Ein Camp gegen den G7-Gipfel

Die Initiative Demokratischer Konföderalismus beteiligte sich am inhaltlichen Programm des Protest-Camps gegen den G7-Gipfel und teilt ihre Eindrücke, Diskussionen und Perspektiven.

Seit Monaten wurde gegen den diesjährigen G7-Gipfel in Elmau mobilisiert. Im Juli zogen Aktivist:innen aus Afghanistan, Mexiko, Iran, Namibia, Algerien/Westsahara, Honduras und Guatemala als Karawane „Für das Leben statt G7" durch 20 Städte in Deutschland, um gegen den Gipfel zu mobilisieren und mehr Gehör und Sichtbarkeit für ihre Kämpfe zu schaffen. Am 25. Juni versammelten sich an die 5000 Menschen zu einer Großdemonstration in München, um ihren Protest gegen den G7-Gipfel zum Ausdruck zu bringen. Das Camp in Garmisch-Partenkirchen war ein weiterer wichtiger Ausdruck des Protests und gleichzeitig ein Ort des Austauschs internationalistischer Perspektiven.

Ein internationalistischer Abend

Das ab Donnerstag vergangener Woche aufgebaute Camp wurde am Freitag mit dem Film „Wir sind der Wind“ eröffnet. Dieser thematisierte die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen eines Windpark-Projekts im Bundesstaat Oaxaca in Mexiko.

Der Tag der Großdemonstration in München wurde mit einem internationalistischen Abend auf dem G7-Camp abgeschlossen. Es gab viele kulturelle Beiträge, mit denen die Bandbreite der Protestbewegung gegen den G7-Gipfel deutlich wurde. Es wurden gemeinsam antifaschistische und revolutionäre Lieder aus unterschiedlichen Kämpfen gesungen und mit Gedichten an gefallene Genoss:innen erinnert.

Demonstration in Garmisch-Partenkirchen

Der Sonntag war geprägt von einer Demonstration, zu welcher die Aktionsplattform Stop G7 Elmau aufgerufen hatte. Die Auftaktkundgebung startete mit Redebeiträgen von Davis Reuben Sekamwa, Joshua Omonuk und Hamira Kobusingye von RiseUp und Fridays for Future MAPA (Uganda). An der Spitze der Demonstration liefen Aktivist:innen aus Mexiko, Namibia, Honduras und dem kurdischen sowie saharischen Widerstand, die bereits in der Karawane durch Deutschland gereist waren. Mehrmals wurde die Parole „G7 – internationale Völkermordzentrale" gerufen, mit der „auf die kolonialen und rassistischen Kontinuitäten des Westens und der neoliberalen Agenda der G7-Staaten aufmerksam gemacht wird", so die Aktivistin Sara.

Auf der Demonstration deutlich sichtbar: die Solidarität mit der Revolution in Kurdistan. Mehrmals wurde „Solidarität mit Rojava, weg mit dem Verbot der PKK" gerufen. „Damit wollen wir auf die Notwendigkeit des Aufbaus und der Verteidigung einer selbstverwalteten Gesellschaft in Zeiten multipler Krisen hinweisen, die Ausdruck der globalen Zerstörung von Natur und Gesellschaft durch die G7-Staaten als Teil der kapitalistischen Moderne sind", so der Aktivist Azad. Auch die Ablehnung gegenüber der aktuellen Aufrüstung und Militarisierung wurde durch die Demonstration zum Ausdruck gebracht.

Die Abschlusskundgebung wurde mit einem Konzert des Punk-Kabaretts „Heiter bis wolkig" eingeleitet, gefolgt von Redebeiträgen von René Martinez für die Garifuna-Afroindigene-Bewegung aus Honduras und Ina-Maria Shikongo für die Klimagerechtigkeitsbewegung in Namibia über die neokolonialen Aktivitäten der auf dem G7-Gipfel anwesenden Staaten. Elir Negri Lavin von der Initiative „Jovenes ante la emergencia nacional" berichtete über den Militarismus, die Enteignung und die gewaltsamen Angriffe auf den Widerstand als notwendige und funktionale Elemente des Freihandels in Mexiko. Abschließend zeigte Hzrwan Abdal für die Kampagne „Defend Kurdistan" die Beteiligung der G7-Staaten am Angriffskrieg des türkischen Staates in Kurdistan auf und machte auf die Doppelmoral dieser Staaten aufmerksam.

