die Öffentlichkeit und die Verteidigung wurden von der Verhandlung ausgeschlossen.

In Amed (Diyarbakir) hat der Prozess gegen die kurdische Politikerin Rojda Nazlıer (HDP) begonnen. Die im März 2019 gewählte Ko-Bürgermeisterin des Stadtbezirks Karaz (Kocaköy) ist im Oktober wegen Terrorvorwürfen verhaftet worden. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe.

Die Verhandlung wurde von Angehörigen und Freund*innen der Angeklagten sowie von den HDP-Abgeordneten Remziye Tosun, Musa Farisoğulları und Meral Danış Beştaş beobachtet. Rojda Nazlıer selbst konnte nur über eine Videoschaltung aus dem Gefängnis in Kayseri teilnehmen.

Die Anklage gegen die Politikerin beruht auf den Aussagen von Kronzeugen. Im vergangenen Jahr sind 25 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der HDP verhaftet worden. In 38 Rathäusern in Nordkurdistan sind vom türkischen Innenministerium Zwangsverwalter eingesetzt worden. Die HDP hatte die Kommunalwahlen in 65 Städten und Kommunen gewonnen.

Rojda Nazlıer wies bei der Gerichtsverhandlung die Anschuldigungen gegen sie zurück und forderte Freispruch. Wie sie zu ihrer Verteidigung ausführte, sind die beiden Kronzeugen vor zwei Jahren verhaftet worden und profitieren vom türkischen Reuegesetz, das eine Strafminderung für Kronzeugen vorsieht. „Dass die beiden Zeugen sieben Monate nach meiner Wahl gegen mich ausgesagt haben, war Teil des Plans zur Ernennung eines Zwangsverwalters. Bei diesem Verfahren handelt es sich um einen politischen Prozess“, sagte die abgesetzte Bürgermeisterin.

Wie auch im Prozess gegen den inhaftierten Oberbürgermeister von Amed, Selçuk Mızraklı, deutlich wird, benutzt der türkische Staat nach Bedarf Kronzeugen für die Anklageerhebung gegen kurdische Politikerinnen und Politiker. Bei der heutigen Verhandlung gegen Rojda Nazlıer wurde der Überläufer Ercan Tuci als Zeuge angehört. Er befindet sich im Hochsicherheitsgefängnis Elazığ und erklärte über Videoschaltung, zwei Mal im Elternhaus der Angeklagten gewesen zu sein. An die genauen Umstände konnte sich der Kronzeuge nicht erinnern und verwies der Einfachheit halber auf seine bei der Polizei gemachte Aussage. Als Rojda Nazlıers Verteidiger Bawer Mızrak den Zeugen zu den Umständen seiner polizeiliche Aussage befragte, schritt der Richter ein und klärte Tuci darüber auf, dass er diese Frage nicht beantworten müsse.

Im Zuschauersaal brach daraufhin Unruhe aus. Der Richter schloss die Öffentlichkeit von der Versammlung aus und forderte die Polizei auf, den Saal zu räumen. Die HDP-Abgeordneten und die Verteidiger wehrten sich verbal gegen die Anordnung, woraufhin auch die Verteidigung ausgeschlossen wurde.