Theater, Geschichte und Stadtteilarbeit in Berlin-Lichtenrade

Mit „Schwester, was bleibt uns denn?“ inszenierte die selbstorganisierte Theatergruppe „Tütü Sabotage“ ein Stück über die kommunistische Geschichte des Berliner Stadtteils Lichtenrade im aufkommenden Faschismus.

Mit „Schwester, was bleibt uns denn?“ inszenierte die selbstorganisierte Theatergruppe „Tütü Sabotage“ ein Stück über die kommunistische Geschichte des Stadtteils Lichtenrade im aufkommenden Faschismus. Gemeinsam mit der Projektgruppe für ein Soziales Zentrum in Lichtenrade will das Stück die Geschichte des Widerstands in Erinnerung halten, neue Formen des Ausdrucks finden und eine Möglichkeit schaffen, in der Nachbarschaft politisch zu arbeiten. Die Initiative Geschichte & Widerstand führte nach der Aufführung ein Interview mit einem der Schauspieler über die Handlung des Stücks, die Bedeutung von Theater und die Rolle des Stücks in der Nachbarschaftsarbeit.

Könntest du für uns kurz eine Einführung in den Kontext des Stückes und die Handlung geben?

Das Stück „Schwester, was dann?“ spielt in der Silvesternacht von 1932 auf 33 im Berliner Stadtteil Lichtenrade. Genau einen Monat vor der Wahl Hitlers. Die gesellschaftliche Stimmung ist geprägt von der Wirtschaftskrise, schwerer Armut und politischer Polarisierung zwischen den Lagern der Sozialdemokratie, den Nationalsozialist:innen und den Kommunist:innen. Immer öfter kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Saalschlachten zwischen den Sozialist:innen und Faschist:innen. In diesem gesellschaftlichen Gefüge erzählt das Stück von einer kommunistischen Familie, konkret einer Mutter, Pauline, und ihren zwei Kindern Frieda und Erich. Im Mittelpunkt steht dabei die 17-jährige Frieda. Sie ist zwar durch ihre Familie kommunistisch geprägt, doch sie beginnt an dieser Idee zu zweifeln. Dieser Zweifel entsteht durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die große Armut usw., ihre persönlichen Wünsche, aber auch durch ihre Freundschaft zu Dora, die im nationalsozialistischen Milieu organisiert ist. Ihre persönliche Selbstfindung ist verknüpft mit der Suche nach politischen Antworten auf die Probleme der Zeit. Sie ist enttäuscht von den sozialistischen Versprechungen und großen Reden ihrer Familie und wirft dieser vor: „Ihr seid Träumer, im Hier und Jetzt muss sich was ändern.“ Und dann dreht sich das Stück darum, was die Suche Friedas mit ihrem Bruder Erich macht, der sehr überzeugter Kommunist ist – ehemals organisiert im Roten Frontkämpferbund, der noch zu Zeiten der Weimarer Republik verboten wurde, und darüber hinaus aktiv in den Strukturen der KPD ist. Die Entscheidung von Frieda für das politische Lager der Nazis führt bei Erich und Pauline zu heftigen Enttäuschungen. Und in der Silvesternacht, in der Szene einer sozialistischen Lichtenrader Kneipe mit Maskenball und Musik, stellt sich Frieda auf die Seite von Dora und damit auf die Seite der Nationalsozialist:innen. Nach der Feier und der Auseinandersetzung mit seiner Schwester macht sich Erich mit seinem Freund Busse auf den Nachhauseweg. Nachdem sich Erich von Busse vor dessen Haustür verabschiedet hat, trifft er auf den SA-Mann Fritz Osthoff. Erich ist aufgebracht, da in der Nacht bereits einer seiner Genossen von den Nazis verprügelt wurde. So kommt es zum Streit und in diesem wird Erich von Fritz mit einem Messer ermordet. Mit diesem Mord entdeckt Frieda das wahre Gesicht der faschistischen Ideologie und findet von ihrem Irrweg zurück zu den Kommunist:innen. Die Trauerfeier von Erich mündet in eine große Demonstration und symbolisiert noch einmal das Zusammenstehen der gespaltenen Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen angesichts der Verbrechen der Nazis.

Maskenball in der Silvesternacht © IGW


Bevor wir zur zentralen Figur von Frieda kommen, eine Frage zu dem Konflikt zwischen den Kommunist:innen und dem sozialdemokratischen Lager und dem Umgang mit dem aufkommenden Faschismus. Wie werden diese im Stück bearbeitet?

