„Die Schüsse auf Nagihan gelten kämpfenden Frauen weltweit“

Erneut sind Aktivist:innen auf die Straße gegangen, um gegen den tödlichen Anschlag auf die kurdische Journalistin und Wissenschaftlerin Nagihan Akarsel in Südkurdistan zu protestieren.

Die Protestaktionen nach dem gezielten Anschlag auf die feministische Journalistin Nagihan Akarsel am Dienstag im südkurdischen Silêmanî reißen nicht ab. In Kurdistan gingen erneut wütende Aktivist:innen auf die Straßen, auch in Europa haben weitere Proteste stattgefunden.

Der Frauenrat Rojbîn protestiert vor dem türkischen Konsulat in Hamburg

Auf den Aufruf des Frauenrats Rojbîn zogen Aktivist:innen vor das türkische Generalkonsulat am Dammtor in Hamburg. Die Teilnehmenden trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit) und Fotos von Nagihan Akarsel und der in Teheran von der iranischen Sittenpolizei ermordeten Jîna Mahsa Amini sowie Fahnen der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) und des Frauenverbands KJAR aus Rojhilat (Ostkurdistan).

Eine Aktivistin des Frauenrats Rojbîn erklärte vor dem Konsulat, dass Frauen überall in Kurdistan angegriffen werden: „Der Angriff auf Nagihan richtete sich gegen den Freiheitskampf kurdischer Frauen und wurde vom vom türkischen Staat begangen. Der feige und niederträchtige Anschlag auf Nagihan Akarsel und der Mord an Jîna Amini beruhen auf derselben patriarchalen Mentalität. Diktatoren fürchten die kurdischen Frauen. Die Kugeln, die auf Nagihan abgefeuert wurden, galten den kämpfenden Frauen auf der ganzen Welt. Dafür werden wir als Frauen Rechenschaft fordern. Wir kämpfen weiter mit der Parole ,Jin Jiyan Azadî'.“

Kurd:innen protestieren vor dem UN-Sitz in Genf

In der Schweiz protestieren Kurd:innen seit gestern in verschiedenen Städten gegen den tödlichen Anschlag auf Nagihan Akarsel. Heute fand vor dem Sitz der Vereinten Nationen in Genf eine Protestaktion statt, die mit einer Gedenkminute eingeleitet wurde. Mülkiye Aşırbaev, Ko-Vorsitzende des kurdischen Gemeindezentrums in Genf, erklärte in einer Rede, dass die kurdischen Frauenbewegung nicht vernichtet werden kann: „Die Frauen werden den Widerstand niemals aufgeben. Warum werden Frauen ermordet? Weil Frauen Leben und Freiheit bedeuten. Unsere Freundin Nagihan ist nicht gestorben, sie lebt weiter in Tausenden Frauen, die unter der Devise ,Jin Jiyan Azadî' kämpfen und niemals aufgeben werden.“

Kundgebung auf dem Helvetiaplatz in Luzern

Auch in Aarau und Luzern in der Schweiz haben heute Aktionen stattgefunden, zu denen der kurdische Frauenverband YJK-S aufgerufen hatte.

Kundgebung des Frauenrats Roza in Darmstadt

Der Frauenrat Roza hatte heute zu einer Kundgebung in Darmstadt aufgerufen. In einem Redebeitrag hieß es zu dem Attentat auf Nagihan Akarsel: „Es ist kein Zufall, dass dieser Mord zu einem Zeitpunkt verübt wurde, an dem die Parole ,Jin Jiyan Azadî' weltweit zu einer Philosophie von Frauenbewegungen geworden ist. Der türkische Staat will sich mit dem Attentat rächen. Dagegen müssen wir organisiert kämpfen.“ Die Kundgebung endete mit gemeinsam gesungenen Widerstandsliedern.

Stockholm: Greta Thunberg fordert Stopp von Rüstungsexporten an die Türkei

Bei einer Protestaktion des Frauenrats Amara in der Drotninggatan in Stockholm forderte die Klimaaktivistin Greta Thunberg den Stopp von Rüstungsexporten in die Türkei. In Schweden ist erstmalig seit 2019 wieder eine Lieferung von militärischer Ausrüstung an die Türkei genehmigt worden. Hintergrund ist der NATO-Beitrittswunsch Schwedens, den die Erdogan-Regierung zur Erpressung nutzt.

Protest gegen die Morde an Nagihan Akarsel und Jina Mahsa Amini in Toronto

In Toronto haben die Frauenkommune Sara und der kurdische Volksrat gegen den Anschlag auf Nagihan Akarsel protestiert. Die Teilnehmenden trugen auch Bilder von Jina Mahsa Amini und erklärten, das die Morde an den beiden Kurdinnen auf dieselbe Mentalität zurückzuführen sei.

Kundgebung in Gießen

Kundgebung des Frauenrats Asya Yüksel in Duisburg

Kundgebung des Frauenverbands YJK-E in Düsseldorf

Kundgebung in Toulouse

Kundgebung in Kopenhagen

Wer war Nagihan Akarsel?

Nagihan Akarsel stammte aus Konya in der Türkei und war eine bekannte Persönlichkeit in der kurdischen Community und in der internationalen Jineolojî-Bewegung, sie war seit dreißig Jahren politisch aktiv. Lange Zeit arbeitete als Journalistin und Autorin, unter anderem in der Redaktion der Zeitschrift „Jineolojî“. Aufgrund ihres Engagements in der kurdischen Frauenbewegung war sie jahrelang im Gefängnis. In Rojava förderte sie die Bildungsarbeit im Bereich der Jineolojî, in Şengal betrieb sie Feldforschung zur Situation von Frauen nach dem vom „Islamischen Staat“ (IS) begangenen Genozid und Femizid. Zuletzt arbeitete sie mit Frauen aus Südkurdistan im Forschungszentrum für Jineolojî. Eines ihrer laufenden Projekte war die Einrichtung einer kurdischen Frauenbibliothek.

Nagihan Akarsel wurde am 4. Oktober auf dem Weg zu der Frauenbibliothek in Silêmanî vor ihrer Wohnung auf offener Straße erschossen, es wird von einem politischen Attentat durch den türkischen Geheimdienst ausgegangen. Nach Angaben der Sicherheitskräfte in Silêmanî sind die Täter inzwischen gefasst worden, Informationen über ihre Identität wurden nicht bekannt gegeben. Unbestätigten Angaben zufolge wurde der Attentäter auf dem Weg in das von der PDK kontrollierte Hewlêr (Erbil) am letzten Checkpoint der YNK gefasst.