Neue Operation gegen freie Anwaltschaft

In der Türkei sind zwei Anwält:innen festgenommen worden, nach zwei weiteren wird gefahndet. Die Jurist:innen sind in der Vereinigung ÖHD organisiert und arbeiten für die Anwaltskanzlei EHB. Beide Organisationen beschäftigen sich mit politischen Fällen.

Auf die freie Advokatur in der Türkei rollt die nächste Repressionswelle zu. Auf Betreiben der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul sind mit Gülhan Kaya und Mustafa Taylan Sarvan zwei Anwält:innen festgenommen worden, nach zwei weiteren wird gefahndet. Die Hintergründe waren zunächst unklar. Die türkische Justiz hat die Ermittlungsakte mit einer Geheimhaltungsverfügung belegt, außerdem ist ein 24-stündiges Anwaltsverbot in Kraft.  In der Regel unterliegen Akten in Verfahren mit angeblichem Terrorismusbezug einer Geheimhaltungsklausel und sind somit auch für Anwält:innen nicht zugänglich. 

Die Festnahmen erfolgten bereits am späten Freitagabend. Kaya wurde in der westtürkischen Küstenprovinz Izmir von der Gendarmerie in Gewahrsam genommen, ihren Kollegen Savran setzte die Polizei in Istanbul fest. Beide Jurist:innen arbeiten in der Istanbuler Kanzlei „Rechtsbüro der Unterdrückten“ (EHB) und sind im Verein der Juristen für Freiheit (ÖHD) organisiert. Die Vereinigung nimmt sich wie auch die Kanzlei EHB vorwiegend politischen Justizfällen an und engagieren sich für benachteiligte, unterdrückte und marginalisierte Gesellschaftsgruppen.

Bei den zur Fahndung ausgeschriebenen Anwältinnen handelt es sich um Kader Tonç und Sezin Uçar. Letztere sitzt im Vorstand des ÖHD und kandidierte 2021 als einzige Frau für das Amt an der Spitze der Rechtsanwaltskammer von Istanbul. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurden die Wohnungen beider Juristinnen trotz ihrer Abwesenheit durchsucht.

Der ÖHD verurteilte das Vorgehen gegen seine Mitglieder und bezeichnete die Festnahmeoperation als „staatlich angeordneten Angriff auf die freie Advokatur“. Die Regierung wolle Jurist:innen kriminalisieren, um die freie Anwaltschaft zu schwächen. Die Kanzlei EHB schrieb auf Twitter: „Die revolutionäre Advokatur und die Verteidigung der Rechte der Unterdrückten sind kein Verbrechen.“

Anwält:innen werden als „Terror-Kuriere“ kriminalisiert

Seit Monaten rollt auf die freiheitliche und progressive Anwaltschaft in der Türkei eine Repressionswelle nach der anderen zu. Seit dem 25. April sind Hunderte Oppositionelle in dem Land festgenommen worden, allein gegen über fünfzig Personen erging Haftbefehl wegen Unterstützung der PKK. Bei den Betroffenen handelt es sich um Politiker:innen, Journalist:innen, Künstler:innen, Gewerkschaftsmitglieder, Anwält:innen und Aktivist:innen aus dem Umfeld der Grünen Linkspartei, unter deren Banner die von einem Parteiverbot bedrohte Demokratische Partei der Völker (HDP) zu den Wahlen im Mai antrat. Der nach der Präsidentenwahl am 28. Mai aus dem Amt geschiedene Ex-Innenminister Süleyman Soylu hatte linke Anwält:innen zuletzt immer wieder als „Terror-Kuriere“ kriminalisiert.