Während der gesamten Demonstration wurden Unterschriften gesammelt für die Kampagne Justice for Kurds, die sich für die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste und gegen die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung einsetzt.

Militarisierung, Megaprojekte und gesellschaftlicher Widerstand

Am Sonntagabend wurden die inhaltlichen Diskussionen auf dem Camp weiter vertieft. In einem Vortrag von Elir Negri Lavin und René Martinez wurde auf die Verstrickung von Staat, Freihandelsabkommen und internationalen Konzernen eingegangen. Elir berichtete, wie sich die Gesetzgebung Mexikos in den letzten Jahrzehnten veränderte, um internationalen Konzernen die Investitionsmöglichkeiten und die Ausbeutung der natürlichen Bodenschätze zu erleichtern. Es ging um die Investitionen von deutschen Automobilunternehmen und Waffenfirmen wie Rheinmetall und Heckler & Koch. Thema war, wie die Umsetzung von internationalen Megaprojekten und Investitionen gegen den Willen der Bevölkerung mit militärischen Mitteln von den Regierungen durchgesetzt wurden. René unterstrich die Bedeutung, aber auch die Schwierigkeiten des Kampfes der ländlichen Bevölkerung gegen die Enteignung und Vertreibung von ihrem Land. Mit ihrem Widerstand verteidigt die Gesellschaft auch ihre kommunalen Dorfstrukturen und kämpft für demokratische Autonomie.

In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, wie die Kämpfe in Mexiko und Honduras auch in den Zentren der kapitalistischen Moderne unterstützt werden können. Die zwei Aktivisten unterstrichen eindrucksvoll, wie wichtig es sei, dass sich auch die Menschen in Ländern wie Deutschland organisieren und eine konkrete gesellschaftliche Alternative entwickeln. Beendet wurde die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für all diejenigen, die ihr Leben im Kampf gegeben haben.

Auf der Suche nach Antworten auf die Krise der kapitalistischen Moderne

Auch die Initiative Demokratischer Konföderalismus beteiligte sich mit Beiträgen über die Suche nach einer Alternative zum System der kapitalistischen Moderne an der Diskussion am Sonntag . Gehalten wurden zwei Vorträge zum Thema Frauenbefreiungsideologie der kurdischen Bewegung und den Ideen des Demokratischen Konföderalismus, insbesondere der Säule der radikalen Demokratie. Im Vortrag zur radikalen Demokratie wurde auf die grundlegenden Ideen und Konzepte der kurdischen Freiheitsbewegung wie dem Verständnis von Staat, Gesellschaft, Politik und Moral eingegangen. Konkret wurde auch über die Praxis des Aufbaus gesellschaftlicher Selbstverwaltungsstrukturen in den befreiten Gebieten Nord-und Ostsyriens gesprochen. Von dort wurde der Bogen zu aktuellen Herausforderungen linker Kräfte in der BRD geschlagen, wie ihre schwache gesellschaftliche Verankerung und Schwierigkeiten im Aufbau von Strukturen gesellschaftlicher Selbstverwaltung wie Kooperativen und Kommunen. Die anschließende Diskussion zeigte das große Interesse an den Konzepten der kurdischen Bewegung und es wurde die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Aufbaus betont.

Im Vortrag zur Geschlechterbefreiung wurde über die Bedeutung von Ethik und Ästhetik im kurdischen Befreiungskampf gesprochen. Die Geschichte der PKK und die Entwicklung einer eigenen Frauenbefreiungsideologie sowie ihre grundlegenden Prinzipien wurden vorgestellt. In diesem Zusammenhang wurde über revolutionäre Frauen aus der kurdischen Bewegung gesprochen und unter anderem die Geschichte der 1996 gefallenen Guerillakämpferin Zeynep Kınacı (Zîlan) weitergegeben. Auch die Geschichte der Entstehung des Patriarchats wurde diskutiert und dessen Auswirkungen auf die Entwicklung von Staat, Macht, Kapitalismus und Krieg.

