KCK fordert Klarheit über Situation von Öcalan

Die KCK hat dem Antifolterkomitee des Europarats im Hinblick auf widersprüchliche Angaben zu einem Besuch auf Imrali „Meinungsmanipulation“ vorgeworfen und das Gremium aufgefordert, Informationen über die Situation von Abdullah Öcalan preiszugeben.

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) aufgefordert, Klarheit in Bezug auf die Situation von Abdullah Öcalan zu schaffen. Seit Tagen beschäftigt die kurdische Öffentlichkeit die Ungewissheit über den Ablauf eines Besuchs des Antifolterkomitees im vergangenen September auf der Gefängnisinsel Imrali, wo Öcalan seit 1999 in politischer Geiselhaft gehalten wird. Das Gremium hatte persönliche Gespräche mit dem 73-Jährigen und seinen drei Mitgefangenen im Zuge der Inspektion in der Hochsicherheitsstrafvollzugsanstalt suggeriert. In einer entsprechenden Mitteilung hieß es, es seien die allgemeine Behandlung und Haftbedingungen der Imrali-Gefangenen überprüft worden mit dem Fokus auf Gemeinschaftsaktivitäten und Kontakten zu ihrer Außenwelt. Die Istanbuler Anwaltskanzlei Asrin, die Öcalan und seine Mitgefangenen juristisch vertritt, gab kürzlich jedoch bekannt, dass beim CPT-Besuch auf Imrali gar kein Kontakt mit Öcalan zustande kam. Ein persönliches Gespräch mit Vertretern des Gremiums habe die Bedenken um die Situation auf der Insel dann zusätzlich noch verstärkt, da Asrin offenbar selbst geringste Informationen über die Bedingungen der Imrali-Gefangenen verweigert worden sind. Die KCK ist empört.

„Manipulation der öffentlichen Meinung“

„Diese Haltung des Antifolterkomitees des Europarats drückt im Grunde das Niveau der Herangehensweise an Rêber Apo und das auf Imrali installierte Isolations- und Folterregime aus“, erklärte der Exekutivrat des Dachverbands der kurdischen Bewegung am Montag in Behdînan. Dass das CPT den Eindruck eines persönlichen Gesprächs mit Öcalan erweckt habe, obwohl dies offenbar nicht der Wahrheit entspricht, sei als „Manipulation der öffentlichen Meinung“ zu bezeichnen. „Diese Situation kann und sollte nicht als gewöhnlich und normal betrachtet werden. Ergänzend zur ständigen Vertiefung des Isolations- und Foltersystems Imrali und seit Jahren ausbleibenden Nachrichten aus Imrali hat das Verhalten des CPT die Sorgen der kurdischen Gesellschaft über die Gesundheit und Sicherheit von Rêber Apo nun auf eine andere Stufe gehoben und eine völlig neue Gefahrensituation geschaffen“, so die KCK. Das Gremium habe sich vom türkischen Staat und dessen AKP/MHP-Regierung, die „genozidal, kolonialistisch und faschistisch“ gegen den Widerstand Öcalans und des kurdischen Volkes agierten, „einbinden lassen“ in den Isolationsmechanismus, statt der Erfüllung seiner Aufgabe gerecht zu werden. „Es ist unverkennbar: Das CPT handelt nicht entsprechend seiner Verantwortung, Folter zu verhindern und Grundrechte zu schützen, sondern nimmt eine Position ein, die das Konzept der Isolation und Folter gutheißt und legitimiert.“

„Heuchlerische und prinzipienlose Haltung“ Europas gegenüber Kurd:innen

Es sei inzwischen eine allgemeingültige Regel, dass Europa und seine Institutionen eine „heuchlerische und prinzipienlose“ Haltung einnehmen würden und Moral und Recht den Interessen einzelner Staaten opferten, sobald es um Kurdinnen und Kurden und Abdullah Öcalan geht, betont die KCK. Explizit benannt in der Kritik werden neben dem CPT auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). „Dieser Ansatz bedeutet, Mittäter beim Genozid am kurdischen Volk zu sein. Anders lässt sich der von Unrecht durchzogene Umgang vermeintlicher Verfechter sogenannter europäischer Grundsätze und Werte mit den Kurdinnen und Kurden nicht erklären.“ Das CPT sei daher aufgefordert, unverzüglich Informationen zur Lage auf Imrali und der Situation der dortigen Gefangenen zu veröffentlichen. „Das Antifolterkomitee und alle anderen europäischen Menschenrechtsgremien tragen Verantwortung für den Umgang mit Rêber Apo. Dem können sie sich nicht entziehen. Schließlich gilt Abdullah Öcalan Millionen Menschen als legitimer Vertreter des kurdischen Volkes. Als solcher wurde er in einem internationalen Komplott, einem völkerrechtswidrigen Piratenakt gefangengenommen und in das Isolations- und Foltersystem Imrali überführt“, so die KCK.

