Erdoğan kündigt neue Invasion in Nordsyrien an

Die Türkei plant eine neuerliche Invasion entlang ihrer Südgrenze. Dabei soll eine 30 Kilometer tiefe „Sicherheitszone“ in jenen Teilen Nordsyriens geschaffen werden, die noch nicht in die illegale Besatzungszone eingegliedert wurden.

Die Türkei plant eine neuerliche Invasion entlang ihrer Südgrenze. Das verkündete der türkische Präsident Tayyip Erdoğan am Montagabend nach einer Kabinettssitzung in Ankara. Dabei soll eine 30 Kilometer tiefe „Sicherheitszone“ in jenen Teilen Nordsyriens geschaffen werden, die die Türkei noch nicht kontrolliere – sprich in die illegale Besatzungszone eingliedern konnte – und damit „terroristische Bedrohungen“ bekämpft werden, lauten die erklärten Ziele Erdoğans.

„Das Hauptziel dieser Operationen werden Gebiete sein, die Angriffszentren auf unser Land sind“, sagte Erdoğan, ohne Näheres zu verkünden. Die „Operation“ würde gestartet, sobald Militär, Geheimdienst und Sicherheitskräfte ihre Vorbereitungen abgeschlossen hätten. Am Donnerstag wolle der Nationale Sicherheitsrat diese Angelegenheit im Detail diskutieren, so Erdoğan.

Angriffskriege in den Jahren 2016, 2018 und 2019

Die Türkei ist in der Vergangenheit immer wieder völkerrechtswidrig gegen die selbstverwalteten Gebiete im mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden bewohnten Norden von Syrien vorgegangen. Im Verlauf von drei Angriffskriegen in den Jahren 2016, 2018 und 2019 wurden weite Teile im Grenzstreifen vom türkischen Staat und dschihadistischen Verbündeten des Nato-Mitgliedlandes besetzt, hunderttausende Menschen sind vertrieben worden. Anstelle der angestammten Bevölkerung wurden unter türkischer Ägide islamistische Milizen aus aller Welt und ihre Angehörigen angesiedelt.


Die Mär von der „terroristischen Bedrohung“

Begründet wurden diese Invasionen mit einer angeblichen Bedrohung der nationalen Sicherheit durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Die Türkei sieht in dem kurdischen Kampfverband, der das Rückgrat der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) bildet, einen Ableger der als „Terrororganisation“ geführten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), und greift nahezu täglich zivile Siedlungsgebiete an. Trotz Waffenstillstands- und Deeskalationsabkommen, die nach dem Angriffskrieg im Oktober 2019, an dessen Ende die Städte Serêkaniyê (ar. Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) besetzt worden waren, von Ankara mit den Regierungen in Washington und Moskau ausgehandelt wurden, hat die kriegerische Aggression gegen die kurdische Gesellschaft im Nachbarland nicht nachgelassen. Phasen mit hoher Intensität wechseln sich nur hin und wieder mit Phasen niedriger Intensität ab. In der Kurdistan-Region Irak führt die Türkei derzeit ebenfalls einen Angriffskrieg, vorgeblich gegen PKK-Stellungen. Dabei beruft sie sich auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags stuft das türkische Rechtfertigungsnarrativ als völkerrechtlich kaum tragfähig ein. Auch in den Invasionen in Rojava sieht die Einrichtung Verstöße gegen das Völkerrecht.

Auslieferung von kurdischen Geflüchteten gefordert

Erdoğans Ankündigung eines neuerlichen Großangriffs auf Nordsyrien erfolgt vor dem Hintergrund eines Streits mit dem Westen über eine Nato-Norderweiterung und Beziehungen des Westens zu den YPG. Der türkische Staatschef möchte einer Nato-Mitgliedschaft der Anwärterstaaten Schweden und Finnland erst zustimmen, wenn der Westen seine Beziehungen und Waffenlieferungen an die YPG unterbricht. Andernfalls werde man das Veto gegen die Nato-Erweiterung nicht aufheben. Auch fordert Erdoğan die Aufhebung des Rüstungsembargos, das nach dem Überfall der Türkei in Serêkaniyê und Girê Spî von einigen Nato- und EU-Ländern verhängt wurde. Schweden und Finnland gehörten zu jenen Ländern, die damals unter dem Eindruck der Invasion in Nordsyrien die Waffenexporte an die Türkei beschränkt hatten. Von beiden Ländern, die Erdoğan jüngst als „Terrorbrutstätten“ bezeichnete, fordert der türkische Diktator zudem die Auslieferung von „Terroristen“ – gemeint sind angebliche PKK-Mitglieder sowie Anhänger des islamischen Geistlichen Fethullah Gülen, dessen Bewegung die Türkei für den Pseudoputsch von 2016 verantwortlich macht.

Erdoğan: Mitsotakis existiert nicht mehr

Die türkische Führung drängt außerdem seit längerem auf den Kauf von US-Kampfflugzeugen, was die USA aber bislang verweigerten. Es wird vermutet, dass die Türkei ihre Zustimmung zum Beitritt von Schweden und Finnland zur Nato insbesondere von der Lieferung der Flugzeuge abhängig macht. Die USA hatten 2019 die geplante Lieferung von F-35 Jets an die Türkei gestoppt, nachdem das türkische Militär das russische Raketenabwehrsystem S-400 beschafft hatte, und 2020 Sanktionen verhängt. Später hatte die Türkei ihren Kaufwunsch auf die F-16 umgeändert. In diesem Streit hat sich Erdoğan nun auch mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis überworfen: „Wir hatten mit ihm vereinbart, keine dritte Partei in unseren Streit hineinzuziehen“, sagte Erdoğan erzürnt nach der Kabinettssitzung am Montagabend. „Trotzdem hat er vergangene Woche die USA besucht und im Kongress gesprochen und davor gewarnt, uns F-16 (Kampfjets) zu liefern.“