Im Umgang mit dem aufkommenden Faschismus spiegeln sich im Stück zwei Linien wider. Die Frage wird auch verbunden mit der Diskussion um die Mittel des Kampfes, der Frage von spontaner Militanz vs. strategischem Vorgehen. Dazu werden unterschiedliche Positionen aufgemacht. Der langjährige KPDler Busse vertritt dabei eher die Strategie, die Arbeiterklasse vom Kommunismus zu überzeugen, und setzt auf Arbeitskämpfe als altbewährtes Mittel. Erich sieht das anders und betont die Wichtigkeit, den Nazis auf der Straße, zur Not mit Gewalt, Einhalt zu bieten. Gleichzeitig bestehen diese großen Widersprüche zwischen KPD und SPD. Die Sozialfaschismus-These des Stalinismus sah das so, dass die SPD der größte Feind sei.

Was wolltet ihr mit diesen Widersprüchen und Spannungsfeldern transportieren?

Es geht in keiner dieser Fragen darum, eine eindeutige Antwort zu finden, sondern die Widersprüchlichkeit aufzuzeigen und für die unterschiedlichen Positionen Empathie zu erzeugen. Also nicht zu sagen, dies oder jenes wurde falsch gemacht und so oder so müssten wir es heute machen. Klar können wir sagen, die SPD als Hauptfeind zu sehen, war ein Fehler der KPD. Gleichzeitig ist diese Sicht total nachvollziehbar, wenn wir uns an den Verrat der SPD an den revolutionären Aufbrüchen der Jahre zuvor erinnern. Im Verhältnis zwischen der SPD und KPD ging es uns darum, diese Zweischneidigkeit aufzeigen. Es geht um die Frage, wer ist Freund und wer ist Feind? Und dass das nicht immer so einfach zu beantworten ist und immer wieder neu geschaut werden muss, wer eigentlich die richtigen Verbündeten sind.

Und auch in dem Spannungsfeld zwischen der ganz realen, materiellen Situation der Menschen in Lichtenrade zu dieser Zeit und den großen strategischen Fragen, die sich auf einer Makroebene stellen, geht es nicht darum, sich für eine dieser Seiten zu entscheiden. Sondern es geht darum, die Spannungen, die sich daraus entwickeln können, zu transportieren.

In der Figur von Frieda geht es im Grunde darum, sich zu entscheiden, einen klaren Standpunkt einzunehmen. Aber die Frage von Standpunkt und Entscheidung scheint für euch und das Stück noch größer zu sein?

In der Figur Friedas und ihrem Konflikt war es unser Anliegen, die Verschränkung von persönlichen und sozialen Phänomene wie Freund:innenschaften und persönlichen Sehnsüchten mit Fragen der politischen Verortung aufzuzeigen. Dabei wollen wir nicht sagen, alle Handlungen lassen sich ausschließlich aus der persönlichen Situation eines Menschen erklären – die ja wiederum politisch bedingt ist. Genauso wenig wollen wir jedoch vermitteln, biographische Prägungen seien irrelevant für die Entwicklung einer politischen Identität. Was wir sagen möchten ist, dass diese Ebenen miteinander verwoben sind. Dass persönliche Erfahrungen zwar immer einen Einfluss auf die Aneignung einer politischen Ideologie haben, dass jeder Mensch aber gleichzeitig eine bewusste Entscheidung für oder gegen politische Positionen trifft und dementsprechend eine Verantwortung hat, das Richtige zu tun.

Die Frage von Entscheidung und Standpunkt ist sehr zentral. Sowohl für uns selbst, die das Stück geschrieben und gespielt haben, als auch für die Figuren, die wir spielen, und damit wollen wir diese Frage auch für das Publikum aufwerfen. Alleine ein Stück über die kommunistische Bewegung zu spielen, eine parteiische Erzählung über sie zu inszenieren, ist eine klare Entscheidung für einen politischen Standpunkt. Es war uns zum einen ein Anliegen dem Antikommunismus entgegenzuwirken, der dem kapitalistischen Status quo als Legitimationsbasis dient, indem er die kommunistischen Bewegungen der Vergangenheit verzerrt und entwertet. Gleichzeitig wollten wir dabei nicht in eine platte Nostalgie verfallen, die den Bolschewismus oder andere realsozialistische Projekte verherrlicht. Wir wollten vor allem Widersprüche aufzeigen. Den Menschen, die in diesen Widersprüchen gelebt haben, ein Gesicht geben und im Aufzeigen dieser Widersprüchlichkeit dem Publikum eine Möglichkeit geben, daran anzuknüpfen, sich mit den Charakteren zu identifizieren. Wir wollten zeigen, dass die Kommunist:innen in der Regel ehrliche Menschen waren, die ihr Herz am rechten Fleck hatten, die für die Werte der Menschlichkeit gekämpft haben. Sie haben jedoch auch Fehler gemacht und diese Fehler haben sich auch auf größerer politischer Ebene widergespiegelt, wie beispielsweise im Stalinismus.

