Angriffe gegen emanzipatorische Errungenschaften
Das JugendWohnProjekt (JWP) MittenDrin e.V. hat die andauernden Angriffe der Türkei auf die Friedenswache am Tişrîn-Staudamm in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien scharf verurteilt. „Diese Angriffe sind nicht nur ein Angriff auf die kurdische Selbstverwaltung, sondern auf alle, die sich als Teil einer Bewegung sehen, welche für eine gerechtere Welt kämpft”, erklärte der in Neuruppin ansässige Verein.
Der Tişrîn-Damm am Euphrat befindet sich seit Anfang Dezember im Fokus einer Besatzungsoffensive der türkischen Armee und deren Söldnertruppe „Syrische Nationalarmee” (SNA). Seit rund acht Wochen ist die Anlage infolge schwerer Kriegsschäden außer Betrieb, über 400.000 Menschen können dadurch nicht mit Wasser und Strom versorgt werden. In unbeschädigtem Zustand versorgte der Damm den Kanton Firat, einschließlich Kobanê, sowie Teile der inzwischen besetzten Minbic-Region.
24 Tote und über 200 Verletzte
Die Selbstverwaltung prangert die Angriffe als Kriegsverbrechen an und warnt schon länger davor, dass aufgrund immer wiederkehrender Bombardierungen ein Dammbruch droht, der Auswirkungen bis in den Irak haben könnte. Um die internationale Gemeinschaft zum Handeln gegen die Kriegshandlungen der Türkei zu bewegen, findet seit Anfang Januar eine zivile Mahnwache auf dem Gelände statt – die ebenfalls von türkischen Kampfbombern und Artillerie ins Visier genommen wird. Laut den Daten der Autonomiebehörden starben bei diesen Angriffen bisher 24 Menschen, weit über 200 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Dabei handelt es sich ausschließlich um Zivilpersonen. Die Daten enthalten keine Zahlen zu den Verlusten der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), die den Damm an der rund fünf Kilometer entfernten Front verteidigen.
Angriffe zielen auf emanzipatorische Errungenschaften ab
„Wenn der Staudamm bricht, hat es katastrophale Folgen für die ganze Region”, betonte auch Jan Henning, Pressesprecher vom JWP MittenDrin e.V. Er wies mit Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen den QSD und der sogenannten SNA auch auf die strategische Bedeutung der Anlage hin. Sollte der Staudamm fallen, droht eine Invasion in der symbolträchtigen Stadt Kobanê. „Dieser erneute Akt der Aggression reiht sich ein in eine lange Geschichte völkerrechtswidriger Angriffe Ankaras, die darauf abzielen, die emanzipatorischen Errungenschaften der Demokratischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien zu zerstören und demokratische Prozesse im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern”, so das Neuruppiner Projekt.
Verein verurteilt geächtete „Double Tap“-Taktik
Der Verein kritisiert auch, dass die türkische Armee und deren Verbündete bei ihren Drohnenangriffen auf die Tişrîn-Wache oft die sogenannte „Double Tap“-Taktik einsetzen. Dabei trifft ein zweiter Angriff mit zeitlicher Verzögerung gezielt Ersthelfer:innen und Journalist:innen. „Dies ist nichts weniger als ein gezielter Verstoß gegen das Völkerrecht und die UN-Charta und der Versuch, Solidarität vor Ort zu zerstören und kritische Berichterstattung zu unterdrücken”, ergänzte Tamara Lux, die Pressesprecherin von JugendWohnProjekt MittenDrin. Bei einem solcher Doppelschläge war im Januar der deutsche Physiotherapeut Jakob Rihn schwer verletzt worden. Der 25-Jährige, der seit 2023 als humanitärer Helfer das Gesundheitskomitee der Selbstverwaltung unterstützt, engagierte sich in Deutschland für das Jugendwohnprojekt in Neuruppin.
JWP Mittendrin: Wir unterstützen kurdischen Befreiungskampf
„Als JWP MittenDrin e.V., unterstützen wir den kurdischen Befreiungskampf, weil er für viele unserer Werte steht: Basisdemokratie, Gleichberechtigung, Antikapitalismus und die radikale Ablehnung von Hierarchien und patriarchalen Strukturen. Wir fordern einen sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei und eine Flugverbostzone über Nord- und Ostsyrien, denn die Angriffe auf den Tişrîn-Staudamm und die Friedenswache verstoßen gegen internationales Recht und stellen eine Menschenrechtsverletzung dar”, erklärte der Verein und forderte weltweit ernsthafte Bemühungen für Frieden, humanitäre Hilfe und das Bestreben, für eine bessere, friedliche Welt zu kämpfen. Hierbei dürften die Interessen der Führungseliten und Reichen nicht an oberster Stelle stehen, „sondern die Menschen, auf deren Schultern all diese grässlichen Kriege ausgetragen werden”.
Eine andere Welt ist möglich
Das rätebasierte Modell der Selbstverwaltung in Rojava zeige, „dass eine andere Welt möglich ist, in der basisdemokratische Prozesse geführt werden, Frauen eine zentrale Rolle spielen und der Schutz der Umwelt essenzieller Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist”. Es brauche eine Stärkung solidarischer Initiativen und vor allem ein Stopp des internationalen Wettrüstens. Der Verein kritisiert: Durch die Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit dem Erdogan-Regime mache sich Deutschland mitschuldig an diesem Krieg. „Wir sehen es als unsere Verantwortung, uns solidarisch mit den Menschen in Nord- und Ostsyrien zu zeigen. Ihre Kämpfe sind auch unsere Kämpfe.”
Foto: Zwei Aktivistinnen der Tişrîn-Wache © ANHA