G7 und die Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung

Das inhaltliche Programm auf dem Protest-Camp begann am Montagvormittag mit einem Vortrag zum PKK-Verbot und der Kampagne „Justice for Kurds". Einführend wurde die Wichtigkeit betont, hier auf dem Camp gegen G7 über das Thema zu sprechen und sich an dem Sammeln von vier Millionen Unterschriften für die Streichung der PKK von der EU-Liste sogenannter terroristischer Organisationen zu beteiligen. Denn die Staaten der G7 spielten und spielen eine entscheidende Rolle in der Kriminalisierung und Bekämpfung der kurdischen Freiheitsbewegung sowohl in Kurdistan selbst als auch in Ländern wie Deutschland. Von Beginn an war der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und die kurdische Freiheitsbewegung ein Krieg der NATO und nicht nur des türkischen Staates. Durch ihre langjährigen Verbindungen zum türkischen Staat kommt dabei der BRD eine besondere Bedeutung zu. Nach dem Vortrag wurde unter anderem darüber gesprochen, wie der Kampf gegen das PKK-Verbot mit anderen Kämpfen - wie der Klimagerechtigkeitsbewegung - zusammengebracht werden kann.

Demokratische Kräfte verbinden: Abendprogramm zum Abschluss

Um die Verbundenheit der unterschiedlichen Bewegungen, Themen und Kämpfe zu unterstreichen, wurde der letzte Abend durch Beiträge unterschiedlicher Organisationen gemeinsam gestaltet. Moctar, ein Aktivist von Alarmphone Westsahara, lud die Teilnehmenden zu Beginn der Veranstaltung ein, in einer Schweigeminute all jenen zu gedenken, die vom brutalen Grenzregime Europas ermordet wurden. Er sprach über die Externalisierung der Grenzen und wie diese Politik Länder wie die Westsahara zu Torwächtern macht, um Menschen an ihrem Weg nach Europa zu hindern. Moctar betonte, dass alle, die sich nicht klar gegen dieses Grenzregime aussprechen, zu Mitschuldigen dieser Politik würden. Den Verantwortlichen für diese Grausamkeiten müsse deutlich gezeigt werden, „was wir von ihrer Scheinheiligkeit halten“: „Vom Frieden zu sprechen und gleichzeitig Milliarden in Waffen zu investieren, ist der Inbegriff dieser Scheinheiligkeit.“

Anschließend wurde in einem Film auf die Auswirkungen des Kohleabbaus eingegangen. Eindrückliche Bilder und Interviews zeigten die Auswirkungen des Steinkohleabbaus in El Cerrejón durch das Unternehmen Glencore auf die Gemeinden und die Natur. Die Filmemacherin Katherina unterstrich, dass diese Zerstörung der Natur, der Territorien des kommunalen Lebens der indigenen und afroamerikanischen Gemeinschaften, als Ökozid und Ethnozid systematisch durchgesetzt wird. Die aus dieser Zerstörung gewonnene Kohle wird überwiegend nach Deutschland, in die Türkei, die USA und nach Asien exportiert. Das zeigt die enge Verknüpfung und Verantwortung, die auch die BRD für diese Zerstörung trägt. In Bezug auf dieses globale System und den G7-Gipfel betonte Katherina: „Es ist wichtig, dass wir uns hier während des G7 treffen, um über eine Alternative zu dem Todesmodel der G7 zu diskutieren. Denn wir sprechen über eine Ideologie, die uns überall auf dieser Welt gefangen hält.“

Viktor, ein Aktivist der Recherche-Gruppe zum Tren Maya, verwies auf die Verbindungen zwischen den Konzernen, die von der globalen Ausbeutung und Unterdrückung profitieren. Gleichzeitig wurde die große Nähe und Verbundenheit zwischen den unterschiedlichen Widerstandskämpfen deutlich. Im Besonderen wurde auf die Rolle der Deutschen Bahn sowie auf Rheinmetall und Heckler&Koch in den unterschiedlichen Ländern von Mexiko bis Kurdistan eingegangen. Dabei wurde dazu aufgerufen, sich gemeinsam gegen die Produktion und den Export von Waffen einzusetzen und sich an dem Protestcamp der Kampagne Rheinmetall-Entwaffnen in Kassel vom 29. August bis 4. September zu beteiligen.

