Wandern in Dersim: Ökologie als Teil der Kultur

Den Menschen in Dersim gilt die Natur als heilig, ihr Schutz ist Bestandteil des Glaubens und der Kultur. Hıdır Çiçek führt seit zwanzig Jahren Wandergruppen durch das Gebirge in Dersim und sagt: „Den Menschen ist die Natur bewusst und wichtig.“

Mit ihrer ethnischen, religiösen und soziopolitischen Identität, ihrer Geschichte und ihrer Landschaft ist Dersim eine einzigartige Region in Kurdistan. Jeder Bestandteil der Natur gilt als heilig und wird von der Bevölkerung geschützt. Die Menschen kämpfen gegen Staudämme, den Abbau unterirdischer Ressourcen, die Jagd auf geschützte Tiere und alles, was ihre Heiligtümer zerstört. Im Sommer sind die Temperaturen im Vergleich zu anderen kurdischen Regionen relativ niedrig, weshalb Dersim als beliebter Reiseort gilt. Das Interesse ist jedoch auch im Winter sehr groß. Während andere Gebiete eher im Frühjahr und Herbst Wander:innen anlocken, finden in Dersim gerade in der Winterlandschaft Wandertouren statt.

Hıdır Çiçek führt seit zwanzig Jahren Wandergruppen durch das Gebirge in Dersim. Für ihn hat jedes Jahreszeit eine eigene Schönheit, erzählt er: „Durch den Schnee zu laufen, ist anstrengend. Eine Strecke, die wir im Frühling oder Herbst in drei Stunden bewältigen, dauert im Winter sieben Stunden und wird in zwei Etappen abgeschlossen. Wenn der Schnee bis über die Knie reicht, wird es problematisch. Manchmal beenden wir die Wanderung bereits auf der Hälfte der Strecke. Manche halten jedoch trotz der schwierigen Bedingungen bis zum Ende durch. Das Gefühl, wenn man den Gipfel erreicht hat, ist überwältigend.“

Hıdır Çiçek weist auf die Naturzerstörung in der Region hin und sagt: „In unserer Kultur wird die Natur geschützt. Es findet jedoch eine äußerst feindliche Zerstörung statt. Vor allem sind Staudämme gebaut worden: Keban, Uzunçayır, Pembelik 1 und Pembelik 2. Durch die Dämme entsteht ein anderes Klima, es schneit weniger. Es wird von Energiegewinnung gesprochen. Wenn in Dersim nachts keine Lichter brennen, hat das keine negative Auswirkung auf die Natur. Wenn jedoch kein Schnee mehr fällt, wird die Natur negativ beeinflusst. Diese Auswirkungen werden sich Jahre später bemerkbar machen. Als ob das nicht schlimm genug wäre, wird die Natur auch durch Grubenabbau zerstört.

In unserem Glauben kommen Natur- und Tierschutz vor. Wir können es nicht begreifen, dass Tiere zur Jagd ausgeschrieben werden. Es gibt Ausschreibungen für die Jagd auf Bergziegen, die seit jeher trotz Armut und eines unterentwickelten Rechtssystems geschützt werden. Wer durch die Natur wandert, erkennt das Ökosystem und bekommt ein Bewusstsein für Umweltschutz. Unsere Liebe zur Natur und das instinktive Bedürfnis, sie zu schützen, werden vielleicht gerade durch die massive Zerstörung stärker. Die Menschen, die mit mir wandern, würden alles für die Natur tun.

Das ist eine der Besonderheiten Dersim: Den Menschen ist die Natur bewusst und wichtig. Jeder Stamm hat eine Stelle, dem er eine besondere Bedeutung beimisst, wie Düzgün Baba, Kal Memi, Kal Fırat. Wer dort Kerzen anzündet und ein Versprechen gibt, kann sein Wort nicht mehr brechen. Dersim hat eine ganze eigene Natur und Kultur. Beides hat einen festen Platz im Leben der Menschen und muss meiner Meinung nach geschützt werden. Die Natur muss geschützt werden. Dieses Bewusstsein kann nicht erzwungen werden, es entsteht durch Bildung und das Gespür und die Kenntnis der Natur.“