Öcalan zu verteidigen bedeutet Kurdistan zu verteidigen

An die kurdische Öffentlichkeit appelliert die KCK, den Widerstand gegen die Abschottung Öcalans von seiner Außenwelt bis zur Preisgabe von Informationen des Antifolterkomitees und der Durchsetzung von anwaltlichen Kontakten auf eine neue Stufe zu heben. Sich gegen das Imrali-System zu erheben und Öcalan zu verteidigen, bedeute Kurdistan zu verteidigen. Dies sei der einzig würdevolle Umgang mit dem kurdischen Freiheitskampf und Zeichen der Verbundenheit mit Kurdistan. „Alle demokratischen Institutionen, politischen Parteien, Intellektuellen und Kunstschaffenden des kurdischen Volkes sollten mit diesem Bewusstsein und dieser Verantwortung handeln und die gegen die Isolation zu ergreifenden Maßnahmen anführen. Das ist die Voraussetzung dafür, die Vorhut eines Volkes zu sein.“

Überwindung von Imrali-Isolation wird kurdische Frage lösen

Die Überwindung der Isolation auf Imrali könnte auch die Kanäle für eine Lösung der kurdischen Frage entsperren und damit die Demokratisierung der Türkei einleiten, führt die KCK weiter aus. Die Situation des kurdischen Repräsentanten gelte als Gradmesser der Unterdrückung und der Kriegsbestrebungen des türkischen Staates, seine andauernde Totalisolation werde von einer Kriegspolitik auf allen Ebenen begleitet. Diese schlage sich nicht nur gleichlaufend in der Isolation des kurdischen Volkes nieder, sondern wirke sich auch auf die Freiheitsbestrebungen aller anderen Völker in der Türkei und überall dort im Nahen Osten aus, wo Ankara einen imperialistischen Expansionismus betreibt. Daher müsse auch die türkische Gesellschaft aktiv werden im Kampf für die Überwindung des Folterregimes auf Imrali. „Andernfalls wird es in naher Zukunft nicht möglich sein, von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit in der Türkei zu sprechen.“

Kein Lebenszeichen seit März 2021

Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş werden seit Jahren isoliert. Seit 2019 gilt auf Imrali wieder ein striktes Anwaltsverbot, der letzte Besuch des Verteidigungsteams von Öcalan fand im August 2019 statt. Konar, Yıldırım und Aktaş haben seit ihrer Verlegung in das Inselgefängnis 2015 noch nie von ihrem Recht auf anwaltliche Vertretung Gebrauch machen können.

Ein letztes Lebenszeichen aus Imrali gab es in Form eines Telefonats Öcalans mit seinem Bruder im März 2021, das aus unbekannten Gründen nach wenigen Minuten abbrach. Die Anwaltskanzlei Asrin stellt zwar regelmäßig Besuchsanträge, um ihre Mandanten zu sehen. Die türkischen Behörden lehnen diese Ersuchen jedoch ab oder ignorieren sie. Ähnlich verhält es sich bei Besuchsanträgen von Familienangehörigen. Als juristische Ummantelung für das Unrecht auf der Insel im Marmarameer dienen der türkischen Justiz in der Regel willkürlich verhängte „Disziplinarmaßnahmen“ gegen die Imrali-Gefangenen. Lange Zeit zogen die türkischen Behörden als Begründung für das Besuchsverbot des Anwaltsteams sogar die 2009 von Öcalan dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgelegte „Roadmap für Verhandlungen“ heran.

Das Verbot von Anwaltsbesuchen im Imrali-Gefängnis verstößt offen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen (UN) für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), gegen die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats und gegen das türkische Vollzugsgesetz (Gesetz Nr. 5275). Staaten sind verpflichtet, die Ausübung der Rechte von Gefangenen und Verurteilten ohne Rücksicht auf ihre Identität oder die Qualität ihrer Strafe zu gewährleisten. Doch die türkische Justiz ist nicht gewillt, die menschenverachtenden Haftbedingungen auf Imrali zu korrigieren und hält an einer Behandlung nach Feindstrafrecht fest.