Ein weiterer Grund, das Thema von Parteilichkeit und Entscheidung in den Fokus zu rücken, war es, der neoliberalen Erzählung von „Es gibt keine Wahrheiten mehr“, der vermeintlichen Gleichberechtigung aller möglichen Sichtweisen und Meinungen bzw. der vermeintlichen „Neutralität“ der staatlichen und kapitalistischen Institutionen etwas entgegenzuhalten. Der Angst, sich in politischen Fragen zu verhalten, mit einer klaren Position und Haltung zu begegnen. Denn das System, in dem wir leben, bringt nach wie vor existentielle Probleme hervor, die Lösungen verlangen. Die Widersprüche sind heute mindestens genauso groß und verheerend wie damals, sie sind im globalen Norden nur besser verschleiert. Der Neoliberalismus will uns weismachen, dass es keine Alternative zu ihm gäbe, und genau dieser Irrglaube kreiert eine sehr wirkmächtige Ohnmacht bei den Menschen, die es dem System ermöglicht, trotz seiner offensichtlichen Lebensfeindlichkeit weiter zu bestehen. Es gibt jedoch immer eine Alternative bzw. sie ließe sich erschaffen, wenn wir mit diesem Irrglauben brechen. Dafür müssen wir uns aber entscheiden und eine Haltung einnehmen. Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und einen neuen Sozialismus entwickeln.

Und da sind wir dann auch wieder bei der Figur von Frieda im Stück bzw. beim zentralen Motiv der Entscheidung. Viele Menschen aus der Mittelschicht machen heute einfach irgendwie mit und sehen ihre Rolle in der Notwendigkeit, einen Kampf zu führen, eine Alternative zu finden, nicht. Sie machen sich ein bequemes Leben in den vom System vorgesehenen Bahnen und verdrängen ihre Zweifel am bestehenden System. Sie treffen keine bewusste Entscheidung zu kämpfen und entscheiden sich dadurch quasi für die Aufrechterhaltung des Status quo. Andere arrangieren sich entweder mit ihrem unbequemen Leben oder schließen sich menschen- und lebensfeindlichen Ideologien an, die ihnen einfache Lösungen für ihre Probleme versprechen und greifbare Feindbilder zeichnen – genau wie damals die Nationalsozialist:innen.

Streit zwischen Erich und Dora. Frida entscheidet sich © IGW


Das ganze Stück basiert ja auf einer wahren Begebenheit. Wie seid ihr auf das Stück gekommen? Wie hat eure Auseinandersetzung damit begonnen?

Ja, das Stück basiert auf wahren Begebenheiten. Es ist vor allem entstanden mit dem Ort Lichtenrade, wo es jetzt auch gespielt wurde und wo auch die Geschichte gespielt hat. Ohne Verwurzelung hier sind wir als Projektgruppe für ein Soziales Zentrum in Lichtenrade in den Stadtteil gekommen. Daher wollten wir den Stadtteil kennen lernen und das auch aus einer geschichtlichen Perspektive tun. Wir wollten wissen, was in der Geschichte an diesem Ort los war, welche widerständige Geschichte an ihm verborgen lag und wie der Ort zu dem geworden ist, was er heute ist. Mit diesen Fragen haben wir zu Lichtenrade recherchiert und sind dabei auf die Ortsgruppe der Berliner Geschichtswerkstatt in Lichtenrade gestoßen. Diese macht bereits seit den 80er Jahren eine großartige politische Erinnerungsarbeit. Sie haben seitdem ein Buch über Lichtenrade im Nationalsozialismus herausgegeben, viele Stolpersteine verlegt und sich dafür eingesetzt, dass der Platz, an welchem Erich Hermann ermordet wurde, nach ihm benannt wird. Die Geschichtswerkstatt hat zudem offengelegt, dass es eine Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen in Lichtenrade gab. Zu ihr haben wir also Kontakt aufgebaut und erfuhren so über die Geschichte Erich Hermanns. Da wir als Projektgruppe für das Soziale Zentrum personelle Überschneidungen mit der Theatergruppe „Tütü Sabotage“ haben, kam die Idee auf, aus dem Material rund um den Mord an Erich Hermann ein Theaterstück zu machen. Wir wollten damit verschiedene Aspekte verbinden: die Annäherung an den Stadtteil im Hier und Jetzt durch die Kontakte etwa zur Geschichtswerkstatt, aber eben auch das Kennenlernen durch die Geschichte. Und mit dem Theaterstück wollten wir eine Möglichkeit schaffen, im Stadtteil Veranstaltungen dazu zu machen, darüber Menschen kennen zu lernen und unsere Ideen eines Sozialen Zentrums in Lichtenrade zu teilen ... Und so ist das Theaterstück entstanden.

