Dede: „In Gever wird versucht, eine Pufferzone zu errichten“

Die Repression und die massiven Militäroperationen im nordkurdischen Landkreis Gever zielen auf die Vertreibung der Bevölkerung und die Errichtung einer Pufferzone ab, sagt der HDP-Abgeordnete Sait Dede.

Die türkische Armee führt seit dem 17. April eine Invasion in den Regionen Zap, Metîna und Avaşîn in Südkurdistan durch. Auf der nordkurdischen Seite der Grenze, von der Provinz Şirnex bis Colemêrg (tr. Hakkari), finden ebenfalls große Militäroperationen statt und die Dörfer in den Gebieten sind militärisch umzingelt. Am 26. ist die türkische Armee in den Dörfern Şîşemzîn, Xurekana Temo und Xurekana Seyîda eingefallen. Die Menschen wurden von Soldaten beschimpft und misshandelt. Mindestens zwanzig Personen wurden nach der Tortur in das Operationsgebiet verschleppt, unter ihnen auch vier Hirten mit iranischer Staatsbürgerschaft, mehrere ältere Frauen und ein achtjähriges Kind. Offenbar sollten sie als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht werden. Anschließend wurden die Dorfbewohner:innen festgenommen und geprügelt. Nachher waren 5.000 Schafe der von der Landwirtschaft lebenden Bevölkerung „verschwunden“. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya äußert sich Sait Dede, Abgeordneter der Demokratischen Partei der Völker (HDP) aus Colemêrg, über das Vorgehen der türkischen Armee.

Umfassender Krieg gegen das kurdische Volk

Dede verweist auf die Geschichte der türkischen Republik und merkt an, es habe seit deren Gründung eine Vernichtungs- und Verleugnungspolitik gegenüber dem kurdischen Volk gegeben. In den letzten sechs bis sieben Jahren habe sich diese Politik jedoch verändert und es gehe nun darum, den Kurd:innen jeglichen errungenen Status zu nehmen und Kurdistan als Kolonie zu kontrollieren. Dieser Krieg betreffe nicht nur bestimmte Gruppen unter den Kurd:innen, es handele sich um eine „umfassende Kriegspolitik gegenüber dem kurdischen Volk als Ganzem“. Dede fährt in Anspielung auf die Kollaboration der südkurdischen Partei PDK mit dem türkischen Faschismus fort: „Diejenigen, die in diesem Jahrhundert nicht für die Interessen des kurdischen Volkes eintreten, werden als Verräter in die Geschichte eingehen. Die Menschen in Südkurdistan müssen ihre Stimme gegen die in der Region gestarteten Operationen erheben. Der türkische Staat will mit seinen Angriffen kurdisches Land unter seine Herrschaft bekommen. Aus diesem Grund dürfen Kurd:innen niemals mit den Besatzern und denen, die sie zu vernichten versuchen, zusammenarbeiten und müssen ihnen würdevoll und aufrecht entgegentreten.“

Krise, Chaos und Krieg sind Ergebnis der Isolation auf Imrali

Dede weist darauf hin, dass auch die Verschärfung der Isolation auf Imrali gegenüber dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zur Verschärfung des Krieges im Nahen Osten führe: „Wann immer die Isolation ins Spiel kam, nahm auch die Politik der Unterdrückung, des Völkermords und der Vernichtung gegen das kurdische Volk zu. Die Isolation ist der Kern des Problems. Herr Öcalan war der Hauptakteur beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, die alle Völker und ihre Diversität zusammenbringen kann. Als er aus dem Spiel genommen wurde, begann sich der Krieg weiter zu vertiefen. Die Operationen in Südkurdistan, die Angriffe auf Rojava und die politische, soziale und physische Repression gegen das kurdische Volk durch die türkischen Politik sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Die Repression richtet sich gegen alle Kurd:innen und das kurdische Volk. Heute ist die AKP-Regierung der Vollstrecker dieser Praxis.“

Das kurdische Volk soll eingeschüchtert werden

Es gehe den Regionalmächte darum, die Rolle, die das kurdische Volk mittlerweile im Nahen Osten spielt, zu neutralisieren. Dies sei das Ziel der Politik, sagt Dede und hält dem aber entgegen: „Es ist offensichtlich, dass der türkische Staat mit den umgesetzten Maßnahmen keine Ergebnisse erzielen kann. Denn die Regierungen vor der AKP und die Regionalstaaten haben das in der Vergangenheit schon oft versucht. Sie versuchten, die Kurd:innen mit solchen Praktiken einzuschüchtern. Aber das kurdische Volk hat sich in seiner Geschichte immer gegen diese faschistischen Praktiken gewehrt und tut dies auch weiterhin.“

Dörfer sollen entvölkert werden

Dede beschreibt die strategische Bedeutung der nordkurdischen Provinz Colemêrg: Sie grenzt an drei verschiedene Teile Kurdistans an. Die Türkei versuche, diese Verbindung abzuschneiden, sagt Dede und führt aus: „Insbesondere gegen Grenzdörfer wird ein Konzept von Repression, Operationen und Verhaftungen praktiziert. Mit diesen Angriffen wird versucht, die Dörfer zu entvölkern, Kurdistan in ein Schlachtfeld zu verwandeln und die Region zu einer Pufferzone zu machen. Das kurdische Volk weiß sehr genau, dass die Regierung keine Ergebnisse mit diesen Operationen erzielen wird. Es wird sich diesen Operationen und Angriffen nicht beugen. Die einzige Lösung besteht darin, sich mit Herrn Öcalan zusammenzusetzen und Verhandlungen aufzunehmen."

Ihre Politik wird nicht greifen

Dede erklärt, dass die AKP auch durch Repression ihre Herrschaft nicht werde fortsetzen können. Er sagt: „Es ist offensichtlich, dass Operationen nicht die Lösung sind und sie keinen Nutzen bringen. Alles, was die Regierung damit erreicht, ist es, den militaristischen und chauvinistischen Sektor der Gesellschaft mit dieser Politik an ihrer Seite zu halten. Aber diese Politik kann nicht mehr greifen. Denn die Menschen hungern und wollen Gerechtigkeit. Die Menschen wollen jetzt in Frieden, mit ihren eigenen Identitäten frei in ihrem eigenen Land leben.“

Erhebt die Stimme gegen die Angriffe

Dede sagt, es gäbe keinen Grund, angesichts der Repression und Angriffe die Hoffnung zu verlieren. Er schließt mit dem Aufruf: „Es gibt Repression, Operationen und Angriffe, aber es gibt auch wachsende Erfolge angesichts dieser Angriffe. Heute kann kein Spiel mehr auf der Bühne des Nahen Ostens ohne das kurdische Volk gespielt werden. Das ist auch in der türkischen Politik so. Tatsächlich ist es diese Rolle, die zerstört werden soll. Die Kurd:innen sind die entscheidende Kraft, welche die die türkische Politik bestimmt. Deshalb sollte niemand die Hoffnung verlieren. Alle sollten angesichts dieser Angriffe und dieser Invasion noch lauter ihre Stimme erheben.“