PKK gibt Tod von langjährigen Mitgliedern bekannt

Die PKK hat den Tod von zwei ihrer langjährigen Mitglieder bekanntgegeben: Berçem Tûrcel und Kînda Zîn sind 2022 bei Angriffen des türkischen Staates in den Medya-Verteidigungsgebieten ums Leben gekommen.

Das PKK-Komitee der Angehörigen von Gefallenen hat den Tod von zwei langjährigen Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei bekanntgegeben: Berçem Tûrcel und Kînda Zîn. Beide Frauen sind im vergangenen Jahr bei Angriffen des türkischen Staates in den Medya-Verteidigungsgebieten getötet worden. In einer „Botschaft an das patriotische Volk und die Öffentlichkeit Kurdistans“ erklärt das Komitee:

„In Kurdistan wird ein Krieg um Sein oder Nichtsein geführt. Wenn dieser Kampf sich bis heute behaupten konnte, so ist dies den Opfern unserer mutigen Gefallenen zu verdanken. Jeden einzelnen Moment wird an irgendeinem Ort Kurdistans ein Widerstandsepos geschrieben. Besonders der mit den Ideen und der Philosophie von Rêber Apo (Abdullah Öcalan) geführte Kampf vieler tausender junger Frauen um ihre Existenz wirkt wie ein Schutzschild für unser Volk und beeinflusst Menschen auf der ganzen Welt. Unsere beiden Freundinnen, deren Tod wir heute verkündet haben, spielten gleichermaßen eine wichtige Rolle bei der Verankerung unserer Frauenbefreiungslinie. Drei Jahrzehnte lang widmeten Berçem Tûrcel und Kînda Zîn ihr Engagement dieser Realität und unserem Kampf. Wir fühlen uns der Geschichte und der Freiheit verpflichtet und mit unseren Weggefährtinnen tief verbunden. Angesichts ihres Verlusts sprechen wir ihren Familien, unserem Volk und allen freiheitsliebenden Menschen unser Beileid aus und versprechen, die Träume und Ideale von Berçem und Kînda zu verwirklichen.“

Über Berçem Tûrcel

Berçem Tûrcels bürgerlicher Name lautete Hibrize Özdurak. Sie wurde 1978 in einem Dorf in Dêrika Çiyayê Mazî (tr. Derik) als Tochter einer dem kurdischen Befreiungskampf verbundenen Familie geboren. Als Kind wurde sie Zeugin vom Beginn des bewaffneten Widerstands der PKK gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes durch den türkischen Staat. Das Leben in ihrem Dorf war geprägt von brutalen Akten der Gewalt auf der einen und der Faszination für die Guerilla auf der anderen Seite. „Schon als Grundschülerin entwickelte Hevala Berçem in Kopf und Herz eine Wut gegen den Staat. Er galt ihr fortan als Feind des kurdischen Volkes.“

Turgut Özal war der erste Präsident der Türkei, der die Kurdinnen und Kurden als eigenständiges Volk anerkannte. 1992 trat Özal, selbst kurdischer Abstammung, mithilfe des YNK-Vorsitzenden Celal Talabanî, der später irakischer Staatspräsident werden sollte, mit Abdullah Öcalan in Kontakt. Dieser kündigte aus dem syrischen Exil 1993 einen Waffenstillstand an. Hinter den Kulissen in Ankara beherrschte plötzlich eine mögliche Entschärfung des „Konflikts“ die Agenda der türkischen Hauptstadt. Doch Özal starb im April 1993 ganz plötzlich, und alle darauffolgenden Regierungen wollten die „Kurdenfrage“ nur noch militärisch lösen. Was folgte, bezeichnet die kurdische Gesellschaft die „Politik der verbrannten Erde“. Rund 4.000 kurdische Dörfer im Südosten des Landes fielen ihr zum Opfer. Berçem Tûrcel war gerade 15 Jahre alt, als sie Zeugin dieses genozidären Vernichtungsfeldzugs wurde. Sie ging zur Guerilla in die Berge und schloss sich der PKK an.