Auch in der Aufführung verbindet sich das Heute und die Geschichte, bzw. Theater und Wirklichkeit. Am Ende tretet ihr als Spielende langsam aus euren Rollen und aus der Vergangenheit und alles geht weiter im Hier und Jetzt. Was war euer Gedanke, diese Ebenen verschwimmen zu lassen? Was sollte dies mit den Menschen machen?

Im Publikum das Gefühl zu erzeugen, dass es wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen, steckt auch in dem künstlerischen Kniff, die Ebenen verschwimmen zu lassen. Eigentlich ist das klassische Brecht-Schule: Dass wir in einer Kneipe anstatt in einem Theater spielen und das Publikum adressieren, als ob es in einer Kneipe säße. Dass wir das Publikum später in Bewegung bringen und es mit uns den Raum verlässt. Dass wir im Epilog, im Nachspiel, einen Spaziergang an den Ort machen, an dem Erich Hermann wirklich ermordet wurde. All das verfolgt unser Anliegen deutlich zu machen, dass es auch im Jetzt wichtig ist, immer wieder Entscheidungen zu treffen. Dafür ist es wichtig, diese Trennungen, wie sie im klassischen Theater aufrechterhalten werden – zwischen Geschichte und Wirklichkeit, Spielenden und Zuschauenden, Erzählenden und Zuhörenden, Subjekt und Objekt – zu überwinden. Zu überwinden, dass das was gezeigt wird, auf eine Art objektiviert wird, indem es in sich abgeschlossen bleibt, vom Publikum von außen betrachtet wird. All dem entgegnet Bertolt Brecht, dass man diese Trennung aufbrechen muss. Dass die unsichtbare „Vierte Wand“, die zwischen Publikum und Ensemble steht, eingerissen werden muss, damit das Publikum stärker adressiert und sich eingebunden fühlt. Damit das Gefühl aufkommt, eigentlich mitmischen zu wollen, am liebsten mit auf die Bühne zu springen und, in unserem Fall, dem Nazi Fritz Osthoff eine runterzuhauen. Wir wollten das Gefühl erzeugen, dass die Geschichte mit uns allen etwas macht, vermitteln, dass sie etwas mit uns zu tun hat und nichts von uns Abgesondertes ist. Klar, es ist es ein historisches Stück, aber es ist gleichzeitig brandaktuell. Um dieses Gefühl in den Körpern zu erzeugen, war die Idee, die Ebenen verschwimmen zu lassen.

Und dass wir in der letzten Szene, am Grab von Erich Hermann, langsam aus unseren Rollen steigend ihm trotzdem weiter gedenken, drückt aus, dass auch wir als Ensemble nicht abgetrennt sind von dem, was wir zeigen. Dass auch wir eine eigene Position zu all dem haben. Dass wir als Personen, nicht nur im Stück Partei ergreifen und uns mit der kommunistischen Bewegung auf eine differenzierte Art identifizieren oder uns zumindest in einer Kontinuität mit ihr begreifen. Es wäre auch unsinnig, diese Gefühle und Haltung im Publikum erzeugen zu wollen, sich selbst aber davon abzusondern. Mit all dem wollten wir dieser vermeintlichen Neutralität, die oft im vorherrschenden Theater propagiert wird, eine bewusste und klare Subjektivität entgegenhalten.

