„Die politische Maxime der Bundesregierung heißt: Zerschlagung der PKK“

In einem Interview mit Radio Dreyeckland hat sich Monika Morres vom Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ über das Repressionsinstrument §§129a/b und seine Anwendung gegen kurdische Aktivist:innen geäußert.

Derzeit sind in Deutschland acht kurdische Aktivisten wegen 129a/b-Verfahren inhaftiert. Beiden Terrorparagrafen kommt eine besondere Rolle im staatlichen Verfolgungswahn zu und dienen seit Jahren der Kriminalisierung linker und antifaschistischer Strukturen, darunter auch der kurdischen Freiheitsbewegung. Schon seit Ende der 1980er Jahre, aber im Besonderen seit dem PKK-Verbot 1993 wurden kurdische Aktivist:innen als Mitglieder „krimineller“ oder „terroristischer Vereinigungen“ verfolgt. Im Oktober 2010 entschied der Bundesgerichtshof dann, auch die PKK (nach LTTE und DHKP-C) nach §§ 129a/b strafrechtlich zu verfolgen

In einer Sondersendung bei Radio Dreyeckland in der Reihe „Ausbruch | Die Anti-Repressionswelle” hat sich Monika Morres vom Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. über die Anwendung von §§129a/b gegen Betroffene mit kurdischem Hintergrund geäußert. Laut Morres würden die hiesigen Gerichte die Verfolgungssituation von Kurd:innen in der Türkei zwar nicht mehr ignorieren, sondern ernst nehmen. Dennoch bleibe es dabei, dass sie verurteilt würden. Das mache es eigentlich noch schlimmer und zeige die politische Motivation dahinter auf. Denn: „Die Strafverfolgung wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft setzt immer eine Verfolgungsermächtigung des Bundesjustizministers voraus. Diese muss weder inhaltlich begründet noch kann sie rechtlich angegriffen werden. Theoretisch allerdings könnte das Ministerium diese Ermächtigung jederzeit zurücknehmen. Tut es aber nicht, weil die politische Maxime der Bundesregierung (und aller Regierungen zuvor) heißt: Zerschlagung der PKK – ganz im Sinne der gemeinsamen ökonomischen, politischen und geostrategischen deutsch-türkischen Interessen. Und die Staatsschutzsenate der OLGe sind nicht unabhängig und folgen dieser Linie.”

Stuttgarter PKK-Prozess endet trotz widerlegten Zeugenaussagen mit Urteilssprüchen

Erst letzte Woche sind vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart-Stammheim nach zwei Jahren Verfahrensdauer fünf kurdischen Aktivist:innen nach §§129a/b verurteilt worden. Das Besondere an diesem Verfahren sei laut Morres, dass den Angeklagten nicht nur Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer „terroristischen” Vereinigung im Ausland vorgeworfen wurde, sondern auch individuelle Straftaten. Diese beruhten aber zum Großteil auf den unglaubwürdigen Aussagen eines Kronzeugen, die von der Verteidigung klar widerlegt werden konnten. Selbst das Gericht und die Bundesanwälte haben den Aussagen wenig Glauben geschenkt. Dennoch gelang es dem Senat, von den Angaben des Kronzeugen soviel wie möglich zu verwenden, um alle Angeklagten zu verurteilen.

Folgen von 129a/b für Betroffene gravierend

Was die Haft auf Grundlage der Paragrafen 129a/b konkret für die betroffenen Personen bedeutet, beantwortet Monika Morres mit folgenden Worten: „Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. Sie unterliegen dem Haftregime nach 129b, also Isolationshaftbedingungen, verschärfter Überwachung und  Zensur der schriftlichen Kommunikation. Sie werden – wie in Stuttgart – in Hand- mitunter auch Fußfesseln in den Gerichtssaal gebracht. Die meisten Angeklagten sind der deutschen Sprache nicht mächtig, was ihre Haft zusätzlich erschwert. Dazu kommt noch die Corona-Pandemie, die den Haftalltag noch unerträglicher macht.”

Einschneidend seien auch die Versuche der Gerichte, die Angeklagten ihrer persönlichen und politischen Identität zu berauben, sie wahlweise als „Terroristen“ oder „Kriminelle“ zu stigmatisieren und ihre politische Aktivitäten zunichte zu machen, hebt Morres hervor. Sie habe es oft erlebt, dass Richter und Richterinnen während der politischen Erklärungen von Angeklagten gelangweilt blickten und ihr Desinteresse offensiv zur Schau stellten. „Das hat schon mir als Prozessbeobachterin richtige Schmerzen verursacht.”

„Wichtig für 129-Betroffene ist aber auch die Solidarität von außen.” - Monika Morres

Morres führt weiter aus, dass die meisten Verurteilten ihre Haftstrafe bis zum letzten Tag verbüßen müssten. Wer glaube, dass sie dann in Freiheit seien, irrt. „Denn es folgt die sogenannte Führungsaufsicht. Diese kann bis zu fünf Jahre dauern. In dieser Zeit müssen sich Betroffene ein- oder mehrmals wöchentlich polizeilich melden, dürfen einen zugewiesenen Bezirk (oder eine Stadt) nicht verlassen oder keine kurdischen Vereine aufsuchen. Manchen wird der Kontakt zu bestimmten Personen untersagt, sie dürfen weder Reden halten, Artikel veröffentlichen oder an politischen Veranstaltungen teilnehmen. Und: Für alle haben die 129b-Verfahren aufenthaltsrechtliche Folgen. Sie verlieren ihren Asylstatus und werden nur noch geduldet mit all den Problemen und Gefahren, die damit zusammenhängen, zum Beispiel der Drohung, in die Türkei abgeschoben zu werden. Dieses Damoklesschwert schwebt über allen.”