Weiter heißt es über das Leben von Berçem Tûrcel: „Es steht außer Frage, dass es nicht ausreicht, im Krieg gegen den Kolonialismus nur zu den Waffen zu greifen. Dieser Widerstand erfordert auch eine tiefgründige ideologische und organisatorische Ausrüstung. In diesem Rahmen schloss sich Hevala Berçem 1994 der Ausbildungsgruppe des fünften PKK-Kongresses an. Dieser Prozess stärkte sie dabei, eine moralische und politische Haltung einzunehmen und eine entsprechende Denkart entstehen zu lassen. Ununterbrochen leistete sie Widerstand - in allen Teilen von Kurdistan.“  

Ab 2008 hielt sich Berçem Tûrcel in Nordkurdistan auf und gehörte unter anderem der Kommandoebene in den Regionen Amed, Xerzan und Erzîrom an. Sie spielte eine wichtige Rolle für den Erfolg im Widerstand gegen die türkische Armee, vor allem unter militärischen Gesichtspunkten. Als im Jahr 2012 in Rojava, dem westlichen Teil Kurdistans im Norden von Syrien, eine Revolution stattfand, welche die Türkei im Schulterschluss mit ihren Verbündeten seit jeher zu ersticken versucht, zog es Berçem Tûrcel wie viele andere Menschen auch dorthin. Sie kämpfte an den vordersten Fronten, als Dschihadistenmilizen wie die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) die Revolution bedrohten und weite Teile des Landes überrannten. In dieser Funktion gilt sie bis heute als wichtige Protagonistin der Verteidigung von Rojava.

Auch in Rojhilat (Iran) und in Başûr (Irak) kämpfte Berçem Tûrcel gegen die staatliche Unterdrückung des kurdischen Volkes. Als Mitglied der Frauenpartei PAJK setzte sie sich für einen internationalen Kampf der unterdrückten Klassen, Geschlechter und Nationen gegen das Patriarchat und reaktionäre Strömungen ein. „Hevala Berçem orientierte sich an dem Prinzip von Rêber Apo einer globalen Demokratie. Sie galt in vielen Bereichen als federführende Kraft, etwa hinsichtlich der Änderung der Kampfformen gegen das kolonialistische System und Entwicklung neuer Taktiken, oder der Festigung des Paradigmas gegen die liberale, frauen- und naturfeindliche, nationalstaatliche und gewinnorientierte Politik des Kapitalismus. Sie war überzeugt von der wegbereitenden Rolle der Frauen für Neuerungen und Revolutionen und eilte von einem Erfolg zum nächsten. Sie hatte das freiheitliche Prinzip von Rêber Apo verinnerlicht. Am 15. Juni 2022 schloss sich Berçem Tûrcel infolge eines Angriffs des türkischen Kolonialstaates auf die Medya-Verteidigungsgebiete der Karawane der Gefallenen an.“

Über Kînda Zîn

Kînda Zîn wurde 1976 als Fatma Onur in einem alevitisch-kurdischen Dorf in Gurgum (Maraş) geboren. Ihre Familie lebte von Landwirtschaft und Viehzucht. Laut der PKK war die Kindheit auf dem Dorf ausschlaggebend bei der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Dimension von sozialer Verantwortung. In Gurgum waren viele Kurdinnen und Kurden einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt, weil sie dem alevitischen Glauben angehörten. Geduldet und unterstützt vom Staat, wurde 1978 in der damals linken Hochburg ein Pogrom verübt. Die Erfahrungswerte hatten die rechtsextremen Anhänger eines Hitler-Verehrers kurz zuvor bei einem Massaker im benachbarten Meletî gesammelt. Die „Bilanz“: 500 ermordete Alevit:innen, mehr als doppelt so viele Verletzte, 550 zerstörte Häuser und knapp 300 gebrandschatzte Geschäfte.

