Brutale Polizeigewalt in Wan

Die türkische Polizei ist mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten in Wan vorgegangen.

Den ganzen Tag über haben in Wan Proteste gegen die Absetzung der Oberbürgermeisterin Bedia Özgökçe Ertan (HDP) stattgefunden. Nachdem eine Demonstration von der Polizei gestoppt wurde, wurde ein Sit-In veranstaltet, an dem sich zahlreiche HDP-Abgeordnete beteiligten.

Die Polizei sperrte die Straße mit Panzerfahrzeugen, Wasserwerfern und Hunderten Einsatzkräften ab und griff mit Gummigeschossen und Gasgranaten an. Demonstranten und Unbeteiligte flüchteten in Cafés und Geschäfte. Es kam zu brutalen Gewaltszenen und zahlreichen Festnahmen. Ein Mann wurde durch ein Gummigeschoss am Kopf verletzt. Ein weiterer Demonstrant wurde von Polizisten in ein Café verfolgt. Auf Aufnahmen, die die abgesetzte Bürgermeisterin Bedia Özgökçe Ertan auf ihrem Twitter-Account teilte, ist zu sehen, wie ein Polizist etliche Male mit seinem Schutzhelm auf den Mann einprügelt und mit Fußtritten traktiert.

Zum Hintergrund

Rund fünf Monate nach den Kommunalwahlen hat die AKP-Regierung die Bürgermeister von Amed und Mêrdîn, Adnan Selçuk Mızraklı und Ahmet Türk, sowie die Bürgermeisterin von Wan, Bedia Özgökçe Ertan, ihres Amtes enthoben. Die HDP-Politiker waren am 31. März mit 63, 56 und 54 Prozent der Stimmen gewählten worden. Nun wird ihnen nach Angaben des Innenministeriums in mehreren Ermittlungsverfahren „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation” und „Terrorpropaganda” vorgeworfen. Konkret sollen die Betroffenen ihre Bürgermeisterposten für die Unterstützung von Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) genutzt haben. Unter anderem hätten sie angeblich versucht, öffentliche Gelder an die PKK zu leiten. Zudem werden sie beschuldigt, mit dem Prinzip der Doppelspitzen, das die HDP auf allen Ebenen verfolgt, auf Anordnung der PKK eine nicht verfassungsmäßige politische Struktur eingeführt zu haben, die vom Ganzen des Landes abweicht. Desweiteren seien in den Verwaltungen Personen eingestellt worden, deren Angehörige wegen PKK-Kontakten im Gefängnis sitzen. Die Anklagen gegen die abgesetzten Bürgermeister gehen teilweise auf ihre Zeit als Abgeordnete in früheren Jahren zurück.

Altbekannte Strategie

Die HDP erklärte, dass die Begründung für die Zwangsverwaltung vollkommen erfunden sei. Die Maßnahme zeige die feindliche Haltung zum erklärten politischen Willen des kurdischen Volkes. Das Innenministerium mache sich damit zum Zentrum eines Putsches, mit dem Rechte und Freiheiten usurpiert und Entscheidungen getroffen werden, die keine Spur von Demokratie aufweisen.

Die Absetzungen und die Festnahmewelle erinnern an das Vorgehen der Regierung kurz nach dem sogenannten Putschversuch im Juli 2016. Damals waren im Zuge des Ausnahmezustands 98 von 102 Bürgermeister der HDP in kurdischen Städten abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt worden. Viele von ihnen wurden daraufhin inhaftiert. Die Wiederholung dessen hatte Erdogan in diesem Jahr schon im Kommunalwahlkampf angedroht: Jeder Kandidat, der Verbindungen zu „Terrororganisationen” aufweise, werde im Falle seiner Wahl wieder abgesetzt, kündigte der AKP-Chef an.

In der Zeit der Zwangsverwaltung sind in den betroffenen drei Großstädten und den anderen Kommunalverwaltungen alle Ressourcen aufgebraucht worden. Die staatlichen Treuhänder haben der HDP einen Trümmerberg hinterlassen. Durch die Zwangsverwaltung sind die Rathäuser zu Zentren der Korruption und des Diebstahls gemacht worden. Die HDP glaubt, dass die Regierung und das Innenministerium verhindern wollen, dass die während der Zwangsverwaltung erfolgten Regelverstöße und die Korruption aufgedeckt werden. Die lokale militärische und zivile Bürokratie habe diese Korruption unterstützt, weil sie selbst davon profitierte.