Alle zusammen werden wir gewinnen. Der Kampf geht weiter“

Mit dem Slogan „Alle zusammen werden wir gewinnen. Der Kampf geht weiter“ unterstrich Mockta aus Nigeria erneut die Verbundenheit der Menschen im Widerstand. Denn alle Gesellschaften werden durch das gleiche System unterdrückt und ausgebeutet, es muss unterschieden werden zwischen den Gesellschaften und dem Staat.

Auch die Initiative Demokratischer Konföderalismus unterstrich die Globalität des gewaltvollen Systems der kapitalistischen Moderne. Sie betonte, dass der Widerstand gemeinsam geführt und lokal nach der jeweiligen gesellschaftlichen Realität organisiert werden muss, um die Gesellschaften und die Natur gegen die kapitalistische Moderne zu verteidigen. In Bezug auf die aktuelle ökologische und gesellschaftliche Krise, verursacht durch diese Moderne, erklärte die IDK, dass es einen grundlegenden Mentalitätswandel braucht, um die Krise zu überwinden: „Lösungen sind nicht grüne Technologien, sondern eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur, in dem sich der Mensch nicht außerhalb der Natur und diese als auszubeutendes Objekt versteht.“ Auch wurde auf die aktuelle Situation in Kurdistan eingegangen, von welcher die Parallelen zur Ausbeutung der Natur, dem Grenzregime, der Militarisierung der Gesellschaft in der Türkei und Nordkurdistans bis nach Mexiko gezogen wurde.

Die Veranstaltung wurde mit einer Solidaritätsbotschaft mit dem kurdischen Befreiungskampf beendet, für welche die Teilnehmenden vor einem Transparent mit der Forderung „No War On Kurdistan“ zusammenkamen.

Austausch und Diskussion mit Aktivist:innen und Anwohner:innen

Neben dem intensiven Austausch über die Gemeinsamkeiten der Angriffe und Widerstände mit den internationalistischen Aktivist:innen im Camp war auch der Austausch mit den Bewohner:innen von Garmisch-Partenkirchen eine wichtige Erfahrung. Sie berichteten über die massive, einschüchternde Präsenz der Polizei in den letzten Monaten in Vorbereitung auf den Gipfel. Einige der Anwohner:innen suchten aktiv das Gespräch auf dem Camp, an den Info-Tischen und am internationalistischen Pavillon, an welchem Materialien über die kurdische Freiheitsbewegung auslagen. Die Gespräche drehten sich nicht nur um dem G7-Gipfel, sondern die Menschen erzählten auch über das Leben in den Dörfern der Region und wie sich dieses in den letzten Jahrzehnten veränderte.

Krisen und Möglichkeiten – Die Schwächen in Stärke verwandeln

Die Proteste rund um den G7-Gipfel haben nicht nur die globalen Kämpfe für ein würdevolles, kommunales Leben im Einklang mit der Natur zum Vorschein gebracht, sondern auch die aktuelle Krise, in welcher sich die linken Bewegungen befinden. Die Mobilisierung in Deutschland fiel viel zu schwach aus, was nicht zuletzt an der Unklarheit der Linken im Umgang mit dem Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Frage einer klaren anti-militaristischen Haltung gegen NATO und G7 liegt. Zudem entwickeln Mobilisierungen derzeit nicht eine größere Stärke, da sie nicht mit einer klaren, zu erkämpfenden Perspektive verbunden werden können. Das scheinbare Fehlen einer greifbaren Alternative wurde auch in den Diskussionen auf dem Protestcamp deutlich. Im Fokus standen die Angriffe der kapitalistischen Moderne auf Mensch und Natur sowie die Abwehrkämpfe gegen diese und weniger die Hoffnungen und Wünsche, Erfolge und Gemeinsamkeiten im Aufbau einer Alternative.

Gleichzeitig ist in den letzten Tagen und Wochen wieder einmal deutlich geworden, dass viele Menschen und Bewegungen sich auf der Suche nach genau einer solchen Alternative außerhalb des Systems befinden. Die kurdische Freiheitsbewegung sieht diese im Aufbau der demokratischen Moderne, mit dem Demokratischen Konföderalismus als System gesellschaftlicher Selbstverwaltung, wie sie bereits in Kurdistan, aber auch an vielen anderen Orten der Welt, aufgebaut wird.