Kînda Zîns Eltern, die im Kreis Afşîn lebten, beschlossen daraufhin, das Land zu verlassen. Es sollte noch ein knappes Jahrzehnt dauern, bis ihnen gelang, nach England zu migrieren. „Durch das Exil und die Loslösung von der Heimat entwickelte sich bei Hevala Kînda zwar Heimweh, wodurch sie immer wieder dem Gefühl der Fremde begegnete. Auf der anderen Seite kamen aber auch Widersprüche auf. Das Leben im Herzen der kapitalistischen Moderne interessierte sie nicht. Die Sehnsucht nach dem Leben im Dorf und eine tiefe Verbundenheit mit Kurdistan wog größer. Sie begab sich auf die Suche nach einem alternativen Leben.“


Die PKK lernte Kînda Zîn 1991 kennen. Zwei Jahre lang engagierte sie sich in den Bereichen Jugend und Kultur, später war sie auch bei der Organisierung der Bevölkerung aktiv. 1995 traf sie die Entscheidung, sich der PKK anzuschließen. Sie machte sich auf in die Berge Kurdistans und kämpfte bis ins Millenium-Jahr 2000 ohne Unterbrechung im Zagros-Gebirge, das zu großen Teilen in Rojhilat liegt, ein kleinerer Teil befindet sich in Südkurdistan. „Dort, auf den Gipfeln und schroffen Felsen der Çiyayên Zagrosê, füllte Hevala Kînda ihr Herz mit der Liebe zur Freiheit. Sie hinterließ überall ihre Spuren, vereinte sich mit den Blumen, den Bäumen und der ganzen Pracht des Zagros und fügte seiner Schönheit noch etwas hinzu. Auf der Suche nach ihren Wurzeln wurde sie zu einer versierten Guerillakämpferin, die für die Befreiung ihres Volkes in die Berge gegangen war.“

1999 hatte sich im Februar das „internationale Komplott“ gegen Abdullah Öcalan ereignet. Es folgte eine Zeit des Paradigmenwechsels, den der PKK-Gründer unter den Bedingungen auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali vollzog und eine „Theorie der demokratischen Moderne“ entwickelte. Kînda Zîn widmete sich der Praxis dieser Idee innerhalb der militanten Strukturen der PKK und PAJK und entwickelte Bildungsprogramme im ideologischen und militärischen Bereich. Ihre Arbeiten spiegelten sich vor allem in Rojhilat und in den Medya-Verteidigungsgebieten erfolgreich wider. Eine Zeitlang war sie auch Mitglied des PKK-Komitees der Angehörigen von Gefallenen.

„Kînda Jîn gilt uns als Beispiel für die Realität der freien Frau. Ihre Haltung orientierte sich stets an der wissenschaftlichen Ideologie der Frauenbefreiung, deren Verzerrung sie niemals zuließ. Ihre Haltung wurde bestimmt von dem Ziel, ihre Aufgaben erfolgreich zu erfüllen. Bei all ihrem Tun blieb sie jedoch stets bescheiden. Ihre Grundlage war der Marsch zur Freiheit, der sie einen sieg- und erfolgreichen Weg gehen ließ. Es gab keinen Augenblick, an dem sie zögerte zu tun, was sie tat. Kînda Zîn ist am 28. Oktober 2022 in den Medya-Verteidigungsgebieten zu einer Gefallenen geworden.

Diese beiden Frauen, Berçem und Kînda, sind Teil unserer Geschichte der Freiheit. Drei Jahrzehnte lang haben sie Höhen und Tiefen, schöne und schreckliche Momente miterlebt. Sie wandten sich den Feinden der Menschheit zu, ohne auch nur einen Funken Unsicherheit zu zeigen. Sowohl die Freunde als auch die Feinde des kurdischen Volkes sollten wissen: Die PKK und das Volk Kurdistans werden durch jede:n Gefallene:n stärker. Jeder Verlust festigt die Realität der Gefallenen und öffnet neue Risse im Mauerwerk des Kolonialismus. So wie Rêber Apo zu sagen pflegte: ‚Die einzige Angst, die wir kennen, ist jene vor dem Nichtstun.‘ So wie unsere beiden gefallenen Freundinnen werden wir ohne Unterbrechung kämpfen, um die Ideale und Ziele unseres Volkes zu erreichen. Der Kampf geht weiter, bis Rêber Apo frei ist und Kurdistan das Grab des Kolonialismus wird.“