Gemeinsames Gedenken am Ort der Ermordung von Erich Hermann © IGW


Wie war es, diese Persönlichkeiten mit all ihren Widersprüchen zu spielen? Was war euch wichtig dabei?

Es war nicht leicht, sie zu spielen und ich hatte großen Respekt davor. Bei mir war eine Angst da, die Kommunisten nicht respektvoll genug, zu dilettantisch, zu festgefahren zu zeichnen, sie vielleicht sogar zu karikieren. Und gleichzeitig wollte ich sie aus Nostalgie heraus nicht idealisieren. Also dieser Zwiespalt, dieser Balanceakt, den ich schon genannt habe, hat sich für mich auch in der Arbeit mit den Figuren gezeigt. Für mich war es wichtig eine Figur so zu spielen, dass in ihr eine Vielschichtigkeit und Tiefe erkennbar wird. Dass man merkt, dass die Figur wirklich an die Idee des Kommunismus glaubt, dass man sie darin ernst nehmen kann. Aber gleichzeitig sollte auch keine Heroisierung stattfinden. Sondern zu zeigen, dass sie Menschen waren, die Fehler gemacht haben, aber dass sie an etwas geglaubt haben. Das war die größte Herausforderung, die ich gesehen habe.

Im Grunde genommen gab es die Geschichte von Erich, seiner Familie und dem Mord zuhauf. Über fast jede Nachbarschaft könnte ein solches Stück gespielt werden. In dem Sinne ist die Geschichte von Erich nur eine von vielen. Und gleichzeitig eben eine von vielen die nicht erzählt wird. Das Schöne an dem Stück ist eben, eine dieser vermeintlich unbedeutenden Geschichte der Menschen zum Leben erweckt zu haben. Zu zeigen, dass die „große“ Geschichte in den Geschichten der „kleinen“ Leute steckt, dass diese zusammenhängen.

Im Gedenken an Erich eine Verbindung zu jemandem aufzubauen, der sonst nur einfach eine Person von vielen der Vergangenheit ist, ein Name in einem Geschichtsbuch, oder eine Nummer unter den vielen Opfern des Faschismus. Zu einer solchen Person eine so tiefe und erfahrbare Verbindung aufzubauen, den Genoss:innen die im Kampf gefallen sind auf diese Weise Aufmerksamkeit zu schenken, war eine schöne Erfahrung und sehr bestärkend. Gerade der Epilog, in dem wir noch einmal gemeinsam an den Ort des Mordes gehen und Erich gedenken, stellt dieses Gefühl noch mal besonders her.

Der Kommunist Busse © IGW


Ihr nehmt auch Bezug zu aktuellen Kämpfen im Stück. Zur „Trauerfeier“ fliegen Flugblätter über den Hof, auf denen zum Rheinmetall-Entwaffnen-Camp in Kassel vom 30. August bis 4. September aufgerufen wird. Wieder ist es ein Moment, in dem Theater und Vergangenheit, mit Realität und Gegenwart verschwimmt.

Der grundlegende Gedanke dahinter war es, erneut die Trennung zwischen dem Damals und dem Heute aufzuheben. Zwischen dem angeblich unveränderbaren politischen Weltgeschehen und der Subjektivität, der Handlungsfähigkeit, jeder einzelnen Person. Und dafür haben wir gedacht, lohnt sich der Bezug auf die geplanten Proteste gegen die Waffenindustrie. Warum gerade diese? Weil die Waffenindustrie in Deutschland für den Faschismus eine wichtige Rolle gespielt hat und immer noch ein sehr gutes Beispiel für die Doppelmoral der staatlichen Politik ist. Mit der deutschen Waffenindustrie, finanziert vom Staat, global in schlimmsten Menschenrechtsverletzungen und Angriffskriegen verwickelt, kann das Image und die Propaganda vom friedlichen, deutschen Rechtsstaat enttarnt werden. Und sie ist auch ein gutes Beispiel für die Botschaft des Stückes: „Viele Dinge laufen falsch und wir müssen dagegen Position beziehen.“

Auf die Notwendigkeit im Theater, die Trennung zum Publikum aufzubrechen, bist du bereits eingegangen. Welche Funktion und Aufgabe hat Theater insgesamt für dich?