Beispiel Banu Büyükavci

Davon betroffen war jüngst die Nürnberger Ärztin Banu Büyükavci, die – gemeinsam mit weiteren Angeklagten – im Sommer 2020 wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der türkischen kommunistischen TKP/ML vom OLG München nach §129b verurteilt worden war. Die Nürnberger Ausländerbehörde entzog der 49-Jährigen bereits nach der noch nicht rechtskräftigen Verurteilung die Niederlassungserlaubnis und leitete ein Ausweisungsverfahren ein. „Das heißt, die Behörden nehmen es hin, Personen in ein Land auszuweisen, wohlwissend und mit Rückendeckung durch die Politik, dass ihnen dort Inhaftierung und Folter drohen”, stellt Morres fest.

Angeklagte teils viele Jahre bereits in türkischer Haft

Darüber hinaus hätten etliche Angeklagte wegen ihrer politischen Aktivitäten zum Teil bereits viele Jahre in türkischer Haft verbringen müssen. „Danach flohen sie vor politischer Verfolgung, suchten Schutz in Deutschland, wurden als politische Flüchtlinge anerkannt, haben ihre Arbeit hier fortgesetzt und waren/sind erneut der Repression und Haft ausgesetzt.” Wichtig sei aber zu betonen, dass sich die meisten Betroffenen selbst unter diesen für sie beklemmenden Bedingungen nicht brechen ließen, sie nicht abschwören würden – wie von den Strafverfolgern gefordert – und sie in den Verfahren offensiv ihre politische Motivation und Überzeugungen vertreten.

„Wichtig für sie ist aber auch die Solidarität von außen. Wir müssen den Betroffenen vermitteln, dass sie nicht vergessen, nicht alleine, sondern Teil der politischen Kämpfe sind und bleiben”, sagt Morres. Das Interview von Radio Dreyeckland mit Monika Morres wurde eingesprochen und kann auf der Webseite des Senders angehört oder heruntergeladen werden.

Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland

Der Kölner Verein AZADÎ e.V. besteht seit mittlerweile 25 Jahren. Er wurde drei Jahre nach dem Betätigungsverbot der gegründet, „weil die Repression gegen Kurdinnen und Kurden ein ungeheures Ausmaß erreicht hatte und nicht weiter durch einzelne Solidaritätsgruppen und Personen aufgefangen werden konnte”, beschreibt Morres die damaligen Umstände. Seitdem arbeitet AZADÎ e.V. an dem Ziel, dass die Kriminalisierungspolitik beendet wird und die Verbote aufgehoben werden.

„Leider haben sich die Verhältnisse eher verschlimmert und die herrschende Politik den Schulterschluss mit der Türkei weiter vorangetrieben – auf dem Rücken der kurdischen Freiheitsbewegung und ihrer Anhänger:innen. Deshalb bleibt dieser Aspekt weiterhin ein Schwerpunkt unserer Arbeit, gemeinsam mit vielen anderen Organisationen, Vereinen und Aktiven.” Seit 2010 hat AZADÎ 45 Aktivist:innen unterstützt, die nach 129a/b-Verfahren vor Gericht standen/stehen und zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden/werden.

Einmal monatlich tagt der AZADÎ-Vergaberat, in dem über Anträge von Menschen entschieden wird, die wegen politischer Aktivitäten von Strafverfolgung betroffen sind und die vom Rechtshilfefonds unterstützt werden. AZADÎ übernimmt anteilig oder vollständig – je nach Antragszahl und Vereinsetat – Anwält:innenkosten und Gerichtsgebühren in Strafverfahren u.a. wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz (Zeigen verbotener oder angeblich verbotener Symbole kurdischer Organisationen, Rufen von Parolen oder Spendensammeln für die Arbeit in den Vereinen). Aber auch Verfahren wegen angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Beschwerden gegen Hausdurchsuchungen, Verweigerungen von Einbürgerungen oder Asylaberkennungen.

AZADÎ vermittelt bundesweit Strafverteidiger:innen, die viel Erfahrung mit politischen Prozessen haben und über Hintergrundwissen zum türkisch-kurdischen Konflikt verfügen. Auch unterstützt der Verein politische Gefangenen durch monatliches Eigengeld für den Einkauf in den Gefängnissen, vermittelt Zeitungsabos oder übernimmt die Kosten für Bücher. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Öffentlichkeitsarbeit durch Pressemitteilungen, die Herausgabe von Broschüren oder durch den monatlich erscheinenden AZADÎ-Infodienst (online bzw. zum Herunterladen von der Homepage).

In den vergangenen Jahren hat AZADÎ internationale juristische Fachtagungen durchgeführt, Informationsveranstaltungen zur Situation der Kurd:innen in Deutschland organisiert oder steht für Vorträge zum Thema zur Verfügung. Durch Corona sei aber vieles zum Stillstand gekommen. Außerdem beteiligt sich der Rechtshilfefonds zu bestimmten Themen an Bündnissen und arbeitet eng zusammen mit Organisationen wie die Rote Hilfe. Finanziert wird AZADÎ über Mitgliedsbeiträge, Spenden und anderweitige regelmäßige Zuwendungen. Über neue Mitglieder würde sich der Verein besonders freuen; Beitrittserklärungen gibt’s zum Herunterladen auf der Webseite.