Filmkritik: „Blackberry Season“ – Romanverfilmung des kurdischen Guerillakinos

Die erste Romanverfilmung des kurdischen Guerillakinos, „Blackberry Season“, ist ein weiterer, wichtiger Meilenstein für das kurdische Filmschaffen. Die Geschichte folgt weitgehend der autobiografischen Erzählung von Murat Türk.

In den 1990er Jahren brannte die türkische Armee beim Versuch, die kurdische Freiheitsbewegung zu bekämpfen, rund 4000 Dörfer und Weiler nieder und bot so ein Musterbeispiel für Staatsterrorismus. Millionen Menschen mussten fliehen, ein Teil davon lebt mittlerweile in Deutschland. Diese Menschen und ihre Nachkommen bildeten den Löwenanteil der Zuschauerschaft bei der Deutschlandpremiere des Films Blackberry Season (Zeit der Brombeeren) am 21. Mai 2022 in Köln. Das türkische Konsulat versuchte, die Vorstellung zu verhindern, scheiterte jedoch wie schon in früheren Jahren am Team des Filmforums NRW.

Vom Krieg jener Jahre gibt es kaum bewegte Bilder, da der türkische Staat seinerzeit die lokale kurdische Presse mit massiver Repression bis hin zu Mord und Bombenanschlägen auf Redaktionen überzog und es ihm auch gelang, ausländische Kamerateams abzuschrecken. Umso erfreulicher, dass sich kurdische Filmschaffende der Filmkommune Rojava des Themas angenommen und den Roman „Zeit der Brombeeren“ verfilmt haben. Leider wurde der Titel nicht übernommen: Als Blackberry Season kommt er nun in kurdischer Sprache mit deutschen Untertiteln auf die Leinwände.

Der Film spielt um das Jahr 1994 in einer nicht genannten Region in Nordkurdistan. Der Student Şervan schließt sich der Guerilla an, nachdem sein Dorf ebenfalls zerstört wurde. Nach einer eigentlich erfolgreichen Operation muss er sich von seiner Gruppe trennen und versucht den Rest des Films über, sie wiederzufinden. Immer gezwungen, sich zu verstecken, bittet er in verschiedenen Dörfern um Hilfe. Er erfährt viel Unterstützung und kann sich doch nie sicher sein, ob ihn jemand an die Spezialeinheiten der Armee verraten wird.


Die Geschichte folgt weitgehend dem autobiografischen Roman „Zeit der Brombeeren“ (Originaltitel: Böğürtlen Zamanı) von Murat Türk. Verfasst wurde er in einem türkischen Gefängnis, wo der 1976 geborene Autor eine lebenslange Haftstrafe absitzt. Die deutsche Übersetzung erschien 2016 beim Mezopotamien-Verlag. Der Film fügt dem Roman einige Handlungselemente hinzu, wobei eine Szene, die hier nicht verraten werden soll, aus offensichtlichen Gründen Eingang in den Film fand. Sie erhielt dann auch begeisterten Szenenapplaus des Premierenpublikums.

Die Schauspielenden, überwiegend Bewohner:innen des Flüchtlingslagers Mexmûr und damit ebenfalls in den 1990er Jahren vor dem türkischen Staatsterror geflohen, können fast durchweg überzeugen, wobei ich besonders die älteren Dorfbewohnerinnen hervorheben möchte. Deren Spiel sorgte mehrfach für freudige Erheiterung. Ebenfalls positiv fiel die Kamera auf, die nicht nur die Landschaften Kurdistan brillant einfängt, sondern es auch mehrfach schafft, durch subtile Bewegungen eigene Erzählakzente zu setzen.

Drehbuch und Regie fallen dagegen ab. Es gelingt nicht durchgängig, die doch recht handlungsarme Geschichte mit filmischen Mitteln spannender zu gestalten. Vieles davon ist sicher der Buchvorlage anzulasten, die unter demselben Problem leidet.

Schade ist, dass sich der Film – wie das Buch – offenbar vor allem an ein kurdisches Publikum richtet, das mit den Hintergründen der Geschichte bestens vertraut ist. Für alle anderen wird letztlich zu wenig erklärt, was schon beim vorigen Film der Filmkommune Rojava, The End Will Be Spectacular, negativ auffiel. Nicht gut gelungen sind die Untertitel und die Texteinblendungen, die nicht nur voller Fehler stecken, sondern auch manchmal so lang sind, dass sie nicht auf die Leinwand passen.

Trotz aller Kritik ist diese, meines Wissens erste, Romanverfilmung des kurdischen Guerillakinos ein weiterer, wichtiger Meilenstein für das kurdische Filmschaffen. Seit Bêrîtan (2006), einem ersten Höhepunkt, sind die technischen Möglichkeiten offenbar deutlich besser geworden. Der als Regisseur genannte Haşim Aydemir lieferte zuletzt mit 14. Juli (2017) einen wesentlich stärkeren Film ab. Doch Freund:innen der Buchvorlage werden ihre Freude am solide umgesetzten Blackberry Season haben. Das Premierenpublikum war jedenfalls begeistert.


Blackberry Season (OT: Dema Dirîreşkan)

Produktion: Filmkommune Rojava / MED-Film

Mit: Şemzin Şin, İsan Penaber, Serhat Guler, Serhat Hulaku, Leyla Çelik

Regie: Haşim Aydemir

Produktion: Serhat Hulaku

Drehbuch: Erol Balcı nach dem Roman von Murat Türk

Kamera: Semih Yıldız

Länge: 96 min.

Die Filmkritik von Reimar Heider ist auch auf dem Blog „Kleine Kurdistan-Kolumne“ nachzulesen