Neben den Aspekten, die ich bereits genannt habe, denke ich, dass Theater eine wertvolle Methode ist, um Wissen zu vermitteln, um Geschichten auf eine andere, auf eine körperliche Art zu erzählen und die emotionale Ebene bei Menschen anzusprechen. Es ist eine Aufgabe von Theater, Geschichten zu erzählen, die die Menschen bewegen, die mit uns etwas machen, die uns aufwühlen. Und ich würde sagen, dass Theater – mindestens implizit – auch politisch sein muss. Mich interessiert ein Theater nicht, dass die gesellschaftliche Realität ausklammert und Themen auf einer abgehobenen, abstrakten Sphäre verhandelt, die für die meisten Menschen nicht mehr greifbar ist. Oder ein Theater, dass das Individuum abgetrennt von der Gesellschaft betrachtet. Ich finde, Theater muss Leute erreichen und es erreicht Leute nur, wenn sie mit dem Gezeigten etwas anfangen können und wenn das Gezeigte etwas in ihnen in Bewegung setzt. Dafür muss Theater verständlich und kontrovers sein, Spannungen aufzeigen, an die Menschen anknüpfen können.

Hat euer Theaterstück das geschafft?

Es ist ja ein Stück über Widerstand. Eine solche Geschichte zu erzählen, in der Zeit des Nationalsozialismus, ist gar nicht so leicht. Wir wollten kein Stück machen, wo die Menschen danach rausgehen und denken „Ja, der Nationalsozialismus war schlimm“. Dazu gibt es genug gute Filme, Theater und Literatur. Es ging uns darum zu zeigen, dass trotz der Grausamkeit, der ganzen Verwirrungen und Irrungen, es immer Menschen gab, die an das Gute geglaubt und dafür gekämpft haben. Das Feedback von Vielen war jedenfalls, dass ihnen das Stück Kraft gegeben hat und nicht das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit vermittelte. Es hat Zuversicht gegeben, und dass es keine Option ist, aufzuhören an etwas Besseres zu glauben, und sich dafür zu entscheiden. Außerdem haben viele Menschen uns gesagt, dass sie berührt waren und sich mitgenommen gefühlt haben.

Neben dem Spaß am Schauspiel, der Wichtigkeit die Geschichte nicht zu vergessen, bzw. die Geschichte des Stadtteils kennen zu lernen, wolltet ihr das Stück auch nutzen, um eine Verbindung zur Nachbarschaft aufzubauen. Welche Bedeutung hat dabei das Stück?

Es ist geplant, das Stück weitere Male im Sozialen Zentrum in Lichtenrade aufzuführen, so dass noch mehr Menschen aus der Nachbarschaft kommen und es anschauen können. Mit einer Geschichte, mit der die Nachbarschaft etwas zu tun hat, wollen wir uns bekannt machen. Es ist das Ziel, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, in einen politischen Dialog miteinander zu treten, was vielleicht sonst nicht so einfach wäre. Das Stück und die Thematik kann dafür sehr wertvoll sein. Und es gibt die Idee, nicht nur im Sozialen Zentrum zu spielen, sondern auch im Gemeinschaftshaus in Lichtenrade. Oder an Schulen, um mit Jugendlichen in Austausch zu treten. Denn das Stück ist ja auch ein Stück über Jugend und die zentralen Figuren sind Jugendliche. Es gibt auch Ideen von einer Theater AG, in der Nachbarschaft oder Theaterworkshops anzubieten. Das Stück kann also Menschen im Stadtteil zusammenbringen und die Geschichte des Stadtteils und des Widerstands gegen den Faschismus wachhalten.

Wie können interessierte Menschen euer Projekt in Lichtenrade unterstützen und über kommende Aufführungstermine des Stücks informiert werden?

Das Projekt kostet neben Zeit und Energie mehr Geld, als wir aus privaten Bezügen zur Verfügung haben. Daher sind wir auf Unterstützung und Spenden angewiesen. Besonders hilfreich sind dabei regelmäßige Beiträge, mit denen wir langfristiger planen können, auch wenn sie klein sind. Dafür haben wir ein Spendenkonto über einen gemeinnützigen Verein eingerichtet, so dass die Spenden auch von der Steuer abgesetzt werden können. Die Kontodaten sind:

Kontoinhaber: kommunal e.V.
Kontonummer: 191068268
IBAN: DE14100500000191068268
BIC: BELADEBEXXX
Bank: Berliner Sparkasse
Verwendungszweck: monatliche Spende

Und bei Interesse für kommende Aufführungstermine des Stücks kann sich unter [email protected] informiert werden.

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