Gerechtigkeit für William Tonou-Mbobda gefordert

In Hamburg ist gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens zum Tod von William Tonou-Mbobda protestiert worden. Der 34-Jährige ist 2019 im Universitätsklinikum Eppendorf nach Fixierung durch den Sicherheitsdienst gestorben.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zum Tod von William Tonou-Mbobda auf dem Gelände des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg ohne Anklageerhebung eingestellt. William Tonou Mbobda starb, nachdem er am 21. April 2019 im UKE vom Sicherheitsdienst fixiert worden war. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge gegen drei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes und die behandelnde Ärztin.

William Tonou Mbobda wurde nur 34 Jahre alt. In Kamerun geboren, kam er vor etwa zehn Jahren nach Hamburg und begann ein Ingenieursstudium. Zuletzt studierte er im Master BWL. Er soll psychisch erkrankt und mehrfach in Behandlung gewesen sein, auch am UKE. Am besagten Tag im April hatte er sich freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben und suchte Hilfe.

Black Community: Ein Schlag ins Gesicht

Dass die Ermittlungen ohne Anklage eingestellt wurden, sei ein Schlag ins Gesicht der trauernden Familie und der Black Community in Hamburg und weltweit, sagte Sister Oloruntoyin von „Black Community Coalition for Justice & Self-Defense“ am Mittwoch auf einer Protestkundgebung auf dem Hamburger Rathausmarkt. Dieser Schritt zeige ein weiteres Mal, „wie berechtigt und notwendig Massenproteste und selbstorganisierte zivilgesellschaftliche Aufklärung sind und bleiben, weil Schwarze Leben auch hier in Deutschland weder zählen noch einer angemessenen Strafverfolgung würdig erscheinen!“   

In verschiedenen Wortbeiträgen wurde auf der Kundgebung der individuelle und strukturelle, institutionelle Rassismus in der deutschen Gesellschaft angesprochen. Zur Systematik von Rassismus gehöre die Straffreiheit des Tötens immanent dazu.

Es wurde auf die verschiedenen offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Tod von William Tonou-Mbobda eingegangen und auch auf die Rolle des Rechtsmediziners Prof. Klaus Püschel, der die Obduktion des Leichnams von William Tonou-Mbobda durchführte und selbst als Leiter der Rechtsmedizin am UKE in Hamburg tätig ist. Püschel ist seit Jahren für seine besorgniserregenden ethischen Positionen bekannt. Er setzte sich für den Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung bei mutmaßlichen Drogendelikten ein, 2001 kam Achidi John in Hamburg dabei ums Leben. Auch wollte Püschel das Alter von minderjährigen, unbegleiteten Geflüchteten mittels Genitaluntersuchungen feststellen.

Offener Brief

Die Black Community Coalition for Justice & Self-Defense ruft zu weiteren Protesten gegen die Einstellung des Verfahrens auf und richtet sich mit einen offenen Brief an die Hamburger Zivilgesellschaft:

„Wie wir heute Abend erfahren mussten, hat die Staatsanwaltschaft Hamburg das lange verschleppte Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Fall unseres Bruders Tonou-Mbobda ohne Erhebung einer Anklage einfach eingestellt.

Es ist nun bald ein Jahr und vier Monate her, dass Bruder Tonou Mbobda im UKE getötet wurde – einem Ort, an dem er während einer psychischen Erkrankung Zuflucht und Heilung suchte. Zum Zeitpunkt des Angriffs saß er ruhig auf einer Bank, zum Zeitpunkt des Angriffs war er weder bewaffnet noch gewalttätig. Wir glauben, dass Bruder Tonou Mbobda, wenn er weiß gewesen wäre, anders behandelt worden und heute noch am Leben sein könnte.

Wie konnte Bruder Tonou-Mbobda im UKE sterben? Wir müssen die Wahrheit erfahren. Es ist nun bald ein Jahr und 4 Monate her und die Fragen der Familie, warum der Sohn, Bruder und Cousin William Tonou-Mbobda getötet wurde, sind immer noch unbeantwortet. Das ist ein anhaltendes Trauma. Gleichzeitig aber ist es wiederkehrende Realität tagtäglicher Erfahrung von rassistischer Brutalität und Verachtung für das Leben Schwarzer Menschen in Deutschland, dass diese immer wieder offensichtlich straffrei getötet werden dürfen. Die unfassbare Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Angesicht der aktuellen weltweiten Massenproteste der #BlackLivesMatter-Bewegung auch hier in Deutschland und auch hier in Hamburg ist ein Schlag ins Gesicht der trauernden Familie, unserer Black Community hier in Hamburg und weltweit. Sie zeigt einmal mehr eindrücklich, wie berechtigt und notwendig diese Massenproteste sind und bleiben, weil Schwarze Leben auch hier in Deutschland weder zählen, noch einer angemessenen Strafverfolgung würdig erscheinen!

Institutioneller Rassismus und strukturelle Gewalt sind in allen öffentlichen Institutionen so tief verwurzelt, dass selbst in einem führenden Universitätskrankenhaus wie dem UKE ein Schwarzer Patient einfach so und ohne strafrechtliche Konsequenzen getötet werden darf. Wenn die Männer des Sicherheitsdienstes und das Pflegepersonal die damalige Situation im Einklang mit geltenden Richtlinien (insbesondere der S3-Richtlinie der DGPPN zur Vermeidung von Zwang) und unter vorgeschriebener ärztlicher Aufsicht behandelt hätten, wäre Bruder Tonou-Mbobda heute vielleicht noch am Leben.

Die Vertuschungen und Ausreden, die Verschleppung und anhaltende Straffreiheit im Fall Tonou-Mbobda erinnern uns an die vielen Fälle von Oury Jalloh bis Mareame N´deye Sarr in Deutschland, Adama Traoré und Wissam El Yamni in Frankreich, Rocky Bennett und Stephen Lawrence im Großbritannien und viele andere mehr. All diese schrecklichen Vorfälle sind Belege für strukturellen Rassismus und seine systematische Leugnung. 

Unsere Geduld ist am Ende. Genug ist Genug!

Wir fordern Gerechtigkeit, Verantwortung und Rechenschaftspflicht in allen Belangen. Inoffizielle Entschuldigungen und geheuchelte Anteilnahme haben schon vor der unsägliche Einstellung des Ermittlungsverfahrens nicht ausgereicht. Die Institutionen müssen Verantwortung übernehmen und mit jener Last, die wir Schwarzen so lange er- und mittragen müssen, endlich angemessen umgehen. Stattdessen werden sie sich nun bestätigt fühlen in ihrer menschenverachtenden Einschätzung, „alles richtig gemacht“ zu haben, wenn sie einen Schwarzen Menschen getötet haben. Wir sind es leid, aus Menschenverachtung sterben zu müssen. Wir sind es leid, dass Strafverfolgung systematisch unterbunden wird. Wir sind es leid, dass genau dadurch nichts geändert wird. Wir sind es leid, dass Weiße Angestellte und Polizisten ungestraft töten dürfen.

Bruder Tonou-Mbobdas Tod darf nicht straffrei bleiben! Sein Leben darf nicht wegen des Machtmissbrauchs einiger Verantwortlicher entwertet werden.

Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen und wir sind nicht allein. Die ganze Welt wird von diesem Fall erfahren und sehen, wie ignorant damit umgegangen wird. Wir sind solidarisch mit der Familie, die diese Folter des Wartens nun noch länger ertragen muss und wir verurteilen die Staatsanwaltschaft Hamburg für die unverantwortliche Einstellung der Strafverfolgung ohne gerichtliche Beweiserhebung.

Wir fordern Gerechtigkeit!

Es ist an der Zeit, das ungestrafte Töten von Schwarzen Menschen endlich zu beenden. Es ist an der Zeit, Bruder Tonou Mbobda Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ohne die Anerkennung und Einordnung der ganzen Wahrheit kann es keine Gerechtigkeit geben!

Wir fordern die Hamburger Bürgerschaft und Zivilgesellschaft zum Handeln auf:

– Fordern Sie gemeinsam mit uns eine Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft im Fall Tonou-Mbobda ein!

– Sorgen Sie mit uns gemeinsam für die Einrichtung eines unabhängigen, von der Zivilgesellschaft getragenen Ausschusses zur Untersuchung aller Handlungen und Unterlassungen, die zum gewaltsamen Tod von Bruder Tonou-Mbobda geführt haben.

– Sorgen Sie mit uns gemeinsam für ein Verbot von potentiell tödlich endenden Zwangsfixierungen in Bauchlage in der Psychiatrie sowie in der Polizeipraxis und bei Sicherheitsdiensten.

– Sorgen Sie mit uns gemeinsam für mehr und angemessenere Schulungen zu Deeskalation und gewaltfreien Interventionen für Polizeibeamte und städtisches Sicherheitspersonal mit der gesetzlichen Berechtigung zur Anwendung von sogenanntem einfachem(!) Zwang.

Wir rufen Sie dazu auf, die wichtige Arbeit zu leisten und unseren Communities zuzuhören! Wir rufen Sie auf, dafür Sorge zu tragen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, damit der Schutz und die Sicherheit der Menschen im Mittelpunkt stehen und rassistisches Profiling und alle Fälle rassistischer Brutalität effektiv unterbunden werden können.

Der Tod von Bruder Tonou Mbobda ist ein Symbol für ein System, das sich endlich ändern muss! Unser tiefes Mitgefühl gilt der Familie Tonou-Mbobda. Wir stehen in ihrem Kampf für Gerechtigkeit an ihrer Seite.“

Weitere Proteste

Am kommenden Freitag, dem 14. August 2020, wird zwischen zehn und zwölf Uhr eine Kundgebung vor der Staatsanwaltschaft Hamburg am Gorch-Fock-Wall 15 stattfinden. Für Samstag ist eine weitere Kundgebung vor der Laeiszhalle am Johannes-Brahms-Platz von 15 bis 18